: Janusköpfige Borussen
Die Schwankungsbreite ist bei den Dortmundern ziemlich groß: In der Champions League feiern sie einen Kantersieg, gegen Union Berlin verlieren sie. Die Schwarz-Gelben scheinen sich im Mahlwerk der vielen Wettbewerbe zu zerreiben
Aus Berlin Fridolin Haagen
Dem höchsten Dortmunder Champions-League-Sieg aller Zeiten folgte am Samstag eine verdiente Niederlage bei Union Berlin. Nach dem 7:1 gegen den schottischen Meister Celtic Glasgow nun eine ernüchternde 1:2- Niederlage. Die Köpenicker zogen in der Tabelle jetzt sogar vorbei. Dass der BVB nicht auf drei Hochzeiten tanzen kann, war schon unter Jürgen Klopp so. Aber wo bleibt die spielerische Entwicklung, wo die Sichtbarkeit des angepriesenen Prozesses?
Auf eine Frage bei der Pressekonferenz nach dem Spiel, wie weit die Mannschaft vom Fußball entfernt sei, den Sahin spielen lassen möchte, wich dieser aus: „Ärgert mich maßlos, dass wir hier so ’ne erste Halbzeit spielen. Darüber können wir reden, aber über den Fußball, den ich sehen möchte, das ist, glaube ich, nicht der richtige Zeitpunkt.“
Worüber stattdessen geredet wird, ist der Vergleich zum Vorgänger. War es denn so gut, dass Edin Terzić gegangen wurde. Zweifellos war das geringe Vertrauen im Verein und bei den Fans ausschlaggebend für seinen Abgang. Die fehlende Konstanz im letzten Jahr jedenfalls ist geblieben. Die Frage ist, ob Sahin ebenfalls das Champions-League-Finale erreicht, den Bayern im Meisterschaftsrennen auf Augenhöhe begegnet oder den DFB-Pokal holt.
Im heimischen Westfalenstadion fuhr die Borussia in der Liga ausschließlich Siege mit einer 2-Tore-Differenz ein, zusätzlich der historische Sieg im internationalen Geschäft. Auswärts wartet Dortmund seit einem halben Jahr auf einen Sieg, auch gegen Phönix Lübeck (4:1 im DFB-Pokal) und gegen Club Brügge (3:0 in der Champions League) war die Leistung trotz gutem Ergebnis nicht gut.
Klar ist es im heimischen Stadion mit der gelben Wand schöner als irgendwo sonst, doch der Knackpunkt liegt woanders. Die englischen Wochen werden dem BVB zum Verhängnis. Beide Niederlagen in dieser Saison erfolgten nach einem Europapokal-Spiel unter der Woche. Das ist keine Rechtfertigung fürs Spiel gegen Union und schon gar nicht für die 1:5-Klatsche in Stuttgart, da die ja auch in der Königsklasse gefordert sind. Es ist aber ein Muster deutlich erkennbar. Keiner erwartet in jedem Wettbewerb 7:1-Siege am Fließband, aber selbstverständlich trägt der Trainer eine Mitverantwortung für die Diskrepanz von Liga- und Pokalspielen. Denn Sahin hat jetzt gegen Union auffällig wenig rotiert, einzig Neuzugang Beier rückte für den verletzten Adeyemi in die Startelf. Diese hat nicht nur einen fabelhaften Saisonstart erwischt, sondern jetzt auch noch einen Gala-Auftritt der Extraklasse gegen Celtic Glasgow. Drei Tore konnte der Flügelflitzer in der ersten Halbzeit für sich verzeichnen, in der zweiten Hälfte musste er nach wenigen Minuten verletzt runter, Diagnose: Muskelfaserriss.
Auch in der Innenverteidigung wurde nicht getauscht, und das obwohl sich Niklas Süle in stark verbesserter Form nach der Sommerpause präsentiert hatte. Auf den beiden Außenverteidiger-Positionen bot sich auch eine Möglichkeit, Bensebaini im Ligaspiel starten zu lassen, damit Ryerson auf seiner angedachten rechte Seite spielen kann. Doch der Ex-Unioner zeigte auch auf links eine kämpferische Leistung und brachte den BVB mit seinem Anschlusstreffer nochmal heran. Ein Spieler, der wie der ganze Verein in dieser Saison mit zwei Gesichtern auftritt, ist Jamie Gittens. Mit seinen Doppelpacks im Eröffnungsspiel gegen Frankfurt und beim Champions-League-Auftakt in Brügge sorgte er fast im Alleingang für jeweils drei Punkte. Erwähnenswert, dass er dies zweimal als Joker tat. Doch von Beginn an konnte er auch in dieser Spielzeit nicht im selben Maße überzeugen. Das mag daran liegen, dass er leichteres Spiel hat, wenn die Gegner bereits eine Stunde harte Arbeit in den Knochen haben.
Nuri Sahin, BVB-Trainer
Für genau diesen Fall hat Sahin mit Duranville, der wie Reyna auch noch ein wenig ausfällt, und Malen weitere Asse im Ärmel. Torwart Kobel befand nach dem letzten Rückschlag: „Wir haben kein schlechtes Spiel gemacht“, und damit liegt er richtig, es ist beim BVB nicht alles schlecht, es ist nicht alles großartig. Die Annahme, Dortmund drohe grundsätzlich in Bundesliga-Mittelmaß abzurutschen, ist maßlos übertrieben.
Die nächsten Wochen werden für das Team von Sahin definitiv wegweisend. Nach der Länderspielpause gastiert Aufsteiger St. Pauli, hier sind 3 Punkte eingeplant, auch wenn das nicht so leicht werden dürfte.
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