Atommüllzwischenlager laufen zu lange: Eine Million für ein paar Castoren

Hoch radioaktiver Müll sollte 40 Jahre in Zwischenlagern bleiben. Aber es ist kein Endlager ist Sicht. Betroffene wollen einen finanziellen Ausgleich.

Wolfgang Ehmke, von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg

Ist gegen ein atomares Zwischenlager für immer: Wolfgang Ehmke, von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg Foto: Philipp Schulze/dpa

GÖTTINGEN taz | Die Atomkraftgegner im niedersächsischen Wendland sprechen abfällig von der „Kartoffelscheune“, wenn sie sich mal wieder über die wuchtige Halle aufregen, die hinter dem massiven Metallzaun umgeben von Kiefernwald mehr zu erahnen als zu sehen ist. Dabei lagert in dem 190 Meter langen, 38 Meter breiten und 22 Meter hohen Bauwerk aus Beton gar kein Gemüse.

Hier wurden 113 Castorbehälter mit hoch radioaktivem Atommüll abgestellt – vorübergehend. Sie warten auf ihren Weitertransport in ein Endlager, das noch nicht gefunden worden ist. Die betroffenen Gemeinden wollen nun nicht mehr einfach abwarten, sie haben sich zusammengetan und wollen Geld sehen.

Denn die vorübergehende Lösung kann noch locker 100 Jahre dauern, so lange, bis ein Endlager für den hochradioaktiven Abfall aus deutschen Atomkraftwerken eingerichtet wurde. Bis dahin bleibt der Müll eben in den Zwischenlagern wie im niedersächsischen Gorleben oder im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel. Während Umweltschützer vor allem Sicherheitsbedenken gegen diese Zwischenlager ins Feld führen, fordern betroffene Kommunen nun Ausgleichszahlungen für die deutlich verlängerten Lagerzeiten des Atommülls.

„Es war nie die Rede davon, dass der Atommüll hier so lange gelagert werden soll“, sagt etwa Brunsbüttels parteiloser Bürgermeister Martin Schmedtje. Er stört sich zum Beispiel daran, wertvolle Industrieflächen sehr viel länger als geplant nicht oder nur eingeschränkt nutzen zu können.

Brunsbüttel will eine Millionen Euro im Jahr

Schmedtje verweist außerdem auf Zuwendungen, die nach Ahaus und Gorleben geflossen sind. An diesen beiden Zwischenlagerstandorten stehen oder standen – anders als in Brunsbüttel – nie Atomkraftwerke, die Gewerbesteuer in die Gemeindekassen spülten.

Auch die Samtgemeinde Gartow und der Landkreis Lüchow-Dannenberg als betroffene Zwischenlager-Kommunen erhalten Geld. Von rund einer Million Euro pro Jahr ist die Rede, genaue Zahlen sind nicht bekannt. „Mindestens eine Million Euro jährlich“, verlangt deshalb auch Schmedtje für Brunsbüttel.

Er weiß sich im Einklang mit den Positionen der Arbeitsgemeinschaft der Standortkommunen kerntechnischer Anlagen (ASKETA). In der haben sich alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen organisiert, die Atomkraftwerke oder Zwischenlager in der Gemeinde haben. Der ASKETA-Vorsitzende Josef Klaus (CSU) sagt auf taz-Anfrage, auch er halte eine Summe von 800.000 bis 1,3 Millionen Euro pro Jahr und Gemeinde für angemessen.

Für Martin Schmedtje geht es aber nicht allein um Geld, wie er betont. Er sagt, er gehe ihm um Verlässlichkeit der Politik – und um Fairness. „Hier zeigt sich sehr deutlich“, sagt der Bürgermeister mit Blick auf die Atommüll-Container am AKW Brunsbüttel, „dass die gesellschaftliche Verantwortung dafür, was wir mit den Überresten der atomaren Stromgewinnung machen, allein bei den Betreiberkommunen liegt – und das kann nicht sein“.

Eigentlich sollte in Gorleben die Lösung gefunden werden. Über viele Jahre wurde der unterirdische Gorlebener Salzstock als einziger Standort auf seine Eignung als Lagerstätte für den hoch radioaktiven Schrott geprüft. Unter dem Deckmantel der Erkundung entstand dabei ein fast fertiges Endlager.

Im Jahr 2020 dann flog der Salzstock aus dem neu aufgerollten Suchverfahren für ein Endlager. Aus geologischen Gründen, wie es hieß – diese hatten Kritiker allerdings schon vor 45 Jahren vorgebracht. Mitentscheidend für die Absage an ein Endlager in Gorleben war wohl eher der anhaltende Widerstand.

Das Erkundungsbergwerk, nur wenige hundert Meter entfernt vom derzeitigen Zwischenlager auf einer Lichtung gelegen, wird derzeit zurückgebaut. Nur ein Stück der das Areal umgebenden Mauer soll erhalten bleiben – als „Mahnmal für eine verfehlte Atommüllpolitik“, wie Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sagt. Der Bau des Zwischenlagers begann am 26. Januar 1982.

Stahlblechfässer mit radioaktivem Abfall lagern im Feststofflager des AKW Brunsbüttel, Bild aus dem Jahr 2014

Unerwünschter Dauergast: Stahlblechfässer, aufgenommen 2014, mit radioaktivem Abfall lagern im Feststofflager des AKW Brunsbüttel Foto: Vattenfall/dpa

„Die Atomwirtschaft stand damals mächtig unter Druck, der Betrieb der Atomkraftwerke wurde an einen Entsorgungsnachweis gekoppelt“, erinnert sich Ehmke bei einem Rundgang um die Gorlebener Atomanlagen. Mit dem Baubeginn im Jahr 1982 war dieser Nachweis zumindest auf dem Papier erfüllt. Der Lüchow-Dannenberger Kreistag, die Samtgemeinde Gartow und die Gemeinde Gorleben hatten die Errichtung zuvor genehmigt. Die Zustimmung brachte den Kommunen eine „Infrastrukturhilfe“ in Millionenhöhe ein.

Ende 1983 war das Zwischenlager dann fertig. 1995 folgte die Einlagerungsgenehmigung. Im April desselben Jahres rollte der erste Castor-Transport nach Gorleben und traf auf heftigen Widerstand. Rund 15.000 Einsatzkräfte von Polizei und Bundesgrenzschutz sicherten die Fuhre, Schlagstöcke und Wasserwerfer kamen zum Einsatz – Szenen, die sich so oder ähnlich bei allen späteren Transporten wiederholten.

Der 13. und letzte Castor-Transport im November 2011 brach alle Rekorde. 126 Stunden war der Zug von der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Gorleben unterwegs, so lange wie nie einer zuvor. Mehr als hundert Blockaden mit Tausenden Aktivisten verzögerten die Weiterfahrt immer wieder.

Umstrittene „Kartoffelscheune“
Martin Schmedtje, Bürgermeister Brunsbüttel

„Es war nie die Rede davon, dass der Atommüll hier so lange gelagert werden soll“

„Der Name Kartoffelscheune ist damals schnell entstanden“, erzählt Ehmke. „Sie heißt so, weil die Halle lediglich Schutz vor schlechtem Wetter bietet.“ Nur die Castor-Behälter selbst sollten den Schutz vor der Strahlung oder vor Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen garantieren. Die Wände der Zwischenlager-Halle seien zum Teil dünner als 50 Zentimeter. Immerhin soll jetzt, nach Jahrzehnten, eine neue und dann zehn Meter hohe Mauer um das Zwischenlager gebaut werden.

Das Hauptproblem aber ist und bleibt: Die Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager in Gorleben gilt lediglich für 40 Jahre. Sie läuft also im Jahr 2034 aus. Ein Endlager wird bis dahin aber nicht gefunden, geschweige denn betriebsbereit sein. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) geht aktuell davon aus, dass ein Standort womöglich erst bis 2068 feststeht. Bis das Lager gebaut und befüllt ist, werden weitere Jahrzehnte verstreichen.

Die 113 Castoren mit heißem Atomschrott – einige verlieren in den kommenden Jahren ebenfalls ihre Zulassung – werden also bis auf Weiteres in Gorleben bleiben. Dasselbe gilt für die anderen 16 Zwischenlager für hoch radioaktiven Atommüll in Deutschland.

Nur für 40 Jahre genehmigt – eigentlich

Außer den zentralen Lagerstätten im niedersächsischen Gorleben und im westfälischen Ahaus wurden auch an den AKW-Standorten solche Anlagen hochgezogen. Im Norden Deutschlands – also in Brokdorf, Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein sowie in Esenshamm, Grohnde und Lingen in Niedersachsen. In den 2000er-Jahren errichtet und für 40 Jahre genehmigt, laufen die Genehmigungen an diesen Standorten 2046 oder 2047 aus.

Ein Sonderfall ist Brunsbüttel, wo Bürgermeister Martin Schmedtje gerade für Ausgleichszahlungen trommelt: 2013 hob zuerst das Oberverwaltungsgericht Schleswig und im Jahr 2015 dann auch das Bundesverwaltungsgericht die Betriebserlaubnis für das Zwischenlager auf. In der Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts hieß es, die Unfallrisiken seien nicht im erforderlichen Umfang berücksichtigt worden.

Oda Becker, Physikerin

„Nirgendwo in der Welt gibt es bisher Erfahrungen mit einer Zwischenlagerzeit von mehr als 50 Jahren“

Schleswig-Holsteins damaliger Umweltminister Robert Habeck (Grüne) focht das nicht an. Er ordnete an, die Lagerung des Atommülls erst mal weiter zu dulden. Bis heute gibt es für die 20 dort lagernden Castoren keine gültige Aufbewahrungsgenehmigung.

Die zuständige bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) macht bislang keine sichtbaren Anstalten, neue Genehmigungen zu beantragen. Sie beteuert immerhin, dass man sich auf eine Zwischenlagerung deutlich über den bisher genehmigten Zeitraum von 40 Jahren vorbereite. Im Zuge der neu zu führenden Genehmigungsverfahren müssten noch viele technische Fragen beantwortet werden.

Bürgerinitiative nennt es „befremdlich“

Die BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg nennt es „befremdlich“, dass sich die geballte Kraft der ehemaligen Standortgemeinden auf Kompensationsleistungen richte und sie sich mit Blick auf die verlängerte Zwischenlagerung um bis zu 100 Jahre nicht in erster Linie um die Sicherheit und Sicherung dieser Anlagen sorgen.

„Wir plädieren dafür, dass bei einer Verdoppelung der Laufzeiten es vorrangig um die Sicherheitsanforderungen geht, wie zum Beispiel die Alterung des Behältermaterials, neue Bedrohungsszenarien die Drohnenangriffe oder Flugzeugabsturz – und nicht um Geld“, teilte BI-Sprecher Ehmke am Montag mit.

Physikerin Oda Becker hat im Auftrag des Naturschutzbundes BUND ein Gutachten zu den Problemen der verlängerten Atommüll-Zwischenlagerung vorgelegt. „Nirgendwo in der Welt gibt es bisher Erfahrungen mit einer Zwischenlagerzeit von mehr als 50 Jahren“, sagt sie. Ihr Fazit: Der Terrorschutz an den Anlagen ist unzureichend, Reparatur- und Inspektionsmöglichkeiten fehlen. Das Sicherheitskonzept müsse an die verlängerte Lagerdauer angepasst werden.

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