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Sie haben Ihr Ziel verfehlt

Unser Autor lässt sich beim Autofahren von Navigations-Apps den Weg weisen – und verzweifelt regelmäßig an ihnen. Ein Klagelied über eine irreführende Entwicklung

Von Lukas Heinser (Text) und Eléonore Roedel (Illustration)

Wie haben wir eigentlich früher den Weg zu einem Ziel gefunden, an dem wir noch nie waren? Das ist eine Frage, die sich Personen, die vor 2010 den Führerschein gemacht haben, manchmal stellen (oder von Jüngeren gestellt bekommen). Deutlich seltener fällt die Frage, wie man eigentlich trotz der gängigen Navigations-Apps am Ziel ankommt – ohne zwischendurch vor Wut das Handy aus dem fahrenden Auto zu werfen.

Würde ich Ambitionen auf eine Stand-up-Comedy-Karriere hegen, hätte ich genug Material für einen längeren Monolog, in dessen Verlauf ich in einen zunehmend cholerischen Tonfall geraten würde, während das Publikum Tränen lacht, nickt und „Genau so ist es!“ murmelt. Ich möchte aber gar kein Komiker sein, ich möchte einfach nur irgendwo hinkommen!

So liegt ganz in der Nähe meiner Wohnung eine Kreuzung, deren Straßen sich nicht im rechten Winkel treffen. Die Bewegung, die jeder denkende Mensch als „geradeaus fahren“ bezeichnen würde, klingt bei Google Maps so: „Links abbiegen, danach sofort rechts abbiegen.“ Mein Mitgefühl gilt allen Ortsunkundigen, die vor diese Herausforderung gestellt werden.

Bei Autobahnabfahrten unterscheidet sich die Entfernung, die das Navi angibt, grundsätzlich von der, die auf den Schildern steht. Was auf dem Land egal sein mag, führt im Ruhrgebiet, wo die Abfahrten mitunter nur wenige Hundert Meter auseinanderliegen, regelmäßig zu unnötiger Verunsicherung: Welche Ausfahrt jetzt genau? Und in den Niederlanden hatte ich kürzlich einen besonders absurden Fall, wo sich die Navi-App nicht nur bei den Ausfahrten im Kreisverkehr verzählte, sondern die Kilometerangabe auf dem Wegweiser auch noch als Teil des Ortsnamens interpretierte, in dessen Richtung ich abbiegen sollte. Die Details sind mir wegen einer Mischung aus Empörung, Erschöpfung und Orientierungslosigkeit nicht mehr erinnerlich, aber es klang wie der Name eines Atomkraftwerks und war die falsche Richtung.

Vielleicht liegt es auch an mir. Von meinem Vater und Großvater kenne ich noch das genaue Kartenstudium vor der Abfahrt und so schaue ich mir gerne vorher auf dem Handy an, wo lang mich meine Reise führen wird. Sobald das Auto in Bewegung ist, errechnet die Navi-App aber ständig neue Routen und so bin ich oft schon nach wenigen hundert Metern auf einem ganz anderen Weg als dem, auf den ich mich eingestellt hatte, und entsprechend verunsichert.

Die klügste Lösung in dieser Situation wäre vermutlich, einfach loszulassen und klaglos der mir vom Navi vorgegebenen Wegbeschreibung zu folgen. Doch erstens ist diese Beschreibung längst nicht immer nachvollziehbar (siehe oben) und zweitens bin ich in solchen Momenten ganz Mann: Auch ohne Ehefrau auf dem Beifahrersitz, die leicht resigniert „Ich glaube, wir müssen da abbiegen …“ murmelt, beharre ich darauf, genau zu wissen, wo es langgeht.

Ich weiß nicht, wie oft ich in den vergangenen zehn Jahren so frustriert von Apples Karten-App war, dass ich zu Google Maps gewechselt bin, und umgekehrt. So richtig meckern will man ja nicht, weil es sich um kostenlose Produkte handelt, und es gibt natürlich auch kostenpflichtige Alternativen, aber auch da kann ich anekdotische Frustration beisteuern: Bevor es kostenloses Datenroaming innerhalb der EU gab, hatte ich mir für einen Hollandurlaub eine Bezahl-App gekauft, für die man die Karten ganzer Länder herunterladen und sie somit offline nutzen konnte. Die App hatte eine sehr eigene Interpretation von Richtungsangaben wie „halbrechts“ (geradeaus) oder „halblinks“ (wenden) und leider habe ich erst nach längerer Fahrt über absurdeste Seitenstraßen festgestellt, dass die Standardeinstellung „kürzeste Route“ war und mich das Navi deshalb konsequent an allen Autobahnen vorbeiführte.

Manchmal frage ich mich, ob an der Entwicklung der verschiedenen Navi-Apps überhaupt Menschen beteiligt sind, die manchmal Auto fahren. Oder auch nur zu Fuß gehen. Google bietet einem zwar die Möglichkeit, sich „barrierefreie Orte“ anzeigen zu lassen, aber die Wegbeschreibungen unterschlagen so wichtige Details wie Treppen und große Steigungen, was leicht ärgerlich ist, wenn man sich mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator durch, sagen wir mal, eng verschachtelte Altstädte in Europa bewegt. Überhaupt beschleicht einen oft das Gefühl, dass die Navis mit verschlungenen, kurvigen, gewachsenen Straßenverläufen (oder auch nur mit Kreisverkehren) überfordert sind. Mir scheint, als seien sie vor allem für die schachbrettartigen amerikanischen Innenstädte entwickelt und auch nur dort getestet worden.

Also mal bei den Herstellern nachfragen, ob das eigentlich stimmt. Die offizielle Apple-Pressestelle reagiert wie ein iPhone an einem heißen Sommertag, also gar nicht; die PR-Agentur, die für Google arbeitet, übermittelt immerhin eine einsilbige Antwort aus dem Konzern: „No.“ Also wird das alles immer wieder getestet und weiterentwickelt und es funktioniert trotzdem nicht befriedigend.

Eine Bewegung, die jeder Mensch als „geradeaus fahren“ bezeichnen würde, klingt bei Google Maps so: „Links abbiegen, danach sofort rechts abbiegen“

In Blogeinträgen erklärt Google, dass Maps durch maschinelles Lernen Vorhersagen treffen kann, wie der Verkehr „in 10, 20 oder sogar 50 Minuten aussehen wird“. Stolz verkündet der Techkonzern, so noch besser vorhersagen zu können, „ob ihr von einer Verkehrsbehinderung betroffen sein werdet, die vielleicht noch gar nicht begonnen hat“. Und das ist dann der Grund, warum das Navi ständig die Route ändert und mich so verunsichert: eine KI-Glaskugel.

Aber ist das nicht vielleicht ein bisschen gefährlich, dass einen Google Maps während der Fahrt immer wieder mit akustischen und optischen Hinweisen behelligt, dass man jetzt eine andere Route nehmen könnte, und man sich, am Steuer sitzend, vor einem Bildschirm voller Informationen schnell entscheiden soll? Google beschwichtigt. Man nehme die Sicherheit der Fah­rer*in­nen natürlich „sehr ernst“; das Produkt sei darauf ausgelegt, die Ablenkung der Fah­rer*in­nen auf ein Minimum zu reduzieren. Das werde regelmäßig getestet, mit Fahrsimulatoren, und mit echten Fahrer*innen.

Falls die Firma mal ehrliches Feedback haben möchte: Ich stünde bereit!

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