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Berliner PlatteJedem sein Lieblingslied

„Mein Lieblingslied“, Lieblingslied Records, 2005

Ist ja eigentlich ein seltsames Unterfangen: Da sollen sich ein paar Menschen hinsetzen und aufschreiben, warum ihr Lieblingslied ihr Lieblingslied ist bzw. wie sie dazu gekommen sind oder was für Umstände dazu geführt haben, gerade jenem Klanggebilde ihre allergrößte Zuneigung zu schenken, das sie da versuchen zu beschreiben. Und eigentlich kann so was ja nur scheitern, denn erstens hat zwar jeder von Zeit zu Zeit ein bestimmtes Lieblingslied, das sich aber je nach Stimmung, Alter und Umständen ändern kann – und zweitens: Wie soll man jemand anderem eigentlich genau erklären, warum einem eine bestimmte Stimme, eine bestimmte Tonfolge oder ein paar bestimmte Liedzeilen dermaßen anrühren, dass man sie manchmal wie zwanghaft immer wieder hören muss, weil man wie auf Droge nach diesem bestimmten Gefühl, das dieses Lied in einem auslöst, ist? Schließlich kann man so was gar nicht erklären, denn irgendwie müsste man sich dann selber erklären können. Und um es gleich vorwegzunehmen, das Buch mit der dazugehörigen CD „Mein Lieblingslied – Songs und Storys“ kann einem natürlich nicht wirklich sein eigenes Lieblingslied schenken. Man kann sich zwar die Texte von Autoren wie Maike Wetzel, Terézia Mora und Jürgen Laarmann durchlesen und den dazugehörigen Song wie beispielsweise „After Hours“ von The Velvet Underground anhören, und wenn man Glück hat, kann man es sogar nachvollziehen, manchmal denkt man aber auch nur: Was für ein blöder, nichts sagender Song! Niemals würde man den in seine eigene Lieblingslied-Sammlung mit aufnehmen. Beispielsweise das Lied von einer gewissen Princess aus den Achtzigern, die unter Synthesizerklängen darum bettelt: „Say I’m your Number One.“ Würde man sich das je wirklich selber auf eine CD brennen? Nein! Trotzdem ist das CD-Buchprojekt ein schöner und sehr geglückter Versuch, das zu beschreiben, was Musik mit einem machen kann. Gerade, weil es radikal subjektiv ist und weil es nicht versucht, sich an irgendeine Zielgruppe anzubiedern, sondern von Nick Cave über Slime bis Howard Carpendale das ganze Spektrum von Independent, Pop bis Peinlichkeiten abdeckt. Thomas Brussig, einer der 19 Autoren dieser kleinen Anthologie, nennt seinen Text dann auch ganz richtig „Eine unmögliche Wahl“ und schreibt: „Wenn sich ein Hörer, ein Musikkonsument, auf ein Lieblingslied festlegen soll, dann ist das ungefähr dasselbe, wie wenn sich ein Leser für einen Lieblingssatz entscheiden müsste.“ Auf der CD hört man dann auch folgerichtig als Erstes die Stimme eines sehr dünnen Mannes mit einem seltsamen Gesicht, dessen wortgewaltige Textzeilen wirkliche und richtige Lieblingslied-Qualitäten haben. Nick Caves „The Ship Song“ ist der perfekte Soundtrack für alle pathetischen ersten Lieben der Vergangenheit, die in der Erinnerung wahrscheinlich immer schöner und bedeutungsvoller sind, als sie es je waren. „Come sail your ships around me / And burn your bridges down / We make a little history, baby / Every time you come around.“ Ach, ja!

SANDRA LÖHR

Links lesen, Rechts bekämpfen

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