: Rettungslos zuversichtlich
Neun Filme stehen in Osnabrück im Wettbewerb um den Friedensfilmpreis. Beachtung verdienen vor allem die Produktionen aus ärmeren Ländern. Sie haben gute Chancen
Von Wilfried Hippen
Osnabrück schmückt sich mit dem Titel „Friedensstadt“ weil dort im Jahr 1648 einer der beiden Verträge des Westfälischen Friedens unterzeichnet wurde, mit dem der 30-jährige Krieg endete. In dieser Tradition wird auf dem Filmfest Osnabrück seit 2002 der Friedensfilmpreis verliehen, der mit 15.000 Euro ungewöhnlich hoch dotiert ist.
Als im vergangenen Jahr der bisherige Sponsor absprang, war nicht sicher, ob er auch weiterhin verliehen werden würde. Aber mit der Dieter-Fuchs-Stiftung hat sich ein neuer Spender gefunden. Im Wettbewerb laufen neun Filme, und das sind neben den Erfolgen von großen Festivals auch etliche kleinere Produktionen aus ärmeren Ländern, in denen nicht viele Filme gedreht werden. Und da die Filme von der Jury für ihr „humanistisches Weltbild und soziales Engagement“ ausgezeichnet werden, gewinnen hier nicht unbedingt die oft schon auf anderen Festivals ausgezeichneten Favoriten.
So setzte sich im Jahr 2006 mit „Rwanda – Die Hügel sprechen“ von Bernard Bellefroid ein kleiner Dokumentarfilm über die Volksgerichtsprozesse zum Völkermord in Ruanda gegen „The Wind That Shakes the Barley“ von Ken Loach durch. Der hatte zuvor die Goldene Palme in Cannes gewonnen. In diesem Jahr ist mit „In Liebe, Eure Hilde“ der neue Film von Andreas Dresen im Programm, der auf der diesjährigen Berlinale lief und am 17. Oktober in die Kinos kommt. Auch deshalb ist es spannender, sich auf dem Filmfest jene Filme anzuschauen, die anderswo kaum zu sehen sind.
Im Wettbewerb nämlich läuft mit „Dancing on the Edge of a Volcano“ von Cyril Aris beispielsweise ein Film aus dem Libanon. Einem Land mit so vielen Schwierigkeiten, dass es wie ein Wunder ist, dass dort überhaupt jemand die Energie und die Mittel aufbringen kann, um einen Film zu produzieren. Und genau dies ist das Thema dieses Dokumentarfilms, der im Grunde das „Making Of“ des libanesischen Spielfilms „Costa Brava, Lebanon “ ist, der 2021 in Venedig Premiere hatte.
Manchmal sind ja die Geschichten von den Dreharbeiten besser als die, die in den Filmen selber erzählt werden. Sagen lässt sich das über „Burden of Dreams“ von Les Blank oder Werner Herzogs „Fitzcarraldo“. Hier gilt es auch: Beschrieben wird, wie schwer es war, diesen Film zu drehen. Die Katastrophen häuften sich so extrem, dass er fast schon wie ein absurdes Theaterstück wirkt.
Kurz vor dem geplanten Drehbeginn flog 2020 in Beirut der halbe Hafen bei einer riesigen Explosion in die Luft. Einige Mitglieder des Filmteams wurden dabei verletzt. Der Kameramann verlor ein Auge.
Beim folgenden Zusammenbruch der Wirtschaft des Landes verlor die Produktionsfirma zwei Drittel des Budgets. Der Hauptdarsteller wurde im Flughafen festgehalten, weil er als Palästinenser einen von Israel ausgestellten Pass hatte. Ein Unwetter verwüstete den Drehort. Dazu kam dann auch noch der Coronalockdown.
Beeindruckend ist nicht nur, wie souverän die junge Filmemacherin Mounia Aki und ihr Team diese Probleme bewältigen, sondern auch, dass sie dabei ihre Ruhe und ihren Humor nicht verlieren. Dabei ist das Grundthema des Films, ob das Land überhaupt noch zu retten ist und ob man es nicht besser verlassen sollte.
Alle im Film stellen sich diese Frage, selbst eine zwölfjährige Kinderdarstellerin. Und so liefert der Film die Zustandsbeschreibung eines Landes in einer schweren Krise. Doch weil man hier auch Menschen dabei zusehen kann, wie sie aus all dem Chaos Schönheit kreieren, ist es dann doch ein optimistischer Film geworden.
In „Our Land, Our Freedom“ herrscht dagegen durchgängig eine niederdrückende Grundstimmung von Trauer und Wut. Das Regieteam Zippy Kimundu und Meena Hanji erzählt in dem Dokumentarfilm von den Nachfahren der Rebellen, die im Mau-Mau-Krieg für die Unabhängigkeit von Kenia gekämpft haben, aber bis heute an den Rand der Gesellschaft und in die Armut gedrängt werden.
Evelyn Kimathi ist die Tochter eines der Helden dieses Kampfes. Er wurde von den britischen Kolonialherren getötet und in einem Massengrab verscharrt. Sie kämpft darum, dass seine menschlichen Überreste gefunden und in einem Grab bestattet werden. Nur so kann seine Seele nach ihrem Glauben zur Ruhe kommen.
Der Film folgt ihr bei ihrer Kampagne, mit der sie auch für die anderen Nachfahren der Rebellen kämpft, die durch einen multinationalen Konzern aus ihren Heimatdörfern vertrieben wurden. So wird deutlich, dass kolonialistische Machtstrukturen auch in post-kolonialistischen Gesellschaften fortbestehen und die Tradition der Unterdrückung nur durch den politischen Kampf beendet werden kann.
Neben Kenia ist auch Madagaskar ein afrikanisches Land, aus dem nur wenige Filme international beachtet werden. So ist das Bemerkenswerte an dem Spielfilm „Disco Africa: A Malagasy Story“ von Luck Razanajaonas, dass darin fast dokumentarisch vom Leben junger Menschen erzählt wird. In den Edelsteinminen schürfen sie nach Saphiren, im Hafen verdienen sie sich mit Gelegenheitsarbeiten kaum Geld. Deshalb lassen sie sich dazu verlocken, durchs Schmuggeln von Edelhölzern zu coolen Pseudogangstern zu werden.
Es ist eine Coming-of-Age-Story, und ihren Plot hat man aus zahlreichen Klischees des westlichen Unterhaltungskinos zusammengebastelt. Interessant ist aber, dass sich auch hier der Held auf die Suche nach den verscharrten Resten seines Vaters macht, um sie rituell begraben zu können. Dieses Motiv verbindet die beiden ansonsten so unterschiedlichen afrikanischen Filme.
Filmfest Osnabrück Eröffnung 1. 10., 19.30 Uhr, Filmtheater Hasetor, mit Vorfilm „Sensitive Content“ und „Shahid“. Weitere Spielstätten: Lagerhalle, Haus der Jugend und Cinema-Arthouse. Bis 6. 10. Alle Infos unter www.filmfest-osnabrueck.de
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