Kampagne für Rücksicht im Verkehr: Monsterchen aus dem Hause Bonde
Aggression und Rücksichtslosigkeit sind echte Probleme auf Berliner Straßen. Die Senatsverkehrsverwaltung macht eine Muppetshow daraus.
Berlin taz | Die Netflix-Serie „Beef“ setzte letztes Jahr neue Standards für das, was im Englischen road rage genannt wird: Der zermürbende Kleinkrieg zwischen den beiden ProtagonistInnen nimmt seinen fulminanten Auftakt, als sie sich auf einem Parkplatz versehentlich in die Quere kommen. Beim Zurückstoßen kommt es fast zur Kollision, es folgen Gehupe, ein ausgestreckter Mittelfinger und kurz darauf eine erbitterte Verfolgungsjagd.
Straßen-Wut ist auch in Berlin ein alltägliches Phänomen, selbst wenn es nicht gleich zum Äußersten kommt. Rücksichtslosigkeit und „Platz da“-Mentalität potenzieren sich erfahrungsgemäß besonders dann, wenn die Beteiligten sich im Schutz ihrer metallenen Kapseln wähnen. Dabei verzerrt sich schnell auch die Wahrnehmung: Die Senatsverkehrsverwaltung verweist auf eine aktuelle Umfrage, laut der 89 Prozent der VerkehrsteilnehmerInnen sich selbst als sehr rücksichtsvoll beurteilen, aber nur 37 Prozent finden, dass die anderen Rücksicht nehmen.
Die nachgewiesenen Fälle von Nötigung im Straßenverkehr haben sich dann auch laut Verwaltung in nur fünf Jahren verdoppelt: von 1.925 Fällen in 2019 auf 4.100 Fälle in 2023. Dem will das Haus von Senatorin Ute Bonde (CDU) jetzt mit einer Aufklärungskampagne entgegenwirken: „Sei kein Verkehrsmonster“ lautet der Claim. Und weil Rücksichtslosigkeit etwas sehr Kindisches ist, setzt man dabei auf eine altersgemäße Bildsprache: Drei wuschelige Ungeheuer-Puppen in grellen Farben sollen Identifikationsangebote machen.
Wer geht gleich in die Luft?
Eine sitzt hinterm Lenkrad und sieht aus, als ginge sie gleich vor Wut in die Luft, eine andere überquert die Straße zu Fuß, während ihre Glubschaugen am Handy kleben (offenbar geht's nicht nur um Aggro-Verhalten). Das dritte Monsterchen wiederum gibt Rätsel auf: Es fährt ein Hollandrad mit Einkaufskorb, dabei aber offenbar so rasant, dass der Hintergrund tempomäßig verwischt.
Die pädagogische Krönung der Kampagne ist das Poster „Mensch bleiben mit Monster Yoga“. Es zeigt Posen wie den „Herumschauenden Hund“ (s. Abb.), der den Schulterblick trainieren soll.
Wirklich falsch ist der Ansatz ja nicht, auch wenn er das Problem reichlich banalisiert. Ob Utes Muppetshow die immer noch massiven Unfallzahlen mit bereits 39 Toten im laufenden Jahr (davon 17 FußgängerInnen und 9 RadfahrerInnen) verringern kann, sei dahingestellt. Mehr – statt weniger – Tempolimits wären mit Sicherheit wirkungsvoller.
Leser*innenkommentare
Stadtnachdenken / Berlin
Erinnert mich (wenn auch scheinbar lustiger) an die Kampagne mit den blauen Dosen vor ein paar Jahren, auf denen "Rücksicht" stand.
Ich frage mich allerdings, warum so eine Kampagne nicht durch die Senatsverwaltung "überprüft" wird, wie jede missliebige Radwegeplanung. Zum Beispiel darauf, wie diese Verharmlosung bei Menschen ankommt, die Angehörige bei "Unfällen" verloren haben. Ach, da hatte wohl jemand nur so einen Monster-Moment? Nicht. Lustig.