Umweltexperte über Argentinien: „Für Milei nur ein Kostenfaktor“

Nachhaltigkeit ist in Argentinien nur gefragt, wenn sie beim Export hilft, sagt Verbandschef Andrés Nápoli. Bergbaukonzerne dagegen würden hofiert.

Nicht alle sind zufrieden mit der exportorientierten Wirtschaftspolitik Argentiniens: indigener Protest gegen eine Lithiummine Foto: Mariana Nedelcu/zuma/imago

taz: Herr Nápoli, vergangene Woche hat Argentiniens Präsident Javier Milei das sogenannte Rigi-System in Kraft gesetzt. Es soll Großinvestitionen fördern. Von den Steuer-, Zoll- und Wechselkursvorteilen profitieren der Bergbau und die Ausbeutung von Schieferöl- und Gasvorkommen. Sind denn für diese Branchen überhaupt Anreize nötig?

Andrés Nápoli: Es gibt einen Konsens in der politischen Klasse, dass Argentinien nur durch den Export von Rohstoffen gerettet werden kann. Der soll die notwendigen Dollar für das Wirtschaftswachstum generieren, den heimischen Markt erweitern und die Integration Argentiniens in den Weltmarkt stärken. Das Rigi-System treibt dies auf die Spitze.

ist Exekutiv­direktor der 1985 gegründeten nichtstaatlichen Umweltorganisation Fundación Ambiente y Recursos Naturales.

taz: Spitze auch in Sachen Umwelt- und Klimaschädigung?

Nápoli: Ja. Nun müssen keine Umweltverträglichkeitsstudien mehr erstellt werden, die Bundesjustiz kann alle neuen Schutzbestimmungen der Provinzen für nichtig erklären. Viel schlimmer ist jedoch, dass den Konzernen für 30 Jahre garantiert wird, auf die erforderlichen Ressourcen zugreifen zu dürfen – was beim Bergbau vor allem enorme Mengen Wasser sind. Wie kann eine Provinz das tun, in der das Wasser ohnehin knapp ist?

taz: Milei hat bereits das Umweltministerium aufgelöst und die Mittel für die Umweltpolitik um rund 65 Prozent gekürzt. Die Umwelt ist nun ein Anhängsel des Sekretariats für Tourismus und Sport. Was ist von der Umwelt- und Klimaschutzpolitik noch übrig geblieben?

Nápoli: Das Ziel der Regierung ist es, alle Staatsausgaben zu kürzen, die Umweltpolitik wird nur als Kostenfaktor betrachtet. Im Staatshaushalt sind keine Mittel dafür vorgesehen: Es gibt also einfach keine Umwelt- und Klimaschutzpolitik mehr. Aber es gibt internationale Verpflichtungen. Argentinien hat 1992 das Rio-Abkommen und 2015 das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Und es gibt ein nationales Klimagesetz, das ein Klimakabinett vorsieht, dem Ressorts wie Energie, Landwirtschaft und Industrie bis spätestens kommenden März ihre Emissionsreduktionsziele vorlegen müssen. Was aus all dem wird, ist derzeit allerdings völlig unklar.

taz: Können Umwelt und Klima in einem Land geschützt werden, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt?

Nápoli: Es geht nicht anders: Seit über 20 Jahren haben alle Regierungen ein exportorientiertes Wirtschaftsmodell gefördert. Das hat in Argentinien keine Wertschöpfungskette geschaffen, sondern zu 65 Prozent Armut geführt. Allerdings ist es heute nicht mehr möglich zu exportieren, ohne bestimmte Umweltstandards einzuhalten. Man kann keinen wichtigen Markt erschließen und teils sogar juristisch haftbar gemacht werden, wenn man sich nicht an die internationalen Vereinbarungen hält.

taz: Gibt es Widerstand gegen Mileis weitere Demontage des Staates?

Nápoli: Es gibt eine starke Zivilgesellschaft. Versammlungen und Komitees auf regionaler Ebene und starke Nichtregierungsorganisationen auf nationaler Ebene haben Einfluss und beispielsweise wichtige Gerichtsurteile erstritten – wie kürzlich in Catamarca in Sachen Lithiumabbau oder beim Widerstand in Jujuy gegen den Wasserverbrauch ebenfalls beim Lithiumabbau.

taz: Argentinien hat durchaus strenge Schutzgesetze beschlossen, etwa das Waldschutzgesetz und das Gletscherschutzgesetz. Was ist mit denen?

Nápoli: Diese Gesetze wurden von der Zivilgesellschaft erkämpft. Wald- und Gletscherschutz waren kein Politikbereich. Erst durch diese Gesetze wurde der Schutz überhaupt zu einer staatlichen Aufgabe, deren Umsetzung nun eingefordert werden kann. Das Problem in Argentinien ist, dass zwar der Nationalstaat solche Gesetze erlassen kann, aber die Provinzen für deren Umsetzung und Einhaltung verantwortlich sind.

taz: Trotz des Waldgesetzes gibt es immer wieder Berichte über zweifelhaft genehmigte oder schlichtweg illegale Abholzungen. 2025 tritt die EU-Richtlinie zu entwaldungsfreien Lieferketten in Kraft. Kann sie helfen, solche Abholzungen zu verhindern?

Nápoli: Ja, sie ist ein gutes Instrument. Sie hat Milei zum Einlenken gebracht. Denn eigentlich wollte er alle Schutzbestimmungen aus dem Waldschutzgesetz außer Kraft setzen. Er ist aber nicht umgeschwenkt, weil er plötzlich den Waldschutz entdeckt hat, sondern weil der Zugang zu einem wichtigen Absatzmarkt versperrt gewesen wäre.

taz: In Europa besteht eine große Nachfrage nach Kupfer, Lithium und seltenen Erden für den Übergang zur Elektromobilität, über die Argentinien verfügt. Könnte diese Nachfrage auf nachhaltige Weise gedeckt werden?

Nápoli: Es gibt keinerlei Rückkopplung, bei der Argentinien beispielsweise Rohstoffe für die Energiewende in Europa liefert und zugleich die Energiewende in Argentinien vorangebracht würde. Es geht immer nur um Investitionen, mittels derer die Rohstoffe auf dem europäischen Markt landen. Und dort geht es vor allem um den Austausch von Luxusverbrennerautos durch Luxuselektroautos. Argentinien ist nicht dazu verpflichtet, diese Nachfrage zu befriedigen, und sollte das auch nicht tun.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.