Zustände im Maßregelvollzug: Kloeimer mit laufender Kamera

Die Nationale Stelle zur Prävention von Folter kritisiert in ihrem Jahresbericht 2023 menschenunwürdige Zustände im Maßregelvollzug.

Hier machte das Land Sachsen-Anhalt fast 9 Mio Euro für die Umzäunung seines Maßregelvollzugs locker Foto: Heiko Rebsch/dpa/picture alliance

Mitten im Raum steht eine Art Edelstahlbecken. Das soll die Toi­let­te sein. An der Decke hängt eine laufende Kamera. Deren Bilder werden nicht verpixelt. Das Becken nicht zu benutzen ist für die Menschen in diesem Raum nicht möglich, denn sie verbringen hier zum Teil mehrere Monate.

Der Raum, ein sogenannter Kriseninterventionsraum, gehört zu einer Einrichtung des Maßregelvollzugs in Bad Schussienried in Baden-Württemberg, wie ihn die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter im vergangenen Jahr vorgefunden hat. „Menschenunwürdige Zustände“ seien das, heißt es in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2023, den sie am Dienstag vorgestellt hat.

Keine richtige Toilette, Kameraüberwachung: „Eine solche Verfahrensweise vermag Gefühle der Minderwertigkeit auszulösen, die demütigen und erniedrigen können“, heißt es im Bericht. Solche Räume dürften nicht weiter benutzt werden, so die Autor*innen.

Im dritten Jahr in Folge hat sich die Nationale Stelle für Folter schwerpunktmäßig mit dem Maßregelvollzug befasst. Dort werden psychisch kranke Straftäter untergebracht, die nicht schuldfähig sind, aber von Gerichten als gefährlich eingestuft wurden. In den Jahren 2021 und 2022 hätten sie „viele kritische Situationen beobachtet, die in einigen Fällen eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde darstellten“, schrei­ben die Au­to­r*in­nen des Jahresberichts in der Einführung. Daher hätten ihre Mitglieder beschlossen, alle forensischen Einrichtungen – eben den Maßregelvollzug – in Deutschland zu besuchen, um sich ein umfassendes Bild zu machen.

Überbelegung und Überbelastung
Jahresbericht 2023

„Die mangelnde Privatsphäre kann Aggressionen auslösen“

Ihr Fazit: In 14 aller 16 Bundesländer sind die forensischen Kliniken voll belegt oder überbelegt. Einzige Ausnahme bildeten Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Infolge der Überbelegung seien die Pa­ti­en­t*in­nenzimmer doppelt oder dreifach besetzt. Erforderlich sei aber die Einzelunterbringung. Denn: „Die mangelnde Privatsphäre kann Aggressionen auslösen“, sie könne zu Konflikten führen und die medizinische sowie therapeutische Behandlung deutlich erschweren.

Eine weitere Beobachtung: In allen Bundesländern bis auf Rheinland-Pfalz gebe es zu wenig Personal und einen hohen Krankenstand. Für Untergebrachte bedeute dies weniger Therapien und Beschäftigung. Das verfügbare Personal sei überarbeitet. Das trage alles zu einer „angespannten Situation“ bei. Der Personalmangel sei ein Sicherheitsrisiko sowohl für Pa­ti­en­t*in­nen als auch Mitarbeiter*innen.

Im Konkreten beanstandet die Folterstelle unter anderem den Umgang mit Isolierung. In einigen Isolationsräumen gebe es Urinflaschen und gepresste Pappbecken für Fäkalien. „Das muss morgens durch die gleiche Klappe hinausgereicht werden, durch die dann anschließend das Frühstück hineingereicht wird“, erzählt Rainer Dopp, Mitglied der Nationalen Stelle für Prävention von Folter, bei der Vorstellung des Berichts.

„Anders machen kostet nicht immer was“

Er kritisierte auch, dass es in vielen Einrichtungen als einziges Möbel eine auf dem Boden liegende Matratze gebe. „Wenn Sie dort aber länger sind, dann brauchen Sie etwas, um sich hinzusetzen.“ Andere Einrichtungen böten Schaumstoffsessel an. Warum manche Bundesländer diese für eine Gefahr hielten, andere nicht, erschließe sich ihm nicht, erklärte Dopp. Die Folterstelle wolle mit ihren Besuchen in Einrichtungen dazu „anstacheln, darüber nachzudenken, ob nicht manches anders geht, was als ausgeschlossen galt“. Und: „Anders machen kostet nicht immer was.“

Apropos Kosten: Sowohl Bopp als auch Ralph-Günther Adam, Leiter der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, bemängelten die Unterfinanzierung ihrer Einrichtung. Während die Mitglieder alle ehrenamtlich arbeiteten, brauche es lediglich Gelder für das Büro und die Besuchsreisen. Zuletzt sei das Budget im Jahr 2020 erhöht worden, doch seitdem sei alles teurer geworden.

In diesem Jahr fehlten noch 60.000 Euro. Aktuell ruhten die Besuche. „Was sollen wir machen?“, fragte Dopp in die Runde. „Sollen wir weitermachen?“ In der Hoffnung, das Geld werde schon noch freigegeben? „Ja, weitermachen“, antwortete Alfred Bindels, der zuständige Abteilungsleiter aus dem Bundesjustizministerium, in Vertretung seines Chefs. Das Geld sei „im Zulauf“.

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