press-schlag
: Wahlkampf wie vor hundert Jahren

Warum der Wettstreit um die Nachfolge von IOC-Chef Bach kein Wettbewerb der besseren Ideen ist

So viele haben sich noch nie zur Wahl gestellt für das mächtigste und prestigeträchtigste Amt, das der Weltsport zu bieten hat. Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind gern mal zu Gast in der Runde der mächtigsten Regierungschefs beim G20-Gipfel oder im Vatikan beim Papst. Gleich sechs Kandidaten bewerben sich für die Nachfolge von Thomas Bach. Und potz Blitz! zum zweiten Mal in der IOC-Geschichte gibt es zudem sogar eine Kandidatin. All das wurde diese Woche bekannt. Das riecht doch nach demokratischem Frühling. Tastet sich dieser vornehmlich elitäre Altmännerbund nicht schon seit geraumer Zeit an die Moderne heran? Waren bei den Olympischen Spielen in Paris nicht erstmals genauso viele Frauen wie Männer am Start? Und stellte das IOC dort mit seinen liberalen Transgenderregeln nicht seine Fortschrittlichkeit unter Beweis?

Ein Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf zeigt, dass die Strukturen des Systems von jeglichen Erneuerungsbestrebungen unberührt bleiben. Gespielt wird nach Regeln, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert haben. Ein Wettbewerb der besten Ideen, offener Streit und Auseinandersetzung sind unerwünscht. Ban Ki Moon, einst UN-Generalsekretär und nun Chef der Ethikkommission, erinnerte gerade in einem öffentlichen Brief an die Regeln der IOC-Charta. Offener Wahlkampf ist demnach den Kandidaten und der Kandidatin bis zur nächsten IOC-Versammlung im Januar unter­sagt. Erst dort dürfen sie ihr Programm den 111 Mitgliedern unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorstellen. Gewählt wird dann in geheimer Abstimmung im März. Die ent­scheidende Vorarbeit findet in Hinterzimmern statt.

Gut möglich ist, dass am Ende dieses klandestinen Prozesses Kirsty Coventry, Schwimm-Olympiasiegerin von 2004 und 2008, zur IOC-Präsidentin gekürt wird. Nachdem in den letzten gut 50 Jahren weiße alte Männer aus Europa die maßgeblichen Entscheidungen im Weltsport trafen, könnte eine Frau aus Afrika an der Spitze des mächtigen Dachsportverbands den Eindruck der Erneuerung stärken. Was die 41-jährige Coventry, derzeitige Sportministerin Simbabwes, allerdings aus Sicht von IOC-Kennern zu einer aussichtsreichen Kandidatin macht, ist anderes. Sie ist als Günstling von Thomas Bach in den Gremien nie durch Ecken und Kanten aufgefallen und könnte die Geschäfte im Sinne ihres Vorgängers fortführen.

Das Gegenteil würde die Wahl von Sebastian Coe bedeuten, der momentan noch den Leichtathletik-Weltverband anführt. Sein sportpolitisches Profil ist nicht nur am klarsten (strenger Ausschluss russischer Athleten, strengere Transgenderregeln und Beteiligung der Athleten an Gewinnen), sondern unterscheidet sich auch deutlich von den Weichenstellungen, die Bach vorgenommen hat. Weil er aber einen Fachverband vorsteht und mit 67 Jahren kurz davor ist, die IOC-Altersbeschränkung von 70 Jahren zu überschreiten, müssten ein paar Regeln durch Regelbefreiungen außer Kraft gesetzt werden. Ähnliche Probleme haben angesichts einer Amtsperiode von acht Jahren auch Kandidaten wie der Japaner Morinari Watanabe (65) oder Juan Antonio Samaranch jr. (64), dessen Vater bereits als IOC-Präsident 21 Jahre lang ein korruptes und autokratisches System prägte.

Dass sich keiner der aktuellen Kandidaten von den Vorschriften abschrecken lässt, veranschaulicht die Biegsamkeit des IOC. Regeln sind für künftige Präsidenten sowieso nur dazu da, um sie in ihrem Sinne zu verändern. Der Fassade kann zwar ein moderner Anstrich gegeben werden, grundlegende Veränderungen sind aber nur möglich, wenn das Fundament erneuert wird, das durch und durch antidemokratisch ist. Johannes Kopp