Kinotipp der Woche: Wo es um Kohle geht

Die Reihe „Schlagende Wetter“ im Zeughauskino widmet sich erneut dem Bergbau im Film und weitet den Blick von Deutschland auf das internationale Kino.

Szene aus Paul Meyers „Déjà s'envole la fleur maigre“ (BE 1960) Foto: Cinematek

„Winterliche Schweiz“ steht am Eingang des Holzgestells, das Kinder auf einem Jahrmarkt im belgischen Bergbaurevier Borinage zur Rodelsimulation einlädt. Unten helfen zwei Männer den Kindern auf, nachdem sie auf einer Decke eine Holzbahn ein paar Meter heruntergerutscht sind.

An der Seite einer der Planken sinniert Domenico, ein von der Arbeit gezeichneter Mann. Während er das Kindervergnügen beobachtet, lässt er den Weg Revue passieren, der ihn als Arbeitsmigrant aus dem norditalienischen Forlì über Marseilles und Paris nach Belgien geführt hat.

Paul Meyers „Déjà s’envole la fleur maigre“ (Von den Ästen fällt die verwelkte Blüte) von 1960 wirft anhand einer Gruppe italienischer Arbeiter einen Blick auf die Lebensumstände im Kohlerevier. Einer der Arbeiter hat seine Familie aus Italien nachgeholt, gemeinsam teilen sie nun das Elend beengter Wohnungen und karger Löhne. Der älteste Sohn soll ebenfalls in der Kohlemine arbeiten, die jüngeren gehen in die Schule. Einmal steht einer der jüngeren Söhne mit Domenico auf einem Hügel. Die Kamera schwenkt über die Verwüstungen, die der Kohleabbau hinterlassen hat.

Der Film hält beklemmenden Realismus, ein komplexes Porträt der Lebenssituation und eine Poesie, die nie in Versöhnlichkeitskitsch umschlägt, in einer fragilen Balance. „Déjà s’envole la fleur maigre“ ist Teil der Filmreihe „Schlagende Wetter. Bergbau im internationalen Film“, die am Freitagabend im Berliner Zeughauskino beginnt. In der Reihe führt der Wiener Filmkritiker und Programmgestalter Patrick Holzapfel die Auseinandersetzung mit Bergbau im Film fort, die er vor ziemlich genau einem Jahr ebenfalls im Zeughauskino mit einer Reihe zum Bergbau im deutschen Film begonnen hat.

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Knapp 30 Jahre vor Meyers Film dokumentierten auch der belgische Regisseur Henri Storck und der in den Niederlanden geborene internationalistische Filmemacher Joris Ivens das Elend in der Borinage. In ihrem halbstündigen Film „Misère au Borinage“ (1934) ist die Unterdrückung der Minenarbeiter und ihrer Familien allgegenwärtig. Hand in Hand gehen Minenbesitzer und belgische Polizei gegen jeden Versuch vor, sich Lohnkürzungen, der Entlassung, der Räumung aus der feuchten Wohnung ohne Strom und ohne Wasser zu widersetzen.

Inmitten des autoritären Furors der McCarthy-Ära dreht Herbert J. Biberman 1953 einen der wenigen Streikfilme, die überzeitlichen Bestand haben. „Salt of the Earth“ beginnt mit der Fiktionalisierung eines Streiks in der Bergbaustadt Silver City, New Mexico. Als die rassistischen Arbeitsstrukturen in einer Zinkmine wie von den Minenarbeitern befürchtet zu einem Arbeitsunfall führt, beginnen die Arbeiter zu streiken.

Schlagende Wetter: Bergbau im internationalen Film, 23. August bis 13. September im Zeughauskino

Im Zentrum von Bibermans Film stehen jedoch die Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiter. „Salt of the Earth“ zeigt Solidarität und Konflikte zwischen mexikanischen und weißen, US-amerikanischen Arbeitern, zeigt den Streit um die Frage, ob der Streik auch die Forderungen der Frauen der Arbeiter nach besseren Lebensbedingungen als Ziel aufgreifen soll.

Die Repression, die sich schon während der Dreharbeiten gegen den Film richtete und sofort nach Fertigstellung zu dessen Unterdrückung führte, sollte Biberman als Regisseur beinahe ruinieren. Die Wiederentdeckung des Films Anfang der 1970er Jahre (1972 lief er auf dem Forum der Berlinale) sollte Biberman nur noch ansatzweise erleben. Er starb am 30. Juni 1971 in New York.

Die Filmreihe „Schlagende Wetter: Bergbau im internationalen Film“ zeigt Bergbau als ein Feld, auf dem gesellschaftliche Fragen und Machtverhältnisse ausgehandelt werden: Arbeits- und Wohnbedingungen gegen Gewinnspanne, Verheerungen an Landschaften und Körpern, Ziel für Migrationsbewegungen und Ausgangspunkt neuer Vertreibungen, Projektionsfläche für Fortschrittsglaube und Abgesang an eine Ära fossiler Brennstoffe. Kurz gesagt: unbedingt sehenswert.

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