kritisch gesehen: „wasserwelt“ am theater bremen: Kleiner Krebs will hoch hinaus
Ein rundes Plateau dreht sich in der Mitte der Bühne. Darauf: ein kompletter kleiner Unterwasserkosmos, gespeist von der Wärme der schwarzen Raucherin (Annemaaike Bakker). In 4.000 Metern Tiefe trifft hier das 300-Grad-Wasser aus dieser heißen Quelle auf eine Umgebungstemperatur nahe dem Gefrierpunkt. In dieser unwirtlichen Zwischenschicht entstehen kleine Biotope: Wie in einer Sitcom sitzen auf einem Seestern – anstatt eines Sofas – auf der Bühne nun ein kleiner Krebs (Jorid Lukaczik), zwei Bakterien (Matthieu Svetchine und Siegfried W. Maschek), eine Muschel (Judith Goldberg) und ein Röhrenwurm (Nadine Geyersbach). Dazwischen sind wie auf einem Jahrmarktskarussell noch andere Wassertiere angebracht, unter anderem drehen sich ein Delphin und eine Qualle mit.
Gemeinsam mit dem kleinen Krebs Nat verlässt die Scheibe die Tiefsee, um die darüber liegenden Meeresschichten zu erkunden – Nat nämlich möchte mehr von der Welt sehen. In einem ersten Lied feiern die kleinen Lebewesen ihre ewige Beschränktheit und das Aufeinander-angewiesen-Sein. Eher nebenbei lernen wir, dass die unberührte Natur eben nicht einfach nur gut, sondern auch gnadenlos ist – und langweilig.
Da unten, im Unterwassermatriarchat, so erfahren wir weiter, herrscht ewige Nacht. Durchbrochen wird sie schließlich vom Licht eines Unterwasserroboters, dem der Krebs zu folgen beschließt: Für Nat ist das ein religiöses, wissenschaftliches oder auch adoleszentes Erweckungserlebnis, und er beschließt, sich auf die Suche nach dem Tauchroboter zu machen. Alle Warnungen und Bitten derer, mit denen ihn bis zu diesem Punkt eine Art gemeinsames Schicksal verband, schlägt er in die Wellen.
Weitere Vorstellungen: Mi, 18. 9. (ausverkauft); Do, 26. 9., und So, 6. 10., Theater Bremen
Für Nat beginnt eine Reise ins Ungewisse – und für die Zuschauenden eine Phase der Langeweile. Egal, wie viele Tausende von Metern der kleine Krebs hinaufsteigt: Äußerlich verändert sich nur wenig. Eine Kolonie von Quallen kommt und verschwindet wieder, in einem Fangnetz begegnet er einem Blauwal; das Seekarussell dreht sich weiter, mal langsamer, mal schneller, so eben ist der Lauf der Dinge, dem der kleine Krebs eigentlich gern entkommen möchte. Einem Musical gemäß, wird die Handlung durch dialogisch oder im Chor gesungene Lieder unterstützt, aber auch die bleiben seltsam gleich: seichter Songbrei. Dieses Wasserstück möchte eine Parodie auf Musicals sein und es ist schon ein bisschen komisch, dass die Lippen sich nicht immer ganz synchron zum Gesungenen bewegen.
Die Rollen der Schauspieler*innen wechseln im Laufe des Stückes, unbemerkt – bis ihr Text darauf aufmerksam macht. Das ist bisweilen recht schön, wenn so ein Bakterium, zwischenzeitlich Blauwal und an der Wasseroberfläche dann zum kleinen Jungen wird: Gegen den Widerstand seiner Mutter (vorher ein Röhrenwurm) freundet er sich mit dem kleinen Krebs an. Dem aber kommt wiederum die Biologie in die Quere: Ein siebenjähriger Mensch und ein siebenjähriger Krebs sind nur scheinbar gleich alt. Der Junge hat das Leben noch vor sich, der Krebs seines schon hinter sich, wird zum Leidwesen seines neuen Freunds bald zum Sterben in die Tiefsee zurückkehren.
Der Abend (Regie: Felix Rothenhäusler) bietet ein paar wirklich schöne Momente, insgesamt überwiegt aber der Eindruck, man habe hier aufgrund einer laufenden Kooperation mit „Marum“, dem Zentrum für marine Umweltwissenschaften der Bremer Universität, etwas zum Thema produzieren müssen: Zu nachträglich wirkt die Vermittlung meeresbiologischen Wissens – und allzu einfach alle Musical-Genre-Parodie. Radek Krolczyk
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