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: Bitte mehr kürzen!

In der Debatte über die Zusammenlegung von 3sat und Arte kommt der digitale Wandel zu kurz. Ein qualitativ hochwertiges und vom Publikum tatsächlich genutztes Programm hängt nicht an einzelnen Sendern, sondern an mutigen strategischen Entscheidungen

Früher war mehr TV-Programm Foto: Siegfried Pilz/united archives/imago

Von Ann-Kathrin Leclère

Für ARD und ZDF werde es jetzt richtig heikel, titelt die Süddeutsche Zeitung. Für die angekündigte Zusammenlegung von 3sat mit Arte fehle der 3sat-Koordinatorin Natalie Müller-Elmau aber die Fantasie, wie das denn alles genau von den medienpolitischen Ent­schei­de­r*in­nen gedacht sei, sagte sie kürzlich im Interview. Angst und Perspektivlosigkeit scheinen die Themen zu sein, die die aktuelle Debatte über die Reformen der öffentlich-rechtlichen Sender bestimmen. Befürchtet wird der Verlust eines Senders, der zum Erhalt des Programmauftrags und damit zumindest mittelbar zum Erhalt der Demokratie beitragen könnte.

Dass der Wegfall von einigen Sendern des ÖRR allerdings auch eine Chance für einen starken und zukunftsgerichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland sein könnte – das können wir alle uns nur schwer vorstellen. Denn allein die Worte „Reform“ und „Einsparungen“ machen ja schon Angst und Bange. Das ist nur menschlich. Wis­sen­schaft­le­r*in­nen der University of Virginia haben kürzlich in einem Experiment die menschliche Tendenz untersucht, bei Problemlösungen bevorzugt etwas hinzuzufügen, statt etwas wegzulassen, selbst wenn das Entfernen effizienter wäre.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht unter erheblichem Druck, nicht nur, aber sehr laut von rechtsaußen. Die AfD würde ihn am liebsten ganz abschaffen, auf Demonstrationen nehmen verbale und körperliche Angriffe gegen Jour­na­lis­t*in­nen zu. Online hetzen rechte Parteien und Einzelpersonen gegen „die Medien“ und damit immer auch gegen die Werte der Demokratie. Der daraus resultierenden Angst und Perspektivlosigkeit dürfen wir uns aber auf keinen Fall beugen und den ÖRR entsprechend dieser Vorstellungen demontieren.

Und trotzdem braucht der ÖRR mutige Reformen, weil die Zeit für sie gekommen ist. Der Betrieb zahlreicher, oft ähnlich ausgerichteter Programme ist nicht nur teuer, sondern verliert auch an Relevanz, schlicht durch den Wandel im Nutzungsverhalten der Zuschauer*innen. Der Anteil, der lineares Fernsehen konsumiert, wird von Jahr zu Jahr kleiner. In einer Zeit, in der Streamingdienste wie Netflix, Amazon und andere digitale Plattformen das Konsumverhalten der Menschen bestimmen, muss sich der ÖRR den veränderten Realitäten anpassen. Die einzige Antwort, die die Sender darauf in letzter Zeit fanden – wenn sie sich was trauten – war: Wir müssen auf die Plattformen! Funk macht Inhalte auf Tiktok, der SWR erfindet das „SWR X Lab“ oder der WDR den „Innovation Hub“; und die ARD-Audiothek läuft mit einem unübersichtlichen Programm über. Hinzufügen statt Bündelung als Patentlösung.

Angst und Perspektivlosigkeit scheinen die Themen zu sein, die die aktuelle Debatte über die Reformen der öffentlich-rechtlichen Sender bestimmen

Über diese Vorstellung müssen wir hinwegkommen und neue Visionen entwickeln. Das bedeutet, auch über die Zusammenlegung von 3sat und Arte zu reden. Beide Sender bieten hochwertige Kulturberichterstattung, europäische Perspektiven und zumindest oft anspruchsvolle Dokumentationen. Durch eine Zusammenlegung könnte ein stärkerer gemeinsamer Sender entstehen, der das Beste aus beiden Welten vereint. Das könnte Ressourcen sparen und einen klareren, attraktiveren Rundfunk schaffen. Das muss nicht bedeuten, Inhalte oder Arbeitsplätze zu opfern, sondern sie in eine modernere Form zu kippen, die den Ansprüchen des digitalen Publikums gerecht wird. Der ÖRR hat es verdient und es ist seine Aufgabe, durch eine Neuausrichtung im digitalen Raum an Relevanz zu gewinnen. Gut produzierte und recherchierte Inhalte könnten durch bessere Positionierung aus dem Programmdickicht hervorstechen. Und das könnte dann auch für die Streaming-Plattformen ein echter Konkurrent werden.

Wie das funktioniert, dafür gibt es Beispiele. Vielleicht hilft ein Blick in Nachbarländer, wie etwa Großbritannien, in denen eine solche Sendervielfalt wie hierzulande nahezu absurd erscheint; oder auf die Ergebnisse des Zukunftsrats, einem extra für Zukunftsvisionen des ÖRR geschaffenen Gremium, das Anfang dieses Jahres Reformvorschläge veröffentlichte. Auch die gemeinnützige Organisation Agora Digitale Transformation sieht einen starken ÖRR nur mit mutigen Schritten im Digitalen für relevant und will Anfang kommenden Jahres konkrete Handlungsempfehlungen für die Sender veröffentlichen. In der Zwischenzeit hilft den Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen ja vielleicht auch mal: durchatmen und Ballast abwerfen.