Pestizide im Grundwasser: EU-Recht erlaubt nationale Verbote

Ein Gutachten sieht Möglichkeiten, Pestizide mit PFAS-Wirkstoffen vom Markt zu nehmen. Aus Verpackungen und Jacken sollen PFAS verschwinden.

Mitgliedsstaaten haben das Recht, ein Mittel vom Markt zu nehmen, „wenn neue Erkenntnisse seine Unbedenklichkeit in Frage stellen“ Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die Bundesregierung könnte besonders gefährliche Pestizide verbieten, auch wenn sie eine europäische Zulassung besitzen. Das besagt ein Rechtsgutachten des Juraprofessors Peter Hilpold von der Universität Innsbruck im Auftrag der Umweltorganisation Global2000. Der renommierte Europarechtler Hilpold begründet seine Einschätzung vor allem mit dem Vorsorgeprinzip, das in der EU-Rechtsprechung eine zentrale Rolle spiele und zuletzt vom Europäischen Gerichtshof weiter konkretisiert worden sei.

So hätten die Mitgliedsstaaten das Recht, ein Mittel vom Markt zu nehmen, „wenn neue Erkenntnisse seine Unbedenklichkeit in Frage stellen und nahelegen, dass die Zulassungsanforderungen nicht mehr erfüllt sind“, heißt es in dem Gutachten. „Laut EU-Pestizidverordnung dürfen Mitgliedstaaten ein Pflanzenschutzmittel nur dann zulassen, wenn das Pestizid oder seine Abbauprodukte die Gesundheit oder das Grundwasser nicht gefährden“, sagt Hilpold: „Wenn sich herausstellt, dass ein Abbauprodukt eines zugelassenen Pflanzenschutzmittels das Grundwasser belastet, dann erfüllt das betreffende Pflanzenschutzmittel nicht mehr die Anforderungen für eine Zulassung.“ Dann sei die Zulassung aufzuheben oder so zu ändern, dass eine Kontamination des Grundwassers ausgeschlossen sei.

Das Zulassungsverfahren von Pestiziden ist in der EU zweistufig: Die europäische Ebene genehmigt die Pestizidwirkstoffe, die Nationalstaaten genehmigen die Mittel, in denen die Wirkstoffe eingesetzt werden. Der Wirkstoff Flu­fen­acet etwa findet sich laut ­Bundesamt für Verbraucherschutz in Deutschland in 36 Produkten, mit denen Landwirte die Wildkräuter Ackerfuchsschwanz und Windhalm bekämpfen. Das Herbizid gehört zu den PFAS, einer großen Gruppe von per- und polyfluorierten Chemikalien, die als sogenannte Ewigkeitschemikalien besonders im Visier der Behörden stehen.

Am Donnerstag kündigte die EU-Kommisision an, die Nutzung von einigen PFAS etwa in Kleidung oder Verpackungen künftig einzuschränken. Wir entfernen schädliche Stoffe aus Produkten, die die Bürger täglich benutzen, wie Textilien, Kosmetika und Lebensmittelverpackungen“, sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic. Dabei geht es etwa um Regenwesten, Pizza-Boxen, Imprägniersprays oder Hautpflegeprodukte. Eine Gruppe von Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, setzt sich in Brüssel allerdings dafür ein, die riesige Gruppe der PFAS-Chemikalien im Rahmen des Chemikaliengesetzes REACH generell zu beschränken.

Pestizide allerdings fallen nicht unter REACH, sondern haben eigene, strengere Regeln. Trotzdem stellen PFAS-Pestizide ein Problem da. „Flufenacet etwa zerfällt zu TFA, zu Trifluoressigsäure“, erklärt Susanne Smolka vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany). Dieser Stoff reichert sich in der Umwelt an und steht unter dem starken Verdacht, fortpflanzungsschädigend zu sein und Missbildungen bei Nachkommen zu verursachen. „TFA als Abbauprodukt von PFAS-Pestiziden gelangt durch den Boden und durch Flüsse ins Grundwasser“, sagt Smolka, „je länger wir diese Pestizide einsetzen, desto mehr TFA sammelt sich dort an“. Da in Deutschland Trinkwasser mehrheitlich aus Grundwasser gewonnen wird, sei das wichtigste Nahrungsmittel bedroht. Ob das zuständige Agrarministerium die Rechtsauffassung aus Innsbruck teilt, ließ es bis Redaktionsschluss offen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.