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Die Kunst der WocheSchicht für Schicht, Teil für Teil

Özlem Altın entwirft in der Berlinischen Galerie Kartografien aus fotografischen Schnipseln. Wolkig geht es in einer Gruppenschau bei Eigen & Art zu.

Ausstellungsansicht „Özlem Altın. Prisma“, Berlinische Galerie Foto: © dotgain.info

D urch leuchtendrote Folien blickt man in die Ausstellung. Sie lassen diese selbst wie eine große, begehbare Collage erscheinen, tauchen alles, was da hängt, in rötlichen Schimmer, verstärkt noch durch die Lichtquellen, fast so, als würde man durch Hautschichten hindurchsehen. Wohin? In die Bildwelt von Özlem Altın, geboren 1977 im nordrhein-westfälischen Goch, die in diesem Jahr den Hannah-Höch-Förderpreis erhalten hat und deshalb in der Berlinischen Galerie eine Einzelausstellung präsentiert.

Die ästhetische Nähe zur Dada-Künstlerin – von der bis vor kurzem noch ein paar kleine Collagen am Eingang der Ausstellung von Kader Attia ausgestellt waren – ist unübersehbar. „Prisma“ heißt die Schau, die noch bis Mitte Oktober läuft und zu der auch ein Katalog erschienen ist.

Als Ausgangsmaterial dient der Künstlerin ein Fotoarchiv, das sie seit über zwei Jahrzehnten anfüttert. Abbildungen von menschlichen Körpern und Körperteilen finden sich da, Hände, Augen, Zähne. Auch Fotografien von Skulpturen, die Körper darstellen, oder Tiere wie Schlangen, Schmetterlinge, Amphibien, Vögel. Altın findet sie in Büchern, Zeitschriften, dem Internet.

Für ihre Arbeiten, die sie in der Berlinischen Galerie mal an die Wand, mal im Raum von der Decke hängen lässt, ordnet sie diese Fotoschnipsel meist auf Papier zu komplexen Kompositionen an, collagiert und übermalt sie. An Kartografien könnte man denken. Schwer lesbare Zeichen- und Bildsysteme sind es, reich an Symbolen, Assoziationen und Andeutungen, mit denen Altın die ganz essentiellen Themen des Daseins durchspielt: Geburt und Mutterschaft, Vereinigung und Trennung, Tod und Trauer. Selbst die schwarz-weißen, großformatigen Fotografien, die ohne Übermalungen auskommen, werfen Fragen auf: Menschliche Körper sieht man da durchs Wasser gleiten oder ineinander verschlungen daliegen, verheddert in Kleidungstücken.

Die Zyklen des Lebens spielt eine langgezogene Papierarbeit an der Rückwand durch: „Topograhy (of time, of body)“. Wie mit einer Nabelschnur scheinen die Elemente dort miteinander verbunden zu sein, die Schlange mit bedrohlich aufgerissenem Maul, die korallenartigen Strukturen in DNA-Form, der schwangere Bauch einer Frau, die knüpfenden Hände, das Vogelnest, die beiden Reiher. Wie sich daraus, wie aus den Teilen und dem Gefüge hier wie in den anderen Arbeiten eine Erzählung oder Bedeutung ergibt, es bleibt den Be­trach­te­r*in­nen überlassen.

Von Wolken und anderen falschen Fährten

Von Uneindeutigkeiten erzählt auch die Gruppenausstellung „Von Wolken und anderen Lügen“, die momentan bei Eigen & Art zu sehen ist. Wer angesichts des Titels eine Reihe luftiger Himmelsformationen erwartet, könnte enttäuscht sein. Spielerisch ist dieser eher zu verstehen, als Beschreibungen für Arbeiten, bei denen die Künst­le­r*in­nen ihren Imaginationen freien Lauf lassen und dabei falsche Fährten legen. Tatsächlich zu sehen sind ein paar Schönwetterwolken auf einer Ölkreidezeichnung von Martin Groß, auf der jener Blick nach oben dann doch eher etwas Bedrohliches hat: Ein Amboss schwebt durch die Luft, „Pending“ steht in schwarzen Buchstaben auf rotem Grund.

Durch die drei kellerfensterartigen Gebilde aus Stahl von Valeria Schneider könnte man vielleicht Wolken sehen, würden sie nicht an der weißen Wand, sondern an entsprechenden Öffnungen hängen. Die Dinge sind eben nicht immer das, was sie vorgeben zu sein. Malte Bartschs Aluminiumskulptur „Machina di fuoco artificiale“ etwa versteckt seine Sprengkraft – es ist der Abguss eines Feuerwerkskörpers – hinter barockem Schmuck. Hannah Sophie Dunkelberg bildet verspielte Schleifen aus zarter Spitze riesengroß in hartem Stahl nach, hängt hübsche Rosenknospen an schwere Ketten.

Nicht nur sie beherrscht das Spiel mit Gegensätzen und mit der Vorstellungskraft. Sarah Lehnerer hat hauchdünnes Seidenpapier in einem Frottageverfahren Quadrat für Quadrat bedruckt, Stück für Stück, so wie sich Erinnerungen zusammensetzen, mit Abbildungen ihrer Knie in Großaufnahme etwa, so wie sie herauskommen, wenn man sie auf dem Fotokopierer ablegt.

Wie ein Kommentar auf das alles, und auch auf das Leben, die Lügen, die Wolken – ob sie nun da sind oder nicht – den Sommer wirken inmitten all dem die Zeichnungen und Schriftbilder von Felix Leon Westner. „Too loud“ oder „close to during or even after“ lässt sich da beispielsweise entziffern, anderes eher erraten, weil es wieder durchgestrichen wurde oder nur irgendwie hingekritzelt. Wolkig sind die Arbeiten allesamt. Im übertragenen Sinne freilich.

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