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Mit dem Rad nach BakuKlimafreundlich zur COP29

Ohne Fliegen geht es nicht? Unser Autor will im November an der COP29 in Baku teilnehmen – und fährt mit dem Rad.

Kulen Vakuf taz | In den Sommerferien 2010 fuhr ich mit einem Freund mit dem Rad von Freiburg nach Südfrankreich ans Mittelmeer. Es war der erste Urlaub ohne Eltern und der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Das Fahrrad war ein Mittel zum Zweck. Wir wollten einfach weg, frei sein, unser eigenes Ding machen.

Tagsüber radelten wir uns die Seele aus dem Leib, nachts zelteten wir wild, schliefen auf Parkbänken oder klingelten an Häusern und fragten die Besitzer, ob wir in ihren Gärten campieren dürften. Die meisten Menschen waren nett und hilfsbereit, denn wir waren jung, unbekümmert und etwas naiv. Im Grunde sind wir einfach losgefahren, ohne Plan, ohne Ziel und richtige Karten. Rückblickend war es das reinste Chaos, aber für zwei 15-Jährige ein herrliches Abenteuer.

Seitdem spielt das Fahrrad in meinem Leben eine wichtige Rolle; als Freizeitgerät und politischer Gegenstand. Wie es der Kalender so hergibt, versuche ich jedes Jahr, eine kleine Tour zu machen. Als freier Journalist schreibe ich über Klima, Umwelt- und Verkehrsthemen, halte Vorträge über fahrradgerechte Städte und spreche darüber in den Medien – in den letzten Jahren so viel und häufig, dass ich irgendwann merkte, dass ich das, worüber ich schrieb und sprach, selbst immer weniger tat.

Und so keimte der Gedanke, wieder loszufahren – wie damals, nur länger und weiter. Und diesmal mit klarem Ziel. Ans Kaspische Meer soll es gehen, nach Baku, Hauptstadt Aserbaidschans und ab Mitte November Austragungsort der nächsten UN-Weltklimakonferenz. Zum 29. Mal findet die Conference of the Parties nun schon statt (COP29). Zum 29. Mal werden die Nationen dieser Erde über die Zukunft des Planeten verhandeln und zum ersten Mal will ich live mit dabei sein.

Balkan-Etappe

Dafür bin ich Ende Juli aus meiner Heimatstadt Freiburg aufgebrochen, um 100 Tage und 5.000 Kilometer später am Kaspischen Meer anzukommen. Die Route: Über die Alpen nach Venedig, durch den Balkan, die Türkei und als letzte Etappe über den Kaukasus.

Seit drei Wochen bin ich nun schon unterwegs. Habe die Alpen überquert, die Schönheit Südtirols bewundert, bin im Gardasee geschwommen, durch Venedigs Gassen geschlendert und habe über Ljubljanas autofreie Innenstadt gestaunt. Denn auch das habe ich mir vorgenommen. Die Augen während der Reise offen zu halten und über hoffnungsvolle Entwicklungen und Projekte entlang des Weges zu berichten.

Ljubljanas Innenstadt – seit 2007 autofrei

Zum Beispiel über das tolle Fernradwegenetz in der gesamten Alpenregion, große Agri-Photovoltaik-Anlagen am Gardasee, die Sonnenstrom produzieren und dabei Oliven und Wein vor zu starker Hitze schützen, oder eben über die gemütliche slowenische Hauptstadt Ljubljana, die 2007 alle Autos aus der Innenstadt warf und seitdem Vorreiter ökologischer Stadtentwicklung ist. Und natürlich über Landschaft und Menschen, die steter Begleiter einer solchen Reise sind.

Jetzt bin ich bereits in Bosnien & Herzegowina. Eine faszinierende Gegend mit bergigen Landschaften, gutem Essen und gastfreundlichen Menschen. Aber auch mit einer dunklen Vergangenheit, von der Einschusslöcher an Hauswänden und Warnungen vor unentdeckten Minen zeugen. Das Zelten in freier Natur ist in dieser Region nur mit offizieller App zu empfehlen, die über die Nähe zum nächsten potenziellen Minenfeld informiert.

Das trübt die Stimmung nicht. Immer tiefer geht es nun hinein ins Herz des Balkans, nach Montenegro, Albanien und den Kosovo. Es wird eine der härtesten Etappen dieser Reise werden, aber es wird sich lohnen. Wie mir kürzlich ein anderer Radreisender sagte: Im Balkan sammelt man Höhenmeter und Erlebnisse.

Liebe Grüße aus Kulen Vakuf, einem 500 Einwohner-Dorf am bosnischen Una-Nationalpark.

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8 Kommentare

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  • Rundum gute Idee, zum einen wenn man als Fachjournalist auf Weg mit dem Fahrrad selbst schon neue Erkenntnisse erlangt. Da ist der Weg also zumindest schon ein Teil des Ziels.



    Gute Fahrt und viele neue Erkenntnisse.

  • Tolle Reiseroute. Hoffe öfter hier davon lesen zu dürfen. Empfehle, auch wenn es einen 'kleinen' Umweg darstellt, über den Iran anzuradeln - wesentlich weniger Höhenmeter (außer der Autor mag es gerne dauerhaft bis zur Hüfte in der Milch zu stehen... 🤭).



    Der Gernzübergang Gurbulak - Bazargan ist mit dem Fahrrad problemlos zu passieren. Im Iran selbst über Täbris nach Ardabil und hoch bis Bileh Savar 👍



    Freche Frage zum Schluss: wie ist denn die Rückreise geplant? Minus 20 Grad und zwei Meter Schnee sind keine Seltenheit im Inneren Taurus - Schneeketten fürs Fahrrad oder überwintern in der Itschäri Schähär?



    Frohes Kurbeln 🚲

  • Neben dem Luxus, die Zeit für diese Reisemethode zu haben, wird hier noch ein anderer Luxus für selbstverständlich genommen:



    Als Frau kann man diese Art des Reisens nicht unbedingt betreiben. Würde hier irgendwer seine 15jährige Tochter und deren beste Freundin mit dem Rad und wild zeltend durch Europa ziehen lassen? Solche Artikel ärgern mich einfach ungemein. Weil diese Freiheit, die hier beworben wird, einfach nicht für uns existiert. Einige hier ärgern sich, dass sie nicht mit ihrer familiären Verantwortung oder beruflichen Tätigkeit vereinbar ist. Und für uns kommt dazu, dass wir einfach dadurch, wie wir geboren wurden, vielerorts nicht sicher alleine reisen können. Das nervt. Und es nervt noch mehr, wenn "inspirierende" Artikel von Männern eine Freiheit zeigen, die weder ich noch meine Urenkelinnen so einfach werden teilen dürfen.

  • Nett geschrieben.



    Wenn die TAZ ihn angestellt hätte, müsste sie aber nicht nur den Beitrag, sondern auch die Anreise als Arbeitszeit vergüten...



    So ist es eher was für Idealisten ohne z.B. familäre Verpflichtungen, aber mit Tendenz zur Selbstausbeutung.

    Alles Gute auf dem Weg mit vielen tollen Eindrücken.

  • Das ist doch die perfekte Lösung. Jetzt noch 150 Tage Urlaub im Jahr mehr , dann kann man fast überall hin mit dem Fahrrad oder Ruderboot fahren. Oder man macht die Greta: Einfach ein Segelboot nutzen und die Crew für die Rückführung mit dem Flugzeug nachkommen lassen.

  • Danke für diesen inspirierenden bericht!

  • Alle Achtung, mit dem Fahrrad 5000 km quer durch Europa, um über die COP29 in Baku zu berichten, das ist konsequent. Zwei Fragen zur Route habe ich noch: Geht es von der Türkei über Georgien, Armenien oder den Iran nach Aserbeidschan? Alles aktuell politisch nicht so nette Gegenden. Und die zweite: wie und wann geht es wieder zurück? Die Konferenz geht bis Ende November, dann herrschen im Kaukasus und in Anatolien schon Winter. Bleibt Herr Peranowitsch dann bis zum Frühling in Baku und berichtet, wie Aserbeidschan selbst zu den Zielen der COP steht? Das würde mich als Leser interessieren, inwieweit ein auf Öl und Gas aufgebauter Staat selbst (bzw. seine Bürger) ökologisch handelt.

    • @Offebacher:

      Problem: Laut Auswärtigem Amt ist die Einreise nach Aserbeidschan aktuell nur auf dem Luftweg möglich. Abgesehen davon ist eine Einrese nach AZ über Armenien aktuell eher nicht zu empfehlen, also lieber (um die Zahl der nötigen Visa zu reduzieren) über die Türkei und Georgien als über den Iran reisen...



      Für den Rückweg dürfte das Wetter in Aserbeidschan und Georgien (in den NIederungen eher mild) nicht so schwierig werden wie im Pontischen Gebirge. Alternative: Mit der Bahn nach Batumi und dann mit dem Frachtschiff nach Varna oder Constanta.