Deutschland macht dicht

Die Bundesregierung hat als Reaktion auf den Terroranschlag von Solingen stärkere Grenzkontrollen beschlossen. Ob das zu mehr Sicherheit führt, ist fraglich

Seit Montag gibt es an allen deutschen Grenzen stationäre Kontrollen der Bundespolizei. Bundesinnenministerin Nancy ­Faeser (SPD) hatte dies als Reaktion auf den mutmaßlich islamistischen Terroranschlag von Solingen Ende August angekündigt. Doch was genau geschieht nun an den Grenzen? Und bringt das etwas?

Bislang hat die Bundespolizei schlicht die Praxis ausgeweitet, die zuvor auf die Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich, zur Schweiz und seit Kurzem auch zu Frankreich beschränkt war. Offiziell bedeutet das: stationäre stichpunktartige Kontrollen und die Zurückweisung von Flüchtlingen, die nicht explizit zum Ausdruck bringen, einen Asylantrag stellen zu wollen.

Noch nichts zu sehen ist indes vom Zurückweisungskonzept für Geflüchtete, für deren Asylantrag ein anderer EU-Staat zuständig ist (Dublin-Fälle). Das Innenministerium teilt hier auf Anfrage mit, das Konzept befinde sich „in der Vorbereitung und ist noch nicht in der Anwendung“.

Ob es an der Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, tatsächlich etwas ändert, wenn nun auch an den Übergängen zu den Beneluxstaaten und Dänemark kontrolliert wird, scheint fraglich. Marcus Engler vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung sagt: „Die Hauptmigrationsrouten sind das sicherlich nicht.“

Einen Effekt dürfte laut ihm aber „das Gesamtpaket der veränderten Politik und Stimmung in Deutschland“ während des letzten Jahrs haben. Die Ampel beschloss eine Verschärfung nach der anderen, während die öffentliche Debatte über Migration dramatisch nach rechts kippte.

Und schon vor der Ausweitung der Grenzkontrollen gab es einen deutlichen Anstieg der Zurückweisungen: Wurden im gesamten Jahr 2023 rund 35.000 Personen zurückgewiesen, waren es allein von Januar bis Juli 2024 schon etwa 26.000.

Menschenrechtsorganisationen vermuten, dass nicht alle dieser Zurückweisungen rechtmäßig waren, dass also Geflüchteten die Möglichkeit verwehrt wurde, einen Asylantrag zu stellen. Wiebke Judith von Pro Asyl verweist gegenüber der taz darauf, dass laut offiziellen Zahlen in den letzten Jahren Tausende Menschen aus Afghanistan und Syrien zurückgewiesen wurden. „Dass sie alle keinen Asylantrag stellen wollten, scheint sehr ­unrealistisch.“ Sie fürchtet, dass sich die mutmaßliche Praxis illegaler Pushbacks auf weitere Grenzabschnitte ausweiten könnte. Auch Engler sagt: „Der Eindruck liegt nahe.“ Das Innenministerium weist solche Vorwürfe auf Anfrage zurück.

Nicht nur Flüchtlinge dürften die Grenzkontrollen zu spüren bekommen. So drohen nicht nur Staus und gestörte Lieferketten, sondern auch eine Ausweitung rassistischer Polizeipraktiken. Es dürften wohl vor allem nichtweiße Personen kontrolliert werden, wenn gezielt Geflüchtete aus dem Grenzverkehr gefiltert werden sollen. Zwar beteuert das Innenministerium, diese Praxis gebe es nicht. Wiebke Judith von Pro Asyl sagt aber: „Die Ausweitung von Grenzkontrollen – egal wie ‚smart‘ sie angeblich sind – wird absehbar zu einer Verbreitung von völkerrechtswidrigem Racial Profiling führen.“

Nicht zuletzt dürfte die Ausweitung der Grenzkontrollen auch die EU langfristig schwächen. Ein Ende des Schengenraums sieht Marcus Engler vom ­DeZIM zwar noch nicht nahen, aber er sagt: „Dieser Schritt steht gegen alles, wofür die EU gegründet wurde. Insbesondere wird die dringend benötigte Zusammenarbeit im Flüchtlingsschutz damit unterminiert.“ Statt nationaler Alleingänge brauche es ein gemeinsames Vorgehen der EU-Staaten.

Frederik Eikmanns