piwik no script img

Die WahrheitZurück zu Mutti!

Der Geheimplan zur Rettung der Bundesrepublik Deutschland in gefährdeten Zeiten. Ein politischer Kommentar mit weiträumigem Durchblick.

Das weiße Kaninchen ist zur Rettung des Gemeinwesens bereit Foto: Paul Langrock/Zenit

Die deutsche Demokratie ist gescheitert. Wiedergeborene Nazis und rotlackierte Putinisten haben sie im Schwitzkasten und zu Boden gerungen. Und die Demokratie wehrt sich nicht. Sie ist angezählt: drei, zwo, eins … – das Ende ist nahe.

So oder so ähnlich lauten die Kommentare der Politbeobachter nach den fatalen Landtagswahlen in Dunkeldeutschland. Und doch erkennt niemand das Gute im Unglück. Denn ist Scheitern nicht etwas Wunderbares? Sind gescheiterte Helden nicht die einzig wahren Heroen? Und bietet sich ihnen nicht ein fantastischer Ausweg?

Deutsche sind unentwegt unglücklich, weil sie sich aus der eisernen Umklammerung ihrer Begierde, glücklich sein zu müssen, nicht lösen können. Glück aber ließe sich auch auf anderen Wegen erreichen: auf dem Rücken der Pferde, im dauernden Konsum von Bier, Wein und Schnaps und anderer berauschender Drogen oder im Ablegen des Deutschseins.

Doch ist das alles wenig praktikabel – nicht alle Deutschen können reiten oder trinken, kiffen oder nicht mehr sie selbst sein. Dabei gibt es eine ganz einfache Lösung, die, wie das weiße Kaninchen aus dem Hut zu zaubern, leicht ist: Zurück zu Mutti!

Schweißgebadetes Erwachen

Wer kennt es nicht: Schweißgebadet wacht man nachts auf und hat davon geträumt, zur Schule zurück, das Abitur noch einmal machen zu müssen. Ein klassischer Versagenstraum, in dem sich alle Ängste vor der Zukunft ballen. Das Perfide allerdings ist, dass mit den Jahren dieser wiederkehrende Traum nicht aufhört, sondern sich verlagert: Plötzlich träumt man davon, in die Vorschule zurück, die Erniedrigungen als I-Dötzchen noch einmal erleben zu müssen. Und am Ende steht die Mutter aller Albträume: die Geburt und der Kanal, durch den wir alle die Welt betraten. Es hört nie auf! Aber warum sollte es auch?!

Wir müssen uns aus der eisernen Umklammerung des gefürchteten Albtraums befreien und die sagenhafte Lösung der Wirklichkeit annehmen – die Rückkehr ins Hotel Mama. Für die es genug historische Vorbilder gibt.

Abgerockte Turnschuhe

Boris Becker, der nach seinem längeren Aufenthalt in einem englischen Gefängnis nach Deutschland heimkehrte und, wie kolportiert wird, mittellos nach Leimen ins Haus seiner Mutter zog. Die polnischen Kaczyński-Zwillinge, immerhin Staatsmänner von Rang, die ihr Leben lang bei ihrer Mutter lebten und letztlich scheiterten, ohne sie je verlassen zu müssen. Oder der allseits geliebte Held der Fußballwelt, Reinhard „Stan“ Libuda, der verarmt und in seinen abgerockten Turnschuhen bei seinem alten Muttchen auf der Couch starb.

Eine rührende und traurige Geschichte, die allerdings Ausnahme und kein Vorbild sein sollte. Hinfallen und aufstehen und zurückgehen! Das muss der Leitsatz für eine am Boden zerstörte Nation sein, die sich aufrichtet wie der deutscheste aller Deutschen, Boris Becker, im nostalgischen Rückblick auf die warme Küche der Erzeugerin. „Futtern wie bei Muttern“, lautet der mit letzter Kraft ausgestoßene Schlachtruf der Heimkehrer. Die Trauben des Muttertiers hängen eben nie zu hoch, sondern stets zum Stillen bereit vor den hungrigen Mäulern.

Und das übertragen wir jetzt mal rein analytisch auf die deutsche Gesellschaft im Demokratieschock und stellen die simple Frage: Wann nimmt Angela Merkel uns endlich zurück und rettet die deutsche Demokratie? Insgeheim sehnen wir uns doch alle nach den Merkel’schen Jahren der Prosperität. Nach der Idylle der Krisen: die Finanz- oder Flüchtlings-, die Euro- oder Coronakrise, die alle einfach durch Nichtstun besiegt wurden.

Nein, das ist kein Albtraum des Versagens, wie uns die Ewiggestrigen vormachen wollen, die Merkel hassen wie die Pest. Das ist gelebte und geliebte Demokratie, das Scheitern zuzugeben und zum Helden der eigenen Wehmut zu werden, indem wir dahin gehen, wo es wehtut. Mutti, wir kommen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Genialer Artikel!

  • Auf das kommende Biografiebuch bin ich gespannt, ich werde es lesen.



    Merkel hätte dabei 2013 auch im Bundestag abgewählt gehört, die Mehrheit wäre herzustellen gewesen.



    Das hätte uns bei Umwelt, Energie, Wirtschaft und Sozialem einiges an Fortschritt gebracht.

    Inhaltlich: die Leute, die braunblubbern, wollen doch mindestens zu Kohl oder Adenauer zurück - dagegen hilft einfach ein gutes Gedächtnis.

  • Onkel Theo Waigel nicht vergessen und Opa Kohl reanimieren. Vielleicht sind unsere Politiker wirklich zu flach, langweilig und uninteressant. Alle sind dann bei Muttchen in der Küche, es dampft auf dem Herd und im Ofen steht der Hefezopf.