Femizide in Berlin: Fußfesseln gegen das Patriarchat

Nach zwei Femiziden in der vergangenen Woche plädiert die Justiz­senatorin für Fußfesseln. Opposition und Polizei sind skeptisch.

In Berlin gab es in diesem Jahr bereits 11 Femizide, es wird eine hohe Dunkelziffer vermutet Foto: Fabian Sommer/dpa

Berlin taz | Elf Frauen wurden in diesem Jahr in Berlin bereits ermordet, weil sie Frauen sind. In der vergangenen Woche kam es erneut zu zwei Femiziden in Zehlendorf und Friedrichsfelde, ein weiterer Messerangriff eines Mannes auf eine Frau in Reinickendorf konnte gerade noch abgewendet werden.

Justizsenatorin Felor Badenberg äußerte sich noch am Samstag zu den Gewalttaten: „Wir müssen endlich etwas gegen diese brutalen Morde von Männern an Frauen tun“, sagte die CDU-Politikerin. Sie forderte strenge Schutzmaßnahmen und sprach sich für den Einsatz elektronischer Fußfesseln bei Männern aus, gegen die wegen häuslicher Gewalt eine Anzeige vorliegt. Kurzfristig angeordnete Kontaktverbote, welche die Polizei bislang gegen Täter verhängen kann, wirkten häufig nicht.

„Wir erleben nicht selten, dass sich gewalttätige Männer trotz Kontaktverbot Frauen nähern“, bestätigte der Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Benjamin Jendro, am Montag gegenüber der taz. Selbst wenn Männer trotz eines bestehenden Kontaktverbots wiederholt gegen die Auflagen verstoßen, dauere es oft zu lange, bis Gerichte entschlossen handeln, so Jendro.

Fußfesseln sollen es ermöglichen, die Frauen vorzeitig zu warnen, wenn der Gefährder den vorgegebenen Abstand nicht einhält. Derzeit prüfe die Justizverwaltung, was auf Landes- und Bundesebene möglich ist, sagte eine Sprecherin der taz. Bislang ist der Umgang mit Fußfesseln weitgehend Ländersache. Badenberg appellierte an Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), das Gewaltschutzgesetz entsprechend zu novellieren. Hessen startete dazu bereits eine Bundesratsinitiative.

Polizei und Grüne sehen Fußfesseln skeptisch

„Es ist gut, dass die Senatorin sich dem Thema annehmen möchte“, sagt die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, Bahar Haghanipour. Das Konzept sei jedoch nicht ausgereift. „Es geht darum die Betroffene zu schützen“, sagt sie. Sie zweifle daran, dass das durch Fußfesseln gelingt, und wertet den Vorschlag Badenbergs als eine „Ablenkungsdebatte von den eigentlichen Problemen“.

Auch bei der Polizeigewerkschaft GdP wird der Vorschlag kritisch betrachtet. Rechtlich sei es bereits möglich Fußfesseln bei Gewalt- und Sexualstraftätern als Auflage nach Absitzen einer Haftstrafe zu erteilen. In der Umsetzung ordneten Rich­te­r*in­nen dies jedoch selten an. „Fußfesseln sind ein massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen“, sagt Jendro. Hinzu kämen die „durchaus sperrigen Abläufe“. Die Signale, durch die Frauen gewarnt werden, werden zentral in Hessen erfasst, die dortige Direktion müsse das dann erst an die Berliner Kol­le­g*in­nen weitergeben. Einen Mann mit Tötungsabsichten würde eine Fußfessel eher nicht aufhalten, glaubt Jendro.

Zu den Femiziden in Berlin äußerte sich auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und verwies auf das Gewalthilfegesetz, das sie derzeit erarbeite. Es soll allen Betroffenen Anspruch auf Hilfe einräumen und für mehr Prävention sowie Schutzplätze sorgen, an denen es auch in Berlin dramatisch mangelt. Derzeit gibt es in Berlin nur 462 Plätze. Laut der Istanbul-Konvention, die die Bundesregierung 2017 ratifiziert hat, müssten es eigentlich knapp 1.000 sein.

Bahar Haghanipour drängt daher auf die Realisierung des Landesaktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, den der Senat im Oktober vergangenen Jahres verabschiedet hat und der den Ausbau von Frauenschutzplätzen vorsieht: „Schwarz-Rot soll sein Haushaltschaos beenden und das Geld für den Gewaltschutz ausgeben, als es versanden zu lassen.“

Frauenprojekte von Haushaltskürzungen betroffen

Zudem hatte der Senat bereits 2022 ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Verhinderung von Femiziden beschlossen. Im Doppelhaushalt 2023/24 waren darüber hinaus 24 Millionen Euro – und damit 9 Millionen Euro mehr als zuvor – für den Bereich Antidiskriminierung zugesagt. „Ein Teil kann wegen der Haushaltskürzungen ohnehin nicht ausgegeben werden, der Rest wurde noch immer nicht ausgegeben, obwohl es bereits September ist“, kritisierte Haghanipour.

Letztlich brauche es auch mehr Präventionsangebote sowie verpflichtende sogenannte Täterkurse, fordert Nua Ursprung von der Berliner Initiative gegen Gewalt (BiG). Deren Hotline hat in den Monaten Mai, Juni und Juli die höchsten Anrufzahlen seit vor der Coronapandemie verzeichnet. Die BiG konnte Kürzungen für ein Präventionsprojekt in Grundschulen, gefördert von der Bildungsverwaltung, nur gerade so abwehren. Vielen anderen Orten und Programmen für Frauen ist das nicht gelungen, darunter die Mädchen- und Frauenzentren „Frieda“ und „Phantalisa“ in Friedrichshain-Kreuzberg.

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