Frauenrechte in Georgien: Im Schlamm feststecken

Bei den Filmfestspielen in Venedig ist im Beitrag „April“ ein Georgien zu erleben, in dem Frauenrechte noch verbesserungsfähig sind.

Eine Frau in medizinischer Schutzkleidungsteht in einem dunklen Zimmer.

Ia Suchitaschwili als Nina in „April“ Foto: Arseni Khachaturan

Venedig taz | Dieses Jahr war es auf dem Lido vor allem heiß. Für Anfang September sind 30 Grad plus selbst in Venedig viel, dazu meistens drückend schwül. So war das Wetter eines der Themen, die die Filmfestspiele stetig begleiteten; neben Klagen über einen Jahrgang, der begrenzten Anlass zu Jubel bot.

Wie eine Erleichterung wirkte da am vorletzten Tag des Wettbewerbsprogramms das schon am Morgen aufziehende Gewitter mit Blitz und Donner und stürmischen Böen, bei denen man sich vor klassisch erhabener Naturspektakelkulisse etwas abkühlen konnte.

Das Wetter spielt auch in Dea Kulumbegaschwilis Wettbewerbsfilm „April“ eine wichtige Rolle. Ihre Protagonistin Nina arbeitet als Gynäkologin in einem Krankenhaus irgendwo auf dem Land in Georgien. Zu Beginn des Films sieht man sie bei einer Entbindung, alles läuft nach Plan, die angehende Mutter presst, schon bald kommt der Kopf des Kinds zum Vorschein.

Als die Nabelschnur abgetrennt wird, fragt die Mutter, warum das Kind nicht atmet. Die Szene ist von oben, als sogenannter Top-Shot, gefilmt, man sieht den Kopf der Mutter kaum, die Kamera konzentriert sich auf ihren Unterleib. Das Krankenhauspersonal huscht immer wieder ins Bild, ohne dass man die Beteiligten genauer erkennen könnte.

Wenn Abtreibungen heimlich gemacht werden müssen

Unterschiedliche Perspektiven auf den Unterleib wählt Kulumbegaschwili im Verlauf des gut zweistündigen Films wiederholt. Diese Körperzone bildet auch das Hauptthema des zweiten Films der georgischen Regisseurin.

Denn Nina hat nicht bloß mit Geburten zu tun, sondern auch mit Abtreibungen. Die bietet sie heimlich im Dorf an für Frauen, bei denen sie keinen anderen Ausweg sieht trotz der damit verbundenen Risiken. Immerhin läuft sie dadurch Gefahr, ihren Job zu verlieren. Als die Geburt vom Beginn des Films mit dem Tod des Neugeborenen endet, machen bald darauf Gerüchte über Ninas mutmaßliche Nebentätigkeit die Runde.

Nina wird dargestellt von Ia Suchitaschwili, die schon in Kulumbegaschwilis Spielfilmdebüt „Beginning“ von 2020 in der Hauptrolle zu sehen war. Nina hat etwas unterkühlt Makelloses, ihr mittellanges Haar ist penibel akkurat wie angeklebt nach hinten gekämmt, sie trägt stets Schwarz und steht oder sitzt fast reglos in praktisch allen Szenen des Films. Sie kann allem Anschein nach nicht aus ihrer Haut, lebt seit Jahren allein und sucht sich in der Umgebung gelegentlich Männer, die sie auf der Landstraße aufliest, für flüchtige Begegnungen.

Ein rauer Ton

„April“ arbeitet mit dem Kontrast zwischen großer Künstlichkeit bei den Interaktionen der beteiligten Personen einerseits und der Rauheit der weitläufigen Landschaft andererseits. Bei Dialogen stehen die Menschen steif in karg-sterilen Krankenhausräumen, sprechen tonlos. Doch sobald Nina mit ihrem Auto unterwegs ist, fängt die Kamera begierig die Natur mit den in weiter Ferne sich abzeichnenden Bergen und den sich am Himmel häufig auftürmenden Wolken ein.

Eines Abends, als Nina eine Abtreibung hinter sich gebracht hat, die zwar diskret verhüllend, aber trotzdem mit aufdringlicher Nahaufnahme für peinvoll dauernde Minuten eingefangen ist, gerät sie auf dem Rückweg in ein Gewitter und bleibt mit dem Wagen im Schlamm stecken. Dieser Moment könnte einen dramatischen Höhepunkt des Films bilden, Kulumbegaschwili löst die Szene gleichwohl getreu dem lakonischen Ton des Films eher trocken auf.

Illustration des Feststeckens

„April“ ist insofern eine Ausnahme im Wettbewerb, als dieser Film zu den wenigen Beiträgen gehört, der künstlerisch etwas ausprobiert. Zugleich hat die demonstrative Zurschaustellung dieser Sprödigkeit zusammen mit ein paar Ideen, die nicht recht zünden, etwas arg Bemühtes: So erscheint wie losgelöst vom Rest der Handlung regelmäßig eine Gestalt in faltiger Haut und ohne Gesicht, die als eine Art ­Alter Ego von Nina zu dienen scheint oder als Illustrierung ihres Feststeckens.

Große Wirkung erzielt Kulumbegaschwili damit nicht. Schade, denn ihr Film hat zusätzlich zu seinem Thema eigentlich viel, das für ihn spricht.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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