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Am Sonntag sind laut georgischen Medienberichten fast 100.000 Menschen in Tbilissi für Europa auf die Straße gegangen Foto: Jan Schmidt-Whitley/le pictorium/imago

Vor Parlamentswahlen in GeorgienOst gegen West

Am Samstag wählt Georgien ein neues Parlament. Um die prorussische Regierung zu schlagen, will die Opposition Nicht­wäh­le­r:in­nen mobilisieren.

Von Barbara Oertel aus Tbilissi

M enschenmassen schieben sich an diesem Sonntagabend über den Rustaveli-Boulevard, die Hauptstraße in der georgischen Hauptstadt Tbilissi. Es geht nur schleppend voran. Vor zwei Stunden haben sich Junge, Alte und Familien mit Kindern an fünf Orten versammelt, um gemeinsam ins Zentrum zu ziehen. „Georgien wählt Europa“ ist das Motto des Marsches. Alle Welt soll sehen, dass diejenigen, die heute hierhergekommen sind, ihre persönliche Wahl sechs Tage vor den Parlamentswahlen am 26. Oktober schon längst getroffen haben.

Viele Teil­neh­me­r*in­nen schwenken georgische sowie EU-Fahnen oder haben sie sich über ihre Schultern geworfen. Auch gelb-blaue ukrainische Flaggen sind zu sehen. Auf selbst gemalten Plakaten ist zu lesen: „Geht zu den Wahlen, schützt eure europäische Zukunft“ und „Das georgische Bildungssystem ist in Gefahr“. Einige haben Plastiktröten und Trillerpfeifen dabei. Frauen und Männer in Signalwesten verschiedener Oppositionsparteien verteilen Flyer. Es wird gesungen und getanzt.

Auf dem Freiheitsplatz ist kein Durchkommen mehr. Auf einer Bühne, über der ein großer Monitor angebracht ist, feuert eine Gruppe junger Leute die Menge an. Diese verwandelt sich in einen riesigen, lautstarken Chor, als die georgische Nationalhymne gespielt wird. Gleich im Anschluss erklingt die Europahymne – ein wehendes blaues Fahnenmeer ist die Antwort. Immer wieder werden die Wortbeiträge einzelner Red­ne­r*in­nen von „Sarkatvelo, Sarkatvelo“-Rufen („Georgien, Georgien!“) unterbrochen.

Tierisch für die EU: Eine Frau mit ihrem Hund bei der proeuropäischen Kundgebung in Tbilissi am 20. Oktober Foto: Jan Schmidt-Whitley/le pictorium/imago

Am Rande des Freiheitsplatzes steht eine Frau mit einem Stirnband aus Wolle, darin stecken ein georgisches und ein EU-Fähnchen. In den Händen hält sie eine Pappe mit der Aufschrift: „Der Georgische Traum ist Russland, Russland ist Krieg.“ Teo Chatiaschwili ist Professorin für Geschichte und Filmtheorie an der Ilia State University in Tbilissi. „Wir wollen zeigen, dass wir ein zivilisiertes europäisches und demokratisches Land sind. Die Regierungspartei Georgischer Traum (KO) hat aber genau die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen und die russische Rhetorik übernommen. Wir zweifeln nicht daran, dass die Regierung mit Moskau verbandelt ist“, sagt Chatiaschwili. Bliebe der Georgische Traum an der Macht, werde Georgien allenfalls formal als unabhängiger Staat fortbestehen, wie schon zu Zeiten des russischen Imperiums und der Sowjetunion.

„Genau das wollen wir nicht“, sagt sie und fügt lächelnd hinzu: „Vielleicht klingt das etwas pathetisch, aber alle an meiner Universität unterstützen den westlichen Kurs. Europa muss uns auch weiter beim Aufbau eines demokratischen Staates unterstützen.“ Unter wummernden Bässen einer georgischen Rockgruppe verlassen die ersten den Ort des Geschehens. Medienberichte sprechen von bis zu 100.000 Teilnehmer*innen.

Für viele Ge­or­gie­r*in­nen ist der Georgische Traum (KO) zum Albtraum geworden. Seit 2012 ist die Partei unter Führung des milliardenschweren Geschäftsmannes Bidzina Iwanischwili an der Macht. Damals schickte sie die Partei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) des damaligen und seit drei Jahren in Georgien inhaftierten Präsidenten Micheil (Mischa) Saakaschwili in die Opposition. Jetzt könnte der Georgische Traum erstmals die Mehrheit verlieren, die meisten Umfrageinstitute sehen die Partei bei 32 bis 35 Prozent.

Seit 2012 ist Der Georgische Traum unter Führung des milliardenschweren Geschäftsmannes Bidzina Iwanischwili an der Macht Foto: Irakli Gedenidze/reuters

Im vergangenen Mai verabschiedete das Parlament trotz wochenlanger Massenproteste ein Gesetz zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft, das Kri­ti­ke­r*in­nen auch als „Agentengesetz“ nach russischem Vorbild bezeichnen. Nichtregierungsorganisationen, aber auch Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten, müssen sich in ein spezielles Register eintragen lassen. Die Regierung begründet dies mit der Notwendigkeit einer höheren Transparenz des dritten Sektors. Im Herbst trat zudem ein Anti-LGBTQ+-Gesetz in Kraft, das die Rechte sexueller Minderheiten massiv einschränkt. Offiziell heißt es, die neue Regelung diene dem Schutz von Familien und Kindern in Georgien.

Mittlerweile bedient sich der KO auch völlig unverhohlen gängiger Kreml-Narrative und macht Stimmung gegen den Westen. Ständig ist von einer „globalen Kriegspartei“ die Rede, die in Georgien eine zweite Front eröffnen und die Südkaukasusrepublik in den Krieg gegen Russland hineinziehen wolle. Zudem trägt Tbilissi die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht mit und äußert sich gleichzeitig besonders kritisch gegenüber der Ukraine. Kyjiw habe nichts dafür getan, um den Krieg zu verhindern, heißt es.

Ihre Botschaften versucht der KO auch im Wahlkampf an die Wäh­le­r*in­nen­schaft zu bringen, wenngleich merklich subtiler. Denn offen gegen die EU zu agitieren, kann sich der KO nicht leisten. Umfragen zufolge liegt die Zustimmung zu einem Beitritt bei bis zu 80 Prozent. Auf himmelblauen Werbeflächen des KO, die in Tbilissi omnipräsent sind, sind neben der georgischen Flagge in einem Kreis eine halbe gelbe Sonne und EU-Sterne zu sehen. Seit Sommer 2022 hat Georgien den EU-Kandidatenstatus, seit einigen Monaten laufen Beitrittsverhandlungen. Der Slogan lautet: „Wir streben nach Europa, aber nur mit Frieden, Würde und Wohlstand.“

Auf dem Weg nach Europa? Die Regierungspartei Georgischer Traum könnte bei dieser Wahl erstmals die Mehrheit verlieren Foto: Jan Schmidt-Whitley/le pictorium/imago

Flächendeckend ist auch das Kriegsnarrativ plakatiert, in gleich mehreren Varianten. Einem Foto aus der Ukraine in Schwarz-Weiß – wahlweise mit einem zerbombten historischen Gebäude, einem verwüsteten Klassenzimmer oder einem ausgebrannten Bus mit dem Untertitel „Kein Krieg – steht das jeweilige farbige, unversehrte georgische Pendant gegenüber. Darunter steht die Aufforderung: „Stimmt für den Frieden!“

Für Chatuna Samnidze geht es bei den bevorstehenden Wahlen nicht zuallererst um die Frage von Krieg oder Frieden. „Wir wählen unsere Zukunft. Diese Zukunft heißt entweder Europa oder Russland“, sagt die 45-Jährige, die ein Studium im Fach Wirtschaftsmanagement in Tbilissi und Magdeburg abgeschlossen hat. Sie empfängt in einem Business-Center unweit des Rustaveli-Boulevards zum Gespräch. Hier, im sechsten Stock, hat das Oppositionsbündnis Koalition für Veränderungen, die sogenannten Post-Mischisten, seinen Wahlstab eingerichtet. Im vergangenen August schlossen sich auch die Republikaner an, für die Samnidze derzeit als einzige Abgeordnete im Parlament sitzt.

Die Partei, die noch zu Sowjetzeiten 1978 gegründet worden und zunächst im Untergrund aktiv war, setzt sich für Menschen- und Minderheitenrechte, religiöse Toleranz, Pluralismus und Marktwirtschaft ein. In der ersten KO-Regierung (ab 2012) gehörten die Republikaner einige Zeit der Koalition an. Doch schon zwei Jahre später habe es erste Anzeichen dafür gegeben, dass der KO unter Bidzina Iwanischwili eine Einparteienherrschaft errichten wollte. Nach dem erneuten Wahlsieg 2016 sei langsam, aber stetig eine Hinwendung zu Russland erfolgt. „Iwanischwili ist immer noch in sowjetischen Denkmustern verhaftet. Das Wichtigste für ihn war und ist es, seine persönlichen Interessen zu schützen und durchzusetzen“, sagt Samnidze. Das sei Politik um des reinen Machterhalts willen. Wenn sie die Wahlen verlieren, wird Georgien wieder ein Teil Russlands werden. Dann habe Iwanischwili alle Hebel in der Hand, um Georgien und dessen Interessen komplett zu verraten.

Doch noch ist es nicht so weit. Und die Politikerin ist fest davon überzeugt, dass die Opposition gute Chancen hat, den KO zu schlagen. Die größte Herausforderung sei jetzt, die Wäh­le­r*in­nen überhaupt zu einer Stimmabgabe zu bewegen. Denn eine niedrige Wahlbeteiligung spiele dem KO in die Hände. „Die Menschen sind wütend, sie haben die Nase voll von der Regierung. Viele haben verstanden, dass Iwanischwili ein russisches Projekt ist und der KO ihre europäische Zukunft verspielt“, sagt die Abgeordnete. Deshalb denkt Samnidze, dass sie die Wahlen gewinnen können. Und wenn der Abstand zum KO groß genug sei, werde Iwanischwili aufgeben und seine Partei im Stich lassen.

Aber kann eine so zusammengewürfelte und fragmentierte Opposition überhaupt einen gemeinsamen Nenner finden?

Früher hätten die Beteiligten einander als Feinde betrachtet, aber man habe dazugelernt. Die Politik sei seit jeher von Männern dominiert und da würden Kompromisse als Zeichen der Schwäche angesehen. „Doch das hat sich geändert. Wir müssen uns zusammenraufen, das erwarten die Menschen von uns. Sonst geht uns ihr Vertrauen verloren“, sagt Samnidze.

Auf die Frage, warum die westlichen Partner trotz der andauernden Vorwürfe des KO gegen die USA und die EU am Ball bleiben sollten, hat Samnidze eine klare Antwort: „Aus demselben Grund, aus dem wir die Ukraine unterstützen. Sie kämpft nicht nur für ihre Freiheit, sondern auch für unsere, und die Freiheit der gesamten südkaukasischen Region.“ Laut der Politikerin müsse die europäische Wahl Georgiens gestärkt werden, um Russland zu stoppen und damit auch den Krieg und die Gewalt. Die Ukraine fallenzulassen hieße, Russland dabei zu helfen, seinen Einfluss auszuweiten und sich immer stärker in die inneren Angelegenheiten europäischer Staaten einzumischen.

Schickswahl mit Neuerungen

Die Parlamentswahlen in Georgien am kommenden Sonntag könnten nicht nur politisch eine Zäsur werden. Auch in anderer Hinsicht gibt es wichtige Neuerungen. So wird erstmals nach dem reinen Verhältniswahlrecht gewählt. Zu vergeben sind 150 Sitze im Parlament. Für einen Einzug in die Volksvertretung gilt die Fünfprozenthürde. Aus diesem Grund haben sich mehrere Oppositionsparteien zu Listen zusammengeschlossen. Insgesamt treten 19 Gruppierungen an. Reale Chancen, die Sperrklausel zu überwinden, haben fünf Listen:

Der Georgische Traum (KO): Ihr werden zwischen 32 und 35 Prozent vorhergesagt. Nur ein regierungsnahes Umfrageinstitut prognostiziert über 50 Prozent.

Die Koalition für Veränderungen: Sie ist eine Abspaltung von der Partei Vereinte Nationale Bewegung (ENM) des früheren Präsidenten Micheil Saakaschwili. Für sie treten unter anderem der Ex-Justizminister unter Saakaschwili, Nika Gwakamia, und der Ex-Vorsitzende der ENM, Nika Melia, als Kandidaten an.

Einheit – Nationale Bewegung: Sie vereint die Restbestände der ENM unter neuer Führung und ist absolut loyal gegenüber Saakaschwili.

Starkes Georgien: Das Bündnis geht sowohl gegenüber dem KO als auch der ENM auf Distanz.

Für Georgien: In der Liste vereinen sich Abtrünnige des Georgischen Traums, dort tritt unter anderem der ehemalige Regierungschef Giorgi Gakharia an.

Alle oppositionellen Koalitionen werden zwischen 10 und 19 Prozent der Stimmen gehandelt. Die Stimmen von Gruppierungen, die nicht den Sprung ins Parlament schaffen, werden auf die anderen Be­wer­be­r*in­nen verteilt. Erstmals wird zudem ein sogenanntes elektronisches Wahlsystem angewendet und zwar überall dort, wo in einem Wahllokal mehr als 300 Wäh­le­r*in­nen abstimmen. Andernfalls bleibt es bei Papier, das betrifft knapp 400.000 Wähler*innen. Nach einer Registrierung des Ausweises erhalten die Wäh­le­r*in­nen eine Quittung, die sie unterschreiben müssen. Erst dann wird ihnen ein Stimmzettel in einem speziellen Umschlag ausgehändigt. Dieser muss in einer Wahlkabine ausgefüllt werden, bevor er in eine Zählmaschine wandert. Das elektronische Equipment ist nicht mit dem Internet verbunden, um Hacking oder Cyberattacken zu verhindern. Laut Experten sind jedoch auch bei dieser Methode Fälschungen nicht absolut ausgeschlossen. Am Wahltag werden 102 lokale und 64 internationale Organisationen sowie 98 Medien als Be­ob­ach­te­r*in­nen präsent sein. Bei den letzten Wahlen 2020 lag die Wahlbeteiligung bei 56,7 Prozent. (bo)

Eine weitere Frau, die für ein proeuropäisches Georgien kämpft, ist Maria Darchievi. Sie wartet an diesem Abend schon am vereinbarten Treffpunkt, dem Café Artisan in der Sulkhan-Tsin­tsadze-Straße, vier U-Bahn-Stationen vom Stadtzentrum entfernt. Obwohl es schon kühl wird, zieht sie es vor, draußen zu sitzen. Die 39 Jahre alte Juristin arbeitet seit 2015 für die Nichtregierungsorganisation Georgiens Zukunftsakademie. Zu den Schwerpunkten gehören Bildungsprojekte für junge Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren zu Themen wie Menschenrechte, Medienkompetenz und Debattenkultur. „All das, was in den Lehrplänen nicht vorkommt“, sagt Darchievi. Die NGO finanziert ihre Tätigkeit ausschließlich durch Zuwendungen ausländischer Geldgeber und bekommt die Auswirkungen des „Agentengesetzes“ bereits zu spüren. „Aber wir werden uns nicht registrieren lassen, das Risiko, Strafe zu zahlen, gehen wir ein“, sagt die Juristin.

Und überhaupt: Repressionen habe es schon vor dem Gesetz gegeben. Darchievi zeigt auf ihrem Smartphone Fotos von Personen, die bei den Protesten im vergangenen Frühjahr von Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen worden sind. Auch erzählt sie von einem Projekt für 25 Schulen in Swanetien, einer dörflich geprägten Region im Norden Georgiens. Dort hätten Vertreter des KO die Schulen aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Kinder an den Kursen der „liberalen Faschisten, Freimaurer und Radikalen“ nicht teilnehmen. Auch Hotels, die vorher Räume zur Verfügung gestellt hatten, sagten plötzlich ab.

Seit vergangenem Juni kümmern sich Maria Darchievi und ihr Team ausschließlich um die Schulung von Wahl­be­ob­ach­te­r*in­nen und eine Kampagne zur Motivierung von potenziellen Wähler*innen. Dazu touren sie auch viel durch die Regionen.

Darchievi hat Broschüren mitgebracht, die sie dort verteilen. Auf einer Seite sind die Vorteile der EU aufgezählt, wie das Sozialsystem, eine höhere Lebenserwartung sowie bessere Ausbildungschancen. Dem steht das Sündenregister Russlands gegenüber – angefangen mit dessen Expansion in den Kaukasus 1770 bis zum Jahr 2008, dem Krieg zwischen Russland und Georgien um die abtrünnige Region Südossetien.

Sehnsucht nach Veränderung

„Viele Menschen sind zugewandt und hören zu, sie wollen Veränderungen. Auch wenn eine Koalitionsregierung der Oppositionsparteien vielleicht nicht ideal erscheint, ist sie doch ein Garant dafür, dass Georgien nicht an Russland übergeben wird“, sagt Maria Darchievi. „Sollte es anders kommen, wird es uns so ergehen wie der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial.“

An diesem Mittwoch, drei Tage vor den Wahlen, ist der Rustaveli-Boulevard bereits am frühen Nachmittag weiträumig abgesperrt. Für den Abend hat der KO zu seiner ultimativen Kundgebung auf dem Freiheitsplatz aufgerufen. In einer Unterführung mit Kiosken und kleinen Geschäften steht ein Mann vor seinem kleinen Souvenirladen. Freundlich fordert er dazu auf, einzutreten. Er heiße Eduard, sagt er in holprigem Deutsch, an das er sich noch aus Schulzeiten erinnert. Dann schließt er die Tür und weist mit dem Finger nach oben. „Da sind sie heute Abend, die 41 (Bezeichnung für den KO; d. Red)“, sagt er und verzieht das Gesicht.

Heute müssten hier alle Läden schon um 15 Uhr schließen. Vorher kämen noch Polizisten mit Hunden vorbei. „Hier könnten ja Bomben versteckt sein“, sagt er. Umgerechnet knapp 600 Euro monatlich Miete zahle er hier, die müssten erst einmal reinkommen. Er spreche ungern über Politik, aber nur so viel: „Die vom KO arbeiten doch nur für sich, nicht für das Volk.“ Ob er zur Wahl gehe? „Das“, sagt Eduard, „ändert doch sowieso nichts.“

Einige Stunden später ist der Freiheitsplatz komplett voll. Nur wenige blaue Fahnen des KO sind zu sehen, dafür aber umso mehr gleichfarbige Halstücher und Basecaps. Die Mehrheit der Teil­neh­me­r*in­nen gehört eher älteren Semestern an. Ein Mann lehnt an einer Absperrung, er trägt ein blaues T-Shirt des KO. Er lebe in einem Dorf in der Region Kachetien, er sei anderthalb Stunden gefahren, um hier dabei zu sein.

Von überall in Georgien seien die Menschen nach Tbilissi gekommen, um zu zeigen, dass sie für Frieden sind. Gerade spricht Regierungschef Irakli Kobachidse und teilt gegen den Westen aus. Er hat in Deutschland Jura studiert. Eine Ausbildung hätten viele Mitglieder des KO absolviert, sagt der Mann und nickt anerkennend. „Ich bin gläubig. Aber wo bleiben alle diese Werte und Traditionen in Europa?“ Spontan zieht er sein T-Shirt aus und überreicht es als Geschenk. „Erzählen Sie in Deutschland, dass wir alle hier für den Frieden sind. Mit Gott“, sagt er zum Abschied.

Am Rustaveli-Boulevard, fünf Minuten Fußweg vom Freiheitsplatz entfernt, befindet sich die Kashveti-Kirche des Heiligen Georg. Fast alle, die vorbeigehen, halten kurz inne, um sich zu bekreuzigen. In dem kleinen Innenhof der Kirche vor der schweren Holztür drängeln sich die Menschen. Vor wenigen Tagen hat die georgisch-orthodoxe Kirche erklärt, dass sie die Wahl unterstütze, die langfristigen Frieden bringe sowie die christlichen und familiären Traditionen stärke – eine eindeutige Wahlempfehlung für den KO. Für die Opposition in Georgien hilft da wohl nur noch beten.

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