Verschobener Ukraine-Gipfel: Bidens Absage kommt zur Unzeit

Wegen des Hurrikans Milton hat US-Präsident Biden seine Reise zum Ukraine-Treffen für weitere Militärhilfen abgesagt. Die Ukraine trifft das hart.

Junge steht vor Trümmern eines Hauses, er hat sich eine Decke umgelegt

Ein 14-jähriger Junges steht nach einem Luftangriff vor den Trümmern seiner Wohnung in Saporischja Foto: reuters

Die Menschen in der Ukraine leben von Tag zu Tag, von Angriff zu Angriff – so, als gebe es kein Morgen – nolens volens wohlgemerkt. Gebannt starren sie auf jedes Treffen ihrer westlichen Verbündeten, wohl wissend, dass deren schwindende Geberlaune und ein wachsender Druck auf Kyjiw, sich endlich an den Verhandlungstisch zu begeben, den Anfang vom Ende der Ukraine bedeuten könnte.

Ausgerechnet jetzt sagt US-Präsident Joe Biden seine Teilnahme an einem hochkarätigen Ukraine-Treffen in Ramstein ab und lässt damit den gesamten Gipfel platzen. Ob der erwartete Jahrhunderthurrikan „Milton“ im Bundesstaat Florida der einzige Grund für den Rückzieher ist, sei dahingestellt, doch Fakt ist: Die Absage kommt zur Unzeit und trifft die Ukraine ins Mark.

Die Lage an der Front vor allem im Osten des Landes ist desolat. Stück für Stück kämpfen sich die russischen Truppen vor, zwar unter hohen Verlusten, aber das hat im Kreml noch nie jemanden interessiert. Dank gut gefüllter Gefängnisse und Straflager, in denen gerne rekrutiert wird, gibt es offensichtlich noch reichlich Kanonenfutter.

Demgegenüber gehen den ukrainischen Streitkräften die personellen Ressourcen und Kräfte aus. Unüberhörbar sind die Rufe derer, die sich seit über zweieinhalb Jahren in den Schützengräben aufreiben, doch die angekündigte Rotation greift kaum. Immer häufiger werden Fälle von Soldaten bekannt, die der Belastung nicht mehr standhalten und sich der Hölle durch Desertion zu entziehen versuchen.

Steuererhöhungen gegen das Loch im Staatshaushalt

Das Parlament hat jetzt ein Gesetz verabschiedet, wonach bis zum 25. Lebensjahr niemand gegen seinen Willen eingezogen werden darf. Dieser Schritt erfolgt wohl nicht nur, weil die Demografie in eine Schieflage geraten ist. Vielmehr dürfte es auch darum gehen, einem wachsenden Unmut in der Gesellschaft entgegenzuwirken.

Auch finanziell steht Kyjiw trotz bislang noch umfangreicher Hilfen aus dem Westen mit dem Rücken zur Wand. Russlands Angriffskrieg hat ein riesiges Loch in den Staatshaushalt gerissen, das die Regierung durch massive Steuererhöhungen schließen will. Das dürfte die Ukrai­ne­r*in­nen empfindlich treffen, die nicht wissen, wie lange dieser Wahnsinn dauern wird. Noch keimt die Hoffnung, der Gipfel werde zeitnah nachgeholt– doch wer weiß das schon.

As long as it takes? „Die USA lassen uns im Stich“ ist eine Aussage, die aktuell in ukrainischen sozialen Medien die Runde macht. Sollte der schlimmste Fall eintreten und Donald Trump im November ins Weiße Haus gewählt werden, könnte das ganz schnell Realität werden.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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