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Regierungskrise in KeniaStaatschef frisst Stellvertreter

Unterstützt von Präsident Ruto, steht in Kenia die Amtsenthebung von Vize Gachagua bevor. Nach blutigen Unruhen implodiert die Regierung.

Will „bis zum Ende“ kämpfen: Kenias Vizepräsident Rigathi Gachagua Foto: Daniel Erungu / epd

Nairobi taz | Monatelang musste sich Kenias Regierung gegen eine wütende Jugendprotestbewegung auf den Straßen wehren – jetzt kämpft sie gegen sich selbst. Kenias Parlament behandelt seit Dienstag einen Antrag, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Vizepräsident Rigathi Gachagua einzuleiten. Nachdem am 1. Oktober das Parlament die Zulässigkeit dieses Antrags beschloss, schien seine Annahme sicher: 291 der 349 Abgeordneten haben ihn unterschrieben – weit mehr als die zu seiner Annahme nötige Zweidrittelmehrheit von 233 Stimmen.

Eingebracht wurde der Antrag vom Abgeordneten Mutuse Mwengi, dessen Kleinpartei MCC (Maendeleo Chap Chap Party) zur Parteienallianz Kenya Kwanza von Präsident William Ruto gehört. Zu Rutos Lager gehören die meisten Befürworter eines Impeachments von Gachagua. Damit fliegt Rutos Regierungskoalition, die 2022 die Wahlen gewann, spektakulär auseinander.

Gachagua wird Amtsmissbrauch, Verfassungsbruch, Untergraben der nationalen Einheit, Anstacheln zum ethnischen Hass und Bereicherung vorgeworfen – er soll in den zwei Jahren seiner Vizepräsidentschaft Besitztümer im Wert von rund 36 Millionen Euro erworben haben, zumeist Hotels, während er als Vizepräsident ein Jahresgehalt von umgerechnet knapp 85.000 Euro bezieht.

Gachagua weist die Vorwürfe zurück und sagt, er habe die Hotels geerbt. Er erhebt seinerseits gegen Ruto massive Vorwürfe, und manchen Unterstützern des Präsidenten zufolge hat der Vizepräsident sogar die Massenproteste der „Generation Z“ für einen Rücktritt des Präsidenten gefördert, die Kenia im Juni und Juli erschütterten und mehrere Dutzend Tote forderten.

„Ein beispielloser Moment“

Zuletzt beschwerte sich Gachagua, Ruto habe ihn aus seiner Whatsapp-Gruppe geschmissen und verweigere ihm ein Ruhegeld für den Fall seines freiwilligen Rücktritts. Vor der Presse lehnte er am Montagabend einen Rücktritt ab und sagte, er werde „bis zum Ende“ kämpfen. Am Dienstagabend sollte er im Parlament sprechen.

Es sei „ein beispielloser Moment für unsere Demokratie“, sagte Parlamentspräsident Moses Wetangula. Das Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Nairobi wurde am Dienstag von Sicherheitskräften abgeriegelt, in Erwartung möglicher Unruhen.

Am Wochenende hatte es Gewalt gegeben, nachdem die Aufrufe zur Amtsenthebung Gachaguas auf öffentlichen Versammlungen vorgestellt wurden, um dafür Unterschriften zu sammeln und den Druck auf die Abgeordneten zu verstärken. Im Touristendorf „Bomas of Ken­ya“ in Nairobi gerieten Ruto- und Gachagua-Anhänger aneinander. In mehreren Landesteilen gab es Gewalt, etwa in Nyeri, wo Demonstranten die Fernstraße blockierten, ebenso in den Städten Kakamega, Nakuru und Nyahururu.

Vielleicht einfach beide amtsentheben?

Wenn schon, dann solle man nicht nur Vizepräsident Gachagua des Amtes entheben, sondern Präsident Ruto gleich mit, verlangten Gachagua-treue Demonstranten in Nyeri – schließlich wurden sie 2022 auf einem gemeinsamen Ticket gewählt. Das finden auch viele derer, die im Sommer demonstrierend durch Kenias Straßen gezogen waren.

Aktivist Morara Kebaso, Gründer der neuen Partei Inject (Inclusion of National Justice Economic and Civic Transformation), sagt: „Wir wollen das Haus besenrein fegen und wir lassen doch nicht den Hausherrn drin.“

Kebaso versuchte vergeblich, sich mit dieser Meinung im Bomas of Kenya Gehör zu verschaffen. „Erst wurde ich am Tor abgewiesen, und als ich endlich hineinkam, verweigerte man mir das Mikrofon“, berichtet er. „Chaos brach aus.“ Kebaso wurde auf der Bühne von fliegenden Stühlen verletzt.

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