Hilfsangebote am Hamburger Hauptbahnhof: Konzentriertes Elend befürchtet

Ín einem Haus im Bahnhofsviertel will Hamburg Angebote für Suchtkranke und Obdachlose unterbringen. An­woh­ne­r:in­nen wollen lieber Housing First.

Es geht um das helle Haus links neben dem Baum. Rechts stehen Menschen auf einer Wiese vor dem Drob inn am Hamburger Hauptbahnhof.

Die Stadt will nahe des Hamburger Hauptbahnhofes weitere Hilfsangebote schaffen: Es geht um das helle Haus links neben dem Baum Foto: Christophe Gateau/dpa

Hamburg taz | Platz für ein großes Housing-First-Projekt gäbe es in dem leer stehenden Gebäude in der Repsoldstraße 27 am Hamburger Hauptbahnhof mehr als genug. 100 bis 200 Kleinstwohnungen, je nach Größe der Appartements, und begleitende Angebote für wohnungslose Menschen könnten in dem 6.500 Quadratmeter großen Gebäude entstehen. Das jedenfalls hat der Anwohnerverein St. Georg ausgerechnet.

Dessen Vorsitzender Michael Joho sagt zur taz, dass man diese Chance nutzen müsse, um angesichts des eher mäßigen Erfolgs des bestehenden Modellprojekts „Housing First Hamburg“ schnell möglichst viele Menschen von der Straße zu bringen und ihnen eine dauerhafte Perspektive zu geben.

Doch die Stadt hat andere Pläne für das Gebäude. Bis Ende des Jahres will die Sozialbehörde in dem siebenstöckigen Haus eine Reihe von Hilfsangeboten unterbringen. Wohnungen sind bisher keine geplant. Im April hatte das städtische Sozialunternehmen Fördern und Wohnen die Immobilie im Auftrag der Sozialbehörde gekauft.

Entstehen soll dort ein umfassendes und niedrigschwelliges Hilfsangebot für suchtkranke und wohnungslose Menschen, auch für Menschen ohne Papiere oder solche, die noch keinen Entzug hinter sich haben. Der Kauf stehe im Zusammenhang „mit umfangreichen sozialpolitischen Maßnahmen rund um den Hauptbahnhof“, heißt es auf taz-Anfrage aus der Sozialbehörde.

Der Anwohnerverein kritisiert, dass eine „massive Konzentration unterschiedlicher Hilfsangebote“ negative Konsequenzen für den Stadtteil mit sich bringe und „sozialpolitisch riskant“ sei

Das Konzept für das Gebäude werde derzeit entwickelt, so die Behörde. In einem ersten Schritt sollten möglichst bis Ende des Jahres „Tages- und Nachtschlafplätze für drogenkonsumierende Personen“ sowie ein „medizinisches und psychiatrisches Beratungsangebot“ entstehen. Weitere Funktionalitäten werden demnach zurzeit geprüft. Grob ließen sich die geplanten Angebote den vier Rubriken „Beratung, Übernachtung, Überlebenshilfe/Versorgung und Heranführung an Beschäftigung“ zuordnen. In diesem Zusammenhang werde auch das Thema Housing First geprüft, so die Behörde. Diese Ideen sollen aber jetzt mit den räumlichen Gegebenheiten des Gebäudes abgeglichen und weiter konkretisiert werden.

Massive Konzentration von Hilfsangeboten

Grundsätzlich begrüße der Anwohnerverein St. Georg, dass das Gebäude der Stadt die Möglichkeit gibt, „den ordnungspolitischen nun auch sozial- und gesundheitspolitische Maßnahmen folgen zu lassen“, schreibt er in einer Pressemitteilung. Die Dimension des Hauses aber berge „erhebliche Gefahren“. Die Kritik: Eine „massive Konzentration unterschiedlicher Hilfsangebote“ bringe negative Konsequenzen für den Stadtteil mit sich und sei „sozialpolitisch riskant“. Durch den Kauf des Hauses habe der Senat sich selbst unter Druck gesetzt, es „irgendwie vollzukriegen“.

Die Fülle an Angeboten, die Staatsrat Tim Angerer (SPD) im Juli im Stadtteilbeirat St. Georg vorgestellt hat, erscheine dem Verein „in dieser Konzentration und gleich neben dem Drob Inn“ „sozial z. T. nicht kompatibel“. Dort Notschlafplätze einzurichten, sei dringend erforderlich, betont auch Joho auf Nachfrage der taz. Daneben aber einen Trinkraum für Alkoholkonsumierende oder eine Pension für Saisonarbeitskräfte aus der EU einzurichten, führe unweigerlich zu Konflikten und widerspreche allen fachlichen Erfahrungen, schreibt der Verein.

An den Rand gedrängte Gruppen

Die Mitglieder des Anwohnervereins befürchtet außerdem, dass immer mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Gruppen in den Stadtteil am Hauptbahnhof gezogen werden könnten. St. Georg und das zum Stadtteil Hammerbrook gehörende Münzviertel auf der gegenüberliegenden Seite der Fernbahngleise seien deshalb als Wohnstandorte in Gefahr. Die Situation dort habe sich in den vergangenen drei Jahren zugespitzt, schreibt der Anwohnerverein: „Drogenkonsum und -handel, vermehrter Alkoholkonsum und aggressives Verhalten, vor allem eine starke Zunahme der Menschen ohne Obdach und ihre Verelendung sorgen in Teilen St. Georgs für immer angespanntere Verhältnisse.“

Hintergrund der Entwicklungen sei zum einen die Zunahme von Armut und Entwurzelung, Inflation und fehlendem, bezahlbarem Wohnraum. Die Zuspitzung sei aber auch Ergebnis der Hauptbahnhof- und City-Politik des rot-grünen Senats und des Bezirksamtes Mitte in den vergangenen Jahren. Die Einrichtung neuer Überwachungskameras, die Einführung eines Waffen-, Bettel- und Alkoholverbots sowie die Einführung der sogenannten „Quattrostreifen“, eine Kooperation von Polizei und Bundespolizei sowie zwei Sicherheitsdiensten, habe Auswirkungen wie in den 1990ern. Die Vertreibung der offenen Drogenszene um den Hauptbahnhof hatte damals dazu geführt, dass die Szene sich in andere Stadtteile, vor allem das Schanzenviertel, verlagerte.

Wechselwirkungen beobachten

Auch die Sozialbehörde will auf Nachfrage der taz nicht ausschließen, „dass die erhöhte Aufmerksamkeit an bekannten Aufenthaltsorten obdachloser und/oder suchtkranker Menschen auch zu räumlichen Bewegungen führt“. Ziel der Hilfsangebote am und um den Hauptbahnhof sei aber nicht, „Menschen von dort in andere Sozialräume zu verdrängen“. Die Maßnahmen seien „noch neu und ungewohnt“ und noch nicht voll umgesetzt, ihre Wirksamkeit könne erst beurteilt werden, wenn sie vollends umgesetzt seien. Sich ergebende Wechselwirkungen beobachte die Behörde genau, „um gegebenenfalls nachzujustieren“.

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