Prozess gegen Reuß-Truppe: Reichsbürger mit dem Richtertraum
Seit April wird in Stuttgart Reichsbürgern aus der Reuss-Gruppe der Prozess gemacht. Ein Mitglied spielt nun seine Rolle runter und gibt sich reuig.
Nur: Der Tag X fiel aus, das Geld war weg. Und seit Monaten nun verfolgt der verhinderte Revolutionsrichter den Prozess gegen sich und acht andere mutmaßliche Mitglieder der „Reichsbürger“-Terrorgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß von der Anklagebank aus, im Oberlandesgericht Stuttgart.
Die Aussage des 58-jährigen, mehrfach geschiedenen Mannes wirft ein Licht darauf, wie die Führungstruppe um den Prinzen ihre Untergebenen mit absurden Anreizen und Legenden an die Organisation gebunden hat. Er sei Lügnern und Betrügern aufgesessen, sagt Sch. heute. Alles habe sich bei ihm zu dieser Zeit um Q-Anon und die „Allianz“ gedreht, jenem angeblichen Zusammenschluss internationaler Mächte, in deren Auftrag Prinz Reuß gehandelt haben wollte. Heute glaube er „den ganzen Scheiß nicht mehr“ sagt Sch. vor Gericht. Sich davon zu lösen, sei, als gewöhne man sich das Rauchen ab.
Während in Frankfurt/Main über die Führungstruppe um Reuss der Prozess geführt wird, steht in Stuttgart der mutmaßliche militärische Arm vor Gericht. Das Gericht geht schrittweise vor. Zuletzt hatte es sich mit Markus Peter L.s Rolle beschäftigt, der bei einer Hausdurchsuchung im März 2023 das Feuer auf die Polizei eröffnete und dabei einen Polizeibeamten so verletzt hatte, dass er dauerhaft dienstunfähig ist.
„Mir war das zu viel“
Nun Ralf Helmut Sch. sagt im Stuttgarter Hochsicherheitsgerichtssaal drei Prozesstage lang aus. Die Staatsanwaltschaft wirft Sch. vor, mit einem weiteren Angeklagten in Tübingen und Freudenstadt eine sogenannte Heimatschutzkompanie aufgebaut zu haben. Diese Zellen von je etwa 150 Leuten sollten am Tag X vor Ort bewaffnet die Macht übernehmen, Rathäuser und Kasernen besetzen.
„Heimatschutztruppe, das kann man so oder so interpretieren“, sagt Sch. Er will seine Kompanie eher als eine Art technisches Hilfswerk verstanden haben, das die Menschen versorgt, wenn am Tag des Umsturzes schon mal Strom und Wasser ausfallen könnten. Der 58-Jährige mit der rasierten Glatze und der kleinen, eckigen Lesebrille auf der Nase, liest seine Aussage von handschriftlichen Notizen ab.
Er berichtet, wie ihn die Coronazeit, seine Impfskepsis und eine Lebenskrise zu den Reichsbürgern brachte. Er habe Corona nicht als große Bedrohung empfunden, sagt er. Außerdem sei ihm das mit den Maßnahmen alles verdächtig schnell gegangen. Seine Frau, die von ihm getrennt lebte, hatte große Angst vor dem Virus. Die Debatte darum habe ihn von seinem jüngsten Sohn entfremdet. Darunter habe er sehr gelitten.
Sch. will von seinem Scheidungsanwalt wissen, ob die BRD ein souveräner Staat oder doch eine Firma ist, wie er in Chats gelesen hat. Der Anwalt kündigt ihm das Mandat. Er vertrete keine Reichsbürger, bekommt er als Begründung. Sch. geht zu Montagsspaziergängen in Horb am Neckar und gerät darüber an die späteren militärischen Köpfe von Prinz Reuss, wie die ehemaligen Bundeswehroffiziere Marco van H. und Rüdiger von Piscatore.
Ja, es sei auch über Waffen geredet worden, berichtet Sch. Einer der Kollegen habe bei einem Treffen gesagt, er würde auch auf Plünderer schießen. Er habe das befremdlich gefunden. „Mir war das zu viel“, sagt Sch. Dass die Gruppe, der er da beigetreten war, und die, wie er selbst sagt, „Deutschland vom Tiefen Staat reinigen wollte“, auch Gewalt anwenden würde, will er verdrängt haben.
Verschwiegenheitserklärung mit Todesdrohung
Sch. hat allerdings auch die Verschwiegenheitserklärung der Organisation aufgesetzt. Den Text habe er im Wesentlichen aus dem Internet heruntergeladen, behauptet er. Nur den Satz, dass Verrat mit der Todesstrafe geahndet werde, habe er eingefügt – weil das Marco van H. von ihm verlangt habe und sich sonst niemand fand.
Es ist nicht nur der Wahnglaube eines verantwortungslosen Befehlsempfängers, der Sch. an die Gruppe band. Die Reuß-Truppe stellte dem Dachdeckermeister mit Geldproblemen eben auch eine nachrevolutionäre Karriere als Richter in Aussicht. Wenn erst die alte Ordnung beseitigt sei, könne man eine Firma gründen und dann Richter von Gnaden der Allianz werden, erzählte ihm Marco van H. Dazu müsse er ein wenig Völkerrecht und andere Gesetze lernen, dann gäbe es eine Prüfung.
Einem anderen Mitglied schrieb Sch., offenbar stolz auf dieses Angebot: „Im September werden eh alle, die Verantwortung haben, vor Gericht kommen. Da werde ich dann dabei sein.“ Als ihm das Gericht dies vorhält, redet Sch. seine Rolle lieber klein: Dabei sein als Zuschauer, habe er gemeint, nicht als Richter. Da habe ihm ja die Qualifikation gefehlt.
Und gerade als von Illuminaten und Blackout die Rede ist, legt am Montagnachmittag ein Stromausfall in Stuttgarter Stadtteil Stammheim auch den Prozess lahm. Er wird am Mittwoch fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen