: Eine bunte Tüte Geschichte
Momentan betreibt das historische Museum Hannover einen Kiosk. In dem bietet es Geschichts-Snacks an und zeigt Präsenz, solange sein Gebäude wegen Umbaus zu ist
Von Nadine Conti
Hannover-Kiosk hat das Historische Museum der Stadt seine kleine temporäre Ausweichstation genannt. Das ist natürlich irgendwie charmant und naheliegend, immerhin gilt Hannover als eine der Städte mit der größten Kioskdichte, wie auch der Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) zur Einweihung noch einmal betont.
Es ist dann aber doch etwas mehr als ein Büdchen oder ein winziges vollgestopftes Ladenlokal. Drei großzügige Räume mitten in der City, die vorher eine Bankfiliale beherbergt hatten, wurden von der Stadt angemietet und hergerichtet. Das Kiosk-Prinzip zeigt sich eher in der Machart: Eine Art Begegnungsraum soll das hier sein, wo sich Leute über den Weg laufen, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben. Ein Ort, wo man kurz vorbeischaut und sich dann festquatscht. Und der ganz nebenbei Stadtgeschichte im Snackformat präsentiert, wie in einer bunten Tüte.
So skizzieren das jedenfalls die treibenden Kräfte dahinter. Neben dem Projektleiter Jan Willem Huntebrinker und Museumsdirektorin Anne Gemeinhardt sind das auf der Ebene der Stadtverwaltung die Fachbereichsleiterin Kultur Inga Samii und die zuständige Dezernentin Eva Bender.
Konkret sieht das dann so aus, dass nur einige, wenige Ausstellungsstücke präsentiert werden. Zum Ausgleich dafür gibt es ein paar clevere multimediale Highlights. Zum Beispiel die „Time Jump“-Videos, die auch auf Instagram ein Renner sind, wie Huntebrinker sagt.
Der Fotograf und Kameramann Dirk Troue erstellt sie – er nimmt alte Postkarten oder sonstige historische Aufnahmen und puzzelt stückchenweise die heutige Ansicht darüber. Das sorgt tatsächlich für verblüffende Einsichten, weil man natürlich theoretisch weiß, dass diese Stadt sich mehr als einmal dramatisch verändert hat – es aber selten so plastisch vorgeführt kriegt.
Mit einer VR-Brille kann man sich außerdem ans Hohe Ufer der 20er Jahre versetzen lassen. Und ein Trickfilm zeigt 1000 Jahre Stadtgeschichte in fünf Minuten. Außerdem gibt es noch Wahrzeichen, die wie Steckenpferdchen aufgereiht sind und sehr „instagramable“ aussehen.
Ein paar klassische Elemente gibt es aber auch: Eine Vitrine versammelt Ausstellungsstücke zur reichen Firmengeschichte Hannovers. Auch da hat die Stadt ja einiges zu bieten: Von Bahlsen über Pelikan zu Continental. Anlass genug auch für ein Gespräch über Migrationsgeschichte, Arbeitsbedingungen, Lebenswelten. Außerdem verweisen Fotos und ein Zylinder auf Dinge, die für die Leitfrage „Was ist typisch Hannover?“ auch noch wichtig sein könnten: Das Schützenfest, die Pferde- und Reiterstadt. Und Leerstellen gibt es auch noch: Eine Vitrine für das, was bisher im Stadtmuseum fehlte, Kärtchen für das schwarze Brett, ein Zeitstrahl zum Fortsetzen. Ein Museumslabor soll das sein, wünschen sich die Macher. Ein Gespräch anzetteln darüber, wie zeitgemäße Geschichtsvermittlung eigentlich aussehen könnte. Und was Bürger von ihrem Stadtmuseum erwarten.
Mit diesem Konzept schlägt das Historische Museum gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Es bleibt in der Stadt präsent, während das eigentliche Museum für eine längere Sanierungsphase geschlossen ist. Der Hannover-Kiosk macht dabei ein museumspädagogisches Angebot für Hortgruppen, Schulklassen und sogar Kindergeburtstage, soll gleichzeitig aber auch als Ausgangspunkt für Stadtführungen dienen. Außerdem versucht man sich neue Zielgruppen zu erschließen. In Hannover passt das Ganze auch noch gut in die Bestrebungen, die allmählich verödende Einkaufsmeile mit kulturellen Angeboten wiederzubeleben.
Das trifft offensichtlich einen Nerv: Auch viele andere Museen stehen vor ähnlichen Problemen. In Bremen zum Beispiel hat das Fokke-Museum Umbaupause bis 2026, in Lübeck ist das Buddenbrookhaus geschlossen, bis es fertig ist – angeblich 2027, aber wer weiß – Oldenburgs Stadtmuseum ist „bis auf weiteres“ nicht geöffnet, und die Kompletterneuerung des Museums für Hamburgische Geschichte soll Ende 2028 abgeschlossen sein. Solange ist ein Besuch nicht möglich.
Eine Tagung zum Thema „Museum außer Haus“, die das Historische Museum Hannover kurz nach der Schließung – und kurz vor Beginn der Bauarbeiten – im November 2023 noch veranstaltet hat, war auf eine riesige Nachfrage gestoßen, berichtet Huntebrinker stolz.
Innerhalb von zwei Tagen waren alle Plätze vergeben und Museumsmacher aus dem gesamten Bundesgebiet reisten an, um sich darüber auszutauschen, was funktioniert oder auch nicht.
Immerhin sind solche neuen Wege auch für die Organisation immer eine Herausforderung. In Hannover hilft beispielsweise der Freundeskreis des Museums mit ehrenamtlichen Kräften, den Betrieb im Hannover-Kiosk am Laufen zu halten. „Da ist eine ganze Menge in Bewegung“, sagt Huntebrinker. Und Hannover ziemlich weit vorne mit dabei.
Provisorium Hannover Kiosk, Karmarschstr. 40, täglich außer montags, 11 bis 18 Uhr, dienstags bis 20 Uhr.
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