Die Wahrheit: Pager und Pizza
Ein explosives Essen mit Ellroy, Jerofejew, Putin, dem Mossad und der Hisbollah und einem kleinen schwarzen Ding, das unscheinbar da liegt.
Im Lula. Pizza essen. Kein Italiener. Wie 90 Prozent der grünweißrot geflaggten Läden. Aber die Indonesierin machte die beste im Umkreis von einer Meile.
In letzter Zeit zu viel Ellroy gelesen. James Ellroy. Härteste Hardboiled-Krimis. „L. A. Confidential“. Kurze Sätze. Kurze Gedanken. Oder wie ich immer sage: Kurze Sätze sind Faschismus.
Ich kippte das erste Bier runter. Ein österreichisches Helles. Schmeckt nach Hitler. Würde Ellroy schreiben. Ging zur Theke. Bestellte eine mit Thunfisch. Das leichtbekleidete Girlie an der Kasse lächelte mich an. Schlüsselloch-James würde sie Muschi nennen. Sie überreichte mir einen Pager. Signalisierte, wenn die Pizza fertig ist.
Am Tisch beäugte ich das kleine schwarze Ding. Hatte eine Nummer aufgeklebt. Sonst völlig unscheinbar. Noch gar nicht lange her, dass Tausende von ihnen im Libanon in die Luft geflogen waren. Extrem blutige Sache. Und wenn mich jetzt jemand …?
Aber wer? Der Mossad? Ich bin doch auf der Seite der „fucking Jews“. Würden die Bullen bei Ellroy sagen. Und die Gegenseite? Die anderen lernen schnell. Hatte ich nicht gerade erst den Hisbollah-Führer Nasrallah in einem Buch verspottet? Als Terror-Scheich mit Souvenir-Business?
Oder der FSB? Der russische Geheimdienst. Ob ich eigentlich Angst vor Putin hätte, bei dem, was ich über den Zaren und seine Narren alles zum Besten gebe, hatte Old Udo kürzlich beim monatlichen Brückentrinken gefragt. Fuck Putin, hatte ich sarkastisch gelacht. Die Flaschen stießen klongend aneinander. Bin viel zu kleines Licht. Der Jerofejew. Der muss sich vorsehen. Ganz anderes Kaliber. Der weiß, dass ihn der große Gopnik killen will.
Ich kippte das zweite Bier runter. Warten. Auf den schwarzen Kasten starren. Warten. Schweißperlen von der Stirn wischen. Plötzlich heulte der Pager los. Und alle explosiven Gedanken erstarben.
Thunfisch mit Kapern. Stand auf der Theke. Pizza mit Kapern. Das Lieblingsessen von Marilyn Monroe. Morgens, mittags, abends. Schmeckt nach Muschi. Behauptete Ellroy.
Ich drückte dem lächelnden Girlie den Pager in die Hand. Trug die heiße Scheibe vorsichtig rüber zum Tisch. Die Pizza schmeckte nach Angstschweiß.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus