Hochschule für Gestaltung: In den Hügeln vor Ulm
Schön ist, was einfach ist und gut funktioniert: Von dem Gebäude der Hochschule für Gestaltung Ulm lässt sich viel über zeitlose Architektur lernen.
Die Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm war ein Hotspot der Moderne, aber sogar dieser Bau gewordene Leuchtstern am Designfirmament hat eine dunkle Seite: ohne Tageslicht, ziemlich verwinkelt, ein Steg mittendurch. Hier im Keller war mal die Heizzentrale mit dem Bunker für die tonnenweise verheizten Kohlen, damit es Lehrende und Studierende bei ihrer Arbeit an der Moderne nicht fröstelte. Bitte, das Gebäude ist Baujahr 1955, der Architekt, der Schweizer Max Bill, war in erster Linie Künstler, und von Wärmeverordnungen sprach damals noch niemand.
Die BesonderheitDie HfG bezeugt, dass in den 1950ern nicht alles muffig war. Ihre politischen Wurzeln führen über Mitgründerin Inge Scholl zu deren Geschwistern Hans und Sophie, den von den Nationalsozialisten ermordeten Mitgliedern der Weißen Rose. Daraus wurde die Verpflichtung abgeleitet, durch Gestaltung zu einer besseren Gesellschaft beizutragen.
Die ZielgruppeAlle, die wissen wollen, wie eine junge, unangepasste Generation völlig respektlos auf die Ideen des Bauhauses aufsetzte und sie weiterentwickelte.
Hindernisse auf dem WegZumindest während der Öffnungszeiten des Archivs kann man rein. Gezeigt werden wechselnde Ausstellungen zu Designthemen. Derzeit geht es um Pasta – auch Nudeln haben ein Design.
1968 schon wieder geschlossen, verstand sich diese von der Geschwister-Scholl-Stiftung getragene Hochschule anfangs als Fortsetzung des 1933 von den Nazis geschlossenen Bauhauses. Die Dozierenden und Studierenden verband die Suche nach dem Zweckmäßigen, sie kamen aus aller Welt und prägten in der Nachschau eine Phase der Designgeschichte, in der sich die industrielle Produktionsweise mit der Ästhetik der technischen Moderne in radikaler Weise verband.
Hans Gugelot, einer der maßgeblichen Dozenten, befreite gleich mal die Phonogeräte von Zierleisten und legte für die Firma Braun die Grundlage für ihr betont sachliches Design. Geschirr wurde stapelbar, in der Bauabteilung kreisten die Gedanken um das Bauen mit industriell vorgefertigten Elementen, Möbel wurden aus der System-Idee heraus entwickelt. Überhaupt ging es weniger um Einzelentwürfe als um komplexe Lösungen.
Beim Thema Verkehr stand gleich das komplette Set auf dem Plan, vom Fahrplan bis zum Fahrkartenautomaten, von der Haltestelle bis zum Triebwageninterieur. In interdisziplinären Studien wurde alles bisherige auf den Prüfstand gestellt und neu gedacht. In der Grundlagenforschung, in Theorie und Methode, wurde an diesem Ort Pionierarbeit geleistet.
Radikal im Anspruch
Später ging die in Ulm gelegte Saat weltweit auf. „Radikal im Anspruch, konsequent in der Umsetzung, kompromisslos in der Haltung“, bringt es Alexander Wetzig, der heutige Hausherr, in einen Dreisatz.
Stummes Zeugnis dieses Anspruchs legt in Ulm bis heute das Schulgebäude ab. Der außerhalb der damals noch sehr provinziellen Donaustadt in ein hügeliges Freigelände geschmiegte Komplex sollte wie schon das Dessauer Bauhaus-Gebäude die interne Programmatik nach außen spiegeln: Bau wird Programm. Max Bill, selbst Bauhaus-Absolvent, nahm in seinem Entwurf keinerlei Rücksicht auf Gemüter und Geschmäcker. Kein Zierrat, pure Abstraktion.
Die Atmosphäre hier ließe sich vielleicht mit „freundlicher Strenge“ umschreiben. Jeder der an langen Gängen aufgereihten Räume, erwähnt Hausmanagerin Julia Hanisch, sei von Tageslicht beschienen. Eine Architektur, die klar ist und sich aufs Notwendige beschränkt. Der gesamte vielgliedrige Komplex ist aus einem einheitlichen Rastersystem heraus entwickelt. Multikünstler Max Bill hat die mathematische Strenge seiner konkreten Kunst in ein räumliches Konzept übertragen.
Das Eisenbetonskelett nackt und unverputzt, Ausfachungen in nur leicht geschlämmtem Sichtziegelmauerwerk, Öffnungen in Teilern zum Rastermaß, Beleuchtungskörper nach dem Prinzip Röhre plus Halterung und sonst nichts. Industrial Design für eine Hochschule galt damals als ziemlich unerhört. In einer zeitgenössischen Reportage erhielt es das Attribut als „Kloster“. Auch nicht falsch.
Doch Bill legte schon auch eine gewisse planerische Generosität an den Tag. Wetzig, früherer Ulmer Baubürgermeister und jetzt Vorsitzender der Stiftung, die dieses Erbe verwaltet, verweist auf das Unverhältnis von Verkehrs- zu Nutzflächen. Allein deshalb würde der Entwurf heute kaum genehmigt: „Der Landschaftsschutz wäre eine weitere unüberwindbare Hürde“, sagt er.
Der Schlüssel für gutes Bauen
Dessen ungeachtet gilt der Komplex heute als Baudenkmal der höchsten Kategorie. Die Mieter kommen alle aus dem Gestalterbereich. Bald wird das Gebäude 70. Es ist technisch nicht „high“, aber altert in Würde, was vielen Bauten der Moderne nicht gegönnt ist. Baufachmann Wetzig ist sich sicher, dass sich daraus noch viel für das Heute lernen lässt: „Der Schlüssel für gutes Bauen liegt in der Einfachheit.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Bill ging 1957 im Streit. Die Jüngeren im Dozentenstab drängten auf die Verwissenschaftlichung der Gestaltung, Disziplinen wie Semiotik gewannen an Raum. Funktionalität, befreit von den Schlacken der Kunst. Für den autonomen Künstler-Entwerfer war von da an kein Platz mehr.
Man wüsste allzu gern, wie die HfG im Geiste dieser Weiterentwicklung für sich selbst gebaut hätte. Vermutlich mit Platte.
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