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Mobilitätsgesetz im VisierRadler sollen runterschalten

Offenbar will die Senatsverkehrsverwaltung das Mobilitätsgesetz abspecken. Ein Vorstoß der CDU-Fraktion vor einem Jahr war an der SPD gescheitert.

Sternfahrt zum großen Stern am Sonntag – und was kommt jetzt? Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Auf Lasten- und Falträdern, Tandems für bis zu vier Personen, Rikschas und stinknormalen Tourenrädern haben mehrere tausend Menschen am Sonntag gegen das Ausbremsen der Mobilitätswende durch den schwarz-roten Berliner Senat demonstriert. Mit Slogans wie „Fahrrad fahr’n statt Autobahn“, „Radwege für alle“ oder „Rad her, Stau weg“ ging es von der Stadtgrenze zur Siegessäule und dann zum Roten Rathaus – auf den ungefähren Routen der neun vorgesehenen Radschnellwege, von denen Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) nun lediglich eine definitiv einrichten lassen will.

„Mit uns wird es keine Aushöhlung des Mobilitäts­gesetzes geben“

Tino Schopf, verkehspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

Laut den aufrufenden Organisationen wie ADFC und Changing Cities radelten rund 3.000 Personen mit – ein Zehntel des Aufkommens der jüngsten ADFC-Sternfahrt im Juni, die gegenüber früheren Jahren auch schon stark geschrumpft ist. Vielleicht war die Hitze am mutmaßlich letzten Sommertag daran schuld. Vielleicht aber ist vielen RadfahrerInnen auch noch nicht wirklich bewusst geworden, wie konsequent die CDU in Parlament und Regierung daran arbeitet, die mit dem Mobilitätsgesetz gewachsenen Blütenträume zurückzustutzen.

Denn nach Informationen der taz bereitet die Verkehrsverwaltung dieser Tage einen eigenen Aufschlag vor, um das 2018 in Kraft getretene Gesetz abzuspecken – und zwar vor allem bei den Kapiteln zum Rad- und Fußverkehr. Angeblich geistert der 24. September als Termin durch das Haus am Köllnischen Park, an dem der Hausleitung ein Änderungspaket vorliegen soll, das sie dann zu gegebener Zeit dem Senat vorlegen könnte.

Bei vielen MitarbeiterInnen, die unter der siebenjährigen grünen Ägide eingestellt wurden, dürfte das auf keinen besonderen Enthusiasmus stoßen. Wie die taz erfuhr, soll ihnen kommuniziert worden sein, dass man sich im Zweifelsfall von allen Bestandteilen des Gesetzes trennen wolle, die formal juristisch verzichtbar seien – was auch immer das konkret bedeutet. Tatsächlich handelt es sich bei vielen Vorgaben des Gesetzes um Sollbestimmungen, deren Umsetzung einen entsprechenden politischen Willen in der Verwaltung voraussetzt.

Dass die CDU ein Interesse daran hat, die im Gesetz verankerte Privilegierung des Radverkehrs zurückzudrehen, ist dabei nichts Neues. Vor ziemlich genau einem Jahr war ein Entwurf der Abgeordnetenhausfraktion bekannt geworden, der an entscheidenden Stellen die Axt anlegte. Bei den Berliner Mobilitätswende-AktivistInnen stieß das auf große Empörung, aber auch die Koalitionspartnerin SPD signalisierte schnell, dass das mit ihr – die das Gesetz während der rot-rot-grünen Koalition mitbeschlossen hatte – so nicht zu machen sei.

Vorstoß für schmale Radwege

Besonders heftig eingeschlagen wäre die von den Christdemokraten damals vorgeschlagene Aufnahme verbindlicher Radwegebreiten in das Gesetz, die die im gültigen Radverkehrsplan festgehaltenen Maße außer Kraft gesetzt hätten. So hätte für Einrichtungs-Radwege nur noch eine Regelbreite von 2 Metern bei einer Mindestbreite von 1,50 Metern gegolten – derzeit sind es laut Radverkehrsplan regelhaft 2,30 und im sogenannten Vorrangnetz sogar 2,50 Meter, mindestens aber 2 Meter.

Für einen in beide Richtungen befahrbaren Radweg wäre die vorgeschriebene Breite von mindestens 4 Metern auf ein Regelmaß von 3 Metern bei einem zulässigen Minimum von 2,50 Metern zusammen geschnurrt. Möglich wurde all das in dem Entwurf durch eine weitere Änderung, welche die verbindliche Überholmöglichkeit unter Radfahrenden zur Streichung vorsah. Aus dem Gesetzestext werfen wollte die CDU auch den folgenden Absatz: „Bei im Vorrangnetz ausgewiesenen Straßen soll im Rahmen des geltenden Rechts dem Radverkehr als Teil des Umweltverbundes Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden.“

Inwieweit sich die offenbar nun von der Verkehrssenatorin angedachte Novelle an diesem Katalog orientiert, wird sich zeigen. Ihr Haus bestätigt nichts, und auch die CDU-Fraktion will sich nicht in die Karten schauen lassen, was eigene Bemühungen in dieser Richtung angeht. Nur, dass sich Anpassungen des Gesetzes „in der Bearbeitung und Abstimmung“ befänden, teilte ein Fraktionssprecher auf Anfrage mit.

Auch in diesem Fall ist jedenfalls davon auszugehen, dass es in der SPD Widerstand gegen einen derartigen Vorstoß geben wird. Zwar räumt der verkehrspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Schopf, gegenüber der taz ein, dass im Koalitionsvertrag eine Überprüfung der Mindestbreiten von Radwegen und die stärkere Berücksichtigung örtlicher Gegebenheiten vereinbart worden sei. Die Koalitionärinnen hätten sich aber „ebenso auf die Fahnen geschrieben, dass wir Verkehrspolitik für alle Berlinerinnen und Berliner machen“.

„Keine Aushöhlung“ mit der SPD

Dazu gehöre auch, „dass zu Fuß Gehende und Radfahrende nicht gegen den Autoverkehr ausgespielt werden dürfen.“ Mit der SPD, so Schopf, werde es „keine Aushöhlung des Mobilitätsgesetzes geben“. Für sie stünden „die Stärkung und der Ausbau des ÖPNV sowie der Fuß- und Radverkehr wie auch die Belange des Wirtschaftsverkehrs“ im Vordergrund. „Dem motorisierten Individualverkehr (MIV) kommt hierbei aus unserer Sicht eine untergeordnete Rolle zu.“

Bei den Grünen sieht man den möglichen Versuch zur Stutzung des Mobilitätsgesetzes mit Sorge. „Wir brauchen eine lebenswerte moderne Stadt, die die Schwächsten schützt und das Klima schont“, sagt die verkehrspolitische Fraktionssprecherin Oda Hassepaß. Das Mobilitätsgesetz sei die Grundlage dafür, eine Abschwächung nicht sinnvoll. „Die CDU sorgt mit den Änderungen wieder einmal für einen Rückschritt“, so Hassepaß: „Die Schwächsten kommen unter die Räder.“

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9 Kommentare

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  • Der zentrale Wurm im Verkehrssektor steckt in der Festlegung (StVO), daß über die Ausgestaltung des Verkehrsgeschehens nicht lokal, also z.B. in den Wohnvierteln entschieden wird, sondern immer von "oben" also in diesem Fall vom Senat. Oder darüber angesiedelt im Bundesverkehrsministerium.

    Das spiegelt sich in jeder Diskussion, in der sich an den Argumenten so gut wie immer erkennen lässt, wo jemand wohnt:

    (Zentral/Urban..Stadtrand/Speckgürtel.. Land).

    Deshalb geht es genauso schief, wenn jemand aus urbaner Sicht, Verkehrspolitik für die ganze Stadt machen will, wie umgekehrt wenn jemand aus der Vorstädterperspektive den Verkehr in der ganzen Stadt nach seinen/ihren Vorstellungen voran treibt..

    Genau in dieser unscharfen Festlegung liegt auch der momentane Konflikt um den Fahrradentscheid..wie eben alle urbanen Konflikte rund um die (jeweils subjektiv) richtige Verkehrspolitik.

    Die StVO stammt aus den 30er Jahren und wird den heutigen (urbanen) Anforderungen in kleinster Weise mehr gerecht..und wenn dann am ehesten den Vorstädter*innen und Autofreund*innen. Radfahrer- und Fußgänger* innen kommen dabei dann gerne mal unter die Räder.

    Und das kann so nicht bleiben..

  • Es war von vorherein klar, dass sich dieses Mobilitätsgesetzt nicht für Radfahrer, sondern gegen Autofahrer richtet. 3 m breite Radwege auf Hauptmagistralen, Kiezblocks um den Verkehr darauf zu lenken. So werden Staus provoziert die dann genutzt werden, um wiederum den Autoverkehr eindämmen zu wollen. Dies geht zu Lasten derjenigen, die sich das Auto gerade mal leisten können. Merkwürdig, die Linken haben früher für den Handwerker, den Arbeiter gekämpft, heute kämpfen sie für eine körperlich gesunde Gutmenschenelite mit kurzem Arbeitsweg.

    • @Eva Schreiner:

      Und außerdem sitzen immer mehr Menschen bei der Arbeit (und in der Freizeit), morgens und abends eine halbe Stunde auf dem Rad würde vielen gut tun! "Die Arbeiter", die körperlich malochen, werden immer weniger.

    • @Eva Schreiner:

      Der durchschnittliche Arbeitsweg in Berlin ist 10,4 km lang (bit.ly/47mdT2I). Alles was darunter ist, können gesunde Menschen, die nicht auch noch sperrige Dinge transportieren müssen, gut mit dem Fahrrad fahren.



      Wenn die Mehrheit der Arbeitnehmer dazu körperlich nicht in der Lage sein sollte, haben wir ein ganz anderes Problem.

  • Es ist doch einfach zum 🤮🤮🤮

    Aber wen wundert es, wer CDU gewählt hat, vielen Dank dafür .... , der Bekommt jetzt was er bestellt hat, absoluten Rückschritt in die 1960er. Wie kann man die Augen so sehr vor der Zukunft und dem was notwendig ist verschließen?

    Die Menschen in der Stadt können über jeden Radfahrer froh sein, der nicht mit nem Auto den Stau noch weiter in die Länge zieht.

    Ich versteh das nicht, auch nicht, dass es nicht mehr Menschen gibt die dagegen auf die Straße gehen. Die verdammte Stadt platzt aus allen Nähten, Im Sommer heizt sich der Beton auf wie Sau, die Menschen sind aggressiv und egoistisch.

    Hmm schöne neue bzw. alte sinnlose Welt, regiert von alten weißen Säcken, die nie auch nur einmal mit nem Rad gefahren sind.

    MFG danke für gar nix

    • @Impe:

      Bin alter weisser Sack und fast jeden Tag mit dem Fahrrad unterwegs, was in Berlin inz6 ganz gut geht. Ich brauche nicht überall 3 m breite Fahrradrennstrecken. Fahrradinvestitionen stehen auch in Konkurrenz zu anderen Ausgaben im Zeichen knapper Haushaltsmittel. Und zudem selbst Fahrradfahrer sind in der Mehrzahl bequeme Wohlstandsmenschen. Im Winter, spätabends oder bei Regen sind die Fahrradpisten oft ziemlich untergenutzt....

      • @Eckhard Hanseat52:

        Es geht vorrangig nicht darum „alten weißen Säcken“ 😉, die eh schon mit dem Rad unterwegs sind, das Radfahren noch bequemer zu machen. Es geht u.a. darum, das Radfahren sicherer zu machen und v.a. auch Menschen, die jetzt (noch) nicht mit dem Rad unterwegs sind, die Infrastruktur zu bieten, um sie zum Umstieg aufs Rad zu bewegen. Damit würde man die Straßen entlasten zugunsten derer, die mit dem Auto fahren müssen und mittel- und langfristig auch Haushaltsmittel sparen. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes kostet Autofahren die Gesellschaft 3 Cent pro Kilometer an externen Folgekosten für Umwelt und Gesundheit. Dänische Studien gehen sogar von 15 Cent aus.

      • @Eckhard Hanseat52:

        Fahren sie doch mal die Königstraße mit dem Drahtesel entlang. Bis zur Glienicker Brücke gibt es auf jeder Seite 2 Fahrradwege. Schildbürgersteich?

        • @Horst Schlichter:

          Die Königstraße hat ab der Wannseebrücke einen Hochbordradweg (Betonplatten, müssten mal neu verlegt werden) auf beiden Seiten.



          Stadtauswärts endet der Hochbordradweg an der Ecke Otto-Erich-Straße, der Fußweg ist mit "Radfahrer frei" bezeichnet (was Schrittempo bedeuet); stadteinwärts kommt man dort von einem benuzungspflichtigen Radstreifen; der alte kombinierte Geh- und Radweg ist reiner Fußweg.



          Ab Ecke Friedenstr. gibt es auf beiden Seiten den benutzungspflichtigen Radtstreifen bis zur Kreuzung Nikolskoer Weg / Am Waldrand.



          Der Rest bis zur Glienicker Brücke verfügt auf beiden Seiten über einen Park- und einen Radstreifen (Angebotsstreifen). Es gibt außerdem noch den alten Hochbordradweg, der aber nicht mehr in Schuss gehalten wird.



          Was die Schildbürger damit zu tun haben, erschließt sich mir nicht.