piwik no script img

Hohe Lebenshaltungskosten in UKTeures Großbritannien! Oder?

Deutsche, die in Großbritannien Urlaub machen, jammern schnell: alles so teuer hier. Dabei kommen deutsche Urlauber besser weg als die Briten selbst.

Urlaub in London ist machbar, aber ohne teure Riesenrad-Fahrerei Foto: Jakub Porzycki/imago

D ie deutsche Familie am Nebentisch war etwas enttäuscht, als sie in der Küche eines walisischen Hostels saß. „Wir sind ja nicht arm, aber Großbritannien ist so teuer wie Skandinavien!“

Am schlimmsten sei es natürlich in London, wo ein Pint Bier (0,568 Liter) lockere 9 Euro kostet. In einem ganz normalen Pub, wohlgemerkt, nicht im Ritz.

Diese gefühlte Wahrheit trügt allerdings ein bisschen. So teuer ist Großbritannien gar nicht. Es kommt nur darauf an, was man kauft, wie ein umfangreicher Preisvergleich zeigt. Zum Beispiel sind Zwiebeln sehr billig und kosten 21,6 Prozent weniger als in Deutschland. Preiswert sind auch Reis, Hühnchenfleisch und Salatköpfe.

Teurer sind hingegen normale Restaurants: plus 18,1 Prozent im Vergleich zu Deutschland. Umgekehrt ist McDonald’s aber billiger: minus 17,3 Prozent. Bei den Getränken ist es ähnlich: Bier kostet 32,8 Prozent mehr, dafür sind es bei Coke oder Pepsi 25,4 Prozent weniger.

Arme Briten

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Kurz: Für Deutsche ist ein Urlaub in Großbritannien machbar. Schwieriger ist es für die Briten selbst. Sie müssen ähnliche Preise wie in Deutschland zahlen – verdienen aber im Durchschnitt weniger. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt um fast 12 Prozent niedriger, wenn man die Kaufkraft berücksichtigt.

Die Briten selbst haben auch das Gefühl, dass sie verarmen, und dafür einen Begriff geprägt: „The cost of living crisis“, also die Krise der Lebenshaltungskosten. In den vergangenen vier Jahren folgte ein ökonomischer Schock auf den nächsten: Erst kam der Brexit, dann wurde die Coronapandemie so falsch gesteuert, dass die Wirtschaft um 10 Prozent einbrach. Kaum hatte sich das Geschäftsleben leidlich erholt, führte der Ukrainekrieg zu einer Inflation von 9 Prozent, weswegen die Bank of England die Leitzinsen drastisch hochgesetzt hat, was nun die Wirtschaft belastet.

Es wäre leicht, Großbritannien als ökonomisches Desaster zu beschreiben. Aber gerade Deutsche sollten sich hüten, selbstzufrieden auf die Nachbarn zu blicken. Denn trotz aller Schocks ist die britische Wirtschaft in den vergangen vier Jahren stärker gewachsen als die deutsche. Von 2020 bis 2023 betrug das Plus dort 1,7 Prozent – in der Bundesrepublik waren es nur 0,7 Prozent.

Die Deutschen sind zwar reicher als die Briten, aber mindestens genauso verbohrt. Viele nehmen gar nicht wahr, dass eine Krise droht. Immer noch halten es 53 Prozent der Bundesbürger für eine gute Idee, an der Schuldenbremse festzuhalten – und auf Investitionen zu verzichten, obwohl Straßen und Schienen verrotten und Klimaschutz so wichtig wäre.

Der Brexit ist die Schuldenbremse der Briten

Jedes Land hat eben eigene ideologische Marotten. Eine explizite Schuldenbremse hat Großbritannien nicht, aber dafür darf der Brexit nicht angetastet werden. Der neue Labour-Premier Keir Starmer versichert fast täglich, dass er nicht zurück in die EU will. Stattdessen setzt er auf Handel mit fernen Ländern.

Ein Erfolg ist schon in Sicht: Demnächst wird Großbritannien dem CPTPP-Handelsvertrag zwischen Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Japan beitreten. Diese Länderliste ist beachtlich, bringt aber nicht viel: Der britische Rechnungshof hat schon ausgerechnet, dass die britische Wirtschaftsleistung um ganze 0,04 Prozent steigen wird.

Für die Briten wird es also vorerst dabei bleiben, dass sie weniger als die Deutschen verdienen – aber etwa die gleichen Preise zahlen. The „cost of living crisis“ geht weiter.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).