Gesellschaftliche Mobilität: Es gibt kein Bier auf Hawaii

Glück im Unglück: In der Quarantäne liegen zwar auch bei unserem Kolumnisten die Nerven blank, aber so richtig weit weg von zu Hause wollte er ja eh nicht.

Viele Schwimmer mit Badekappe und Schwimmbrille warten im Ozean auf Startschuss

Alle wollen nach Hawaii: Ironman-Schwimmer im Wasser Foto: Marco Garcia/dpa

Vorhin war ich im Getränkemarkt. Und auch wenn das auf den ersten Blick noch keine gute Geschichte verspricht, war es für mich doch ein ziemliches Abenteuer nach eineinhalb Wochen im Bett. Ich hatte Corona, etwas heftiger diesmal mit Fieber, diffusem Ganzkörperschmerz und anderem Mist, den man auch nicht haben möchte. Na ja. Ich musste jedenfalls dringend mal wieder an die Luft und hielt den Getränkemarkt für einen guten ersten Schritt.

Und so war’s dann auch: Ich kam 20 Minuten raus aus dem Siff, hab den „Tapetenwechsel“ genossen und bei den Ramschangeboten im Eingang ein alkoholfreies IPA gefunden, das wegen dezenter Salz-Beigabe irgendwie nach Meer schmeckt und ein bisschen hilft, wenigstens kopfmäßig auf Abstand zu gehen.

Dabei neige ich eigentlich nicht zum Fernweh. Die Urlaube meines Lebens kann ich an drei Händen abzählen und so wirklich weit weg war ich auch dienstlich nie. Schon als Jugendlicher fand ich Backpacking scheiße und eure Palmen auf Instagram lassen mich komplett kalt. Vor ein paar Tagen geisterte wegen der neuen Wolfgang-Herrndorf-Biografie ein Zitat des verstorbenen Schriftstellers durch meine Social-Media-Timeline. „Ich war nie in Amerika“, heißt es da, „ich stand auf keiner Bergspitze.“ Auf einem Berg war ich schon, in Amerika aber auch nicht.

Sinnsuche im Gaga-Schlager

An Udo Jürgens’ „Ich war noch niemals in New York“ macht mich gerade die Träumerei reizbar, während mir das gleiche Sujet bei Paul Kuhn Tränen der Rührung in die Augen treibt: „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ und (von wegen Getränkemarkt) „nur vom Hula-Hula geht der Durst nicht weg“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Man muss das ernst nehmen, wenn einem selbst der rassistische Gaga-Schlager mehr zum Herzen spricht als das ganze Gesindel, das einem auch die allerexistenziellste Krise mit der beknackten Idee zu lösen versucht, doch einfach mal irgendwo an den Strand zu fliegen.

Wir haben hier vor einer Weile mal „Pick Your Poison“ gespielt. Kennen Sie das? Das ist ein mittelmäßig spaßiges Partyspiel, bei dem je zwei Spielkarten mit schrecklichen Dingen drauf gezogen werden und es dann zu entscheiden gilt, welche von beiden die erträglichere wäre. Der Witz ist natürlich eigentlich, das Gegenüber einzuschätzen und zu erraten, ob es nun lieber ausschließlich Popel zu essen bekäme oder nie mehr in die Sonne dürfe. Meine Soziopathen-Crew spielt’s etwas anders und erklärt sich – statt sich auf die Ängste und Wünsche des Gegenüber einzulassen – lieber gegenseitig über Stunden, warum die letzte Entscheidung falsch war und was man da gerade wieder nicht zu Ende gedacht habe.

Angenervt abgebrochen haben wir die Partie damals über der Frage, ob es nun schlimmer sei, die Jahre bis zum Lebensende in maximal zehn Kilometer vom Wohnort zu verbringen oder aber nie wieder laufen zu können. Sie haben bestimmt eine Meinung dazu. Ich auch. Und es macht mich wirklich traurig, auch noch ernsthaft darüber diskutieren zu müssen, dass es einen auf irgendeine Weise weiterbringen könnte, etwas gesehen, gemacht oder abgehakt zu haben.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Trotzdem hatte ich eine gute Zeit im Getränkemarkt: nicht mal in der Nähe der 10-Kilometer-Grenze und trotzdem unter Menschen. Was mich über die Jahre übrigens immer weniger anrührt, sind die klimapolitischen Argumente gegen Fliegerei und globales Sightseeing. Viel schlimmer ist diese hartnäckig behauptete Legende, man käme da irgendwie open minded raus, weltmännisch, mit wertvollen Erfahrungen. Man hätte es mitbekommen, wenn die Flieger aus Thailand oder Malle erleuchtete, vernünftigere oder wenigstens glücklichere Menschen ausspuckten. Sie tun es aber nicht.

Und zum Schluss: Meine schlechte Laune tut mir leid. Das wird wieder besser, wenn erst die Coronamüdigkeit überwunden ist. Dann mach ich’s wieder gut und fahre irgendwo hin. Dann gibt’s wenigstens was zu erzählen.

Ach so, es gab übrigens ein Bier aus Hawaii im Getränkemarkt (Kona Brewing: sehr gut!), aber das führt jetzt vielleicht doch zu weit.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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