Musikerin Chocolate Remix auf Tournee: Sexpositiv sells

Chocolate Remix rappt über soziale Missstände in Argentinien und über lesbische Lust. Sie veränderte damit den als sexistisch geltenden Reggaeton.

Chocolate Remix Foto: Diego Stickar

Der Song „Como me gusta a mi“ (Wie es mir gefällt) zeigt, was „Choco“ begehrt: Frauen, die ihre Hüften kreisen lassen und die „verbotene Frucht“ essen wollen. Akustisch und visuell geht es so explizit um Sex, dass man vorher sein Alter bestätigen muss. Mit 1,5 Millionen Aufrufen ist es der populärste Song von Chocolate Remix auf Youtube, bei Spotify führt „Ni una menos“ (nicht eine weniger) mit 2,2 Millionen Streams.

Die Themen sind für Reggaeton ungewöhnlich und andere Songs deutlich bekannter. Videos von Karol G haben mehr als eine Milliarde Aufrufe. Der Song „Despacito“ von Luis Fonso und Daddy Yankee ist sogar der am zweithäufigsten gesehene Clip mit mehr als 8,5 Milliarden Klicks. Reggaeton ist eine Mischung aus Reggae, Dancehall, Elementen von HipHop und Rap sowie anderen lateinamerikanischen Einflüssen und elektronischer Musik.

In den Videos und auf Reggaetonpartys wird viel und körperbetont getanzt. Ursprünglich übersetzten Gastarbeiter in Panama die englischen Texte des Reggae ins Spanische, über ­Pue­rto Rico verbreitete sich die Musik und liegt mittlerweile auch außerhalb Lateinamerikas groß im Trend.

Inhaltlich dreht sich alles um Sex, Liebe und große Gefühle, dazu der markante Bumm-ka-bumm-bumm-ka-Beat, Dembow („they bow“) genannt. Der Name verweist auf die homo­feind­lichen Ursprünge der Musik, regelmäßig wird Reggae­ton Sexismus sowie „Machismo“ vorgeworfen, Frauen würden als Objekte abgewertet und traditionelle Geschlechterrollen betont – fast ausnahmslos geht es um heterosexuelle Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Romina Bernardo, wie Choco mit bürgerlichem Namen heißt, hat einen anderen Ansatz. Die Producerin, DJ und Rapperin verbindet Reggaeton mit queer-feministischen Themen und richtet sich auch an Männer. In „Lo que mas mujeren quieren“ (Das, was Frauen wollen) rappt sie, dass zwei gut platzierte Finger viel wichtiger seien als Größe und Härte.

Lesbian ­Reggaeton

Ihre Texte handeln von Erotik­fantasien zwischen Frauen. Deshalb gilt die 39-jährige Argentinierin als Begründerin des Lesbian ­Reggaeton, wenngleich sie dem Magazin Lateinamerika Nachrichten erklärte, dass es feministische Songs wie „Quiero bailar“ von Ive Queen schon früher gab, diese nur nicht explizit als solche benannt wurden. Ihre Texte waren die ersten, mit denen sich Choco identifizierte, sie sei „die Mutter“ des feministischen Reggaetons, sagt sie der taz.

Romina Bernardo aka Chocolate Remix

Wenn die schon queeren Cumbia machen, warum kann ich dann nicht lesbischen Reggaeton machen?

Mit dem Begriff Feminismus wusste auch sie selbst anfangs nichts anzufangen. Sie wollte einfach nur Musik machen, in der auch ihre eigenen sexuellen Vorlieben vorkommen und nicht nur die der anderen. Schon als Jugendliche lief sie als Lesbe durchs Viertel. Trotzdem begann sie eher zufällig, lesbischen Reggaeton zu machen. Sie erzählt von einem Auftritt der argentinischen Band Kumbia Queers: „Wenn die schon queeren Cumbia machen, warum kann ich dann nicht lesbischen Reggaeton machen?“

Von Lisa M, einer lesbischen Rapperin und „Reggaetonera“, erfuhr sie später und auch mit Feminismus setzte sich Choco erst im Zuge ihrer weiteren musikalischen Entwicklung auseinander. Sie identifizierte sich zunehmend als queer und sieht sich heute als Transfeministin.

Reggaetonbeats kombiniert mit Texten, die die Macho-Mentalität des Genres attackieren, trafen einen Nerv, sodass die gelernte Programmiererin mit der Musik weitermachte und dieses Jahr zum wiederholten Mal durch Europa tourt. Musikalisch bewegen sich die Songs der in Buenos Aires lebenden Choco zwischen Cumbia, Funk Carioca, Dembow und eben Reggaeton.

Der eingängige Sound füllt mittlerweile auch in Europa große Stadien, und nicht nur bei männlichen Künstlern. Gerade erst war die Kolumbianerin Karol G mit ihrem neuen Album auf Tour, all ihre Konzerte, auch die in Zürich, Köln und Berlin, waren ausverkauft. Auf Spotify hat sie aktuell mehr monatliche Hö­re­r*in­nen als Katy Perry, Nicky Minaj oder Beyoncé, für die große spanische Zeitung El País ist Karol G „die Stimme des Empowerments der Frauen“. Selbst ihre männlichen Kollegen im Reggaeton – Daddy Yankee und Peso Pluma – lässt sie hinter sich.

Chocolate Remix sucht man in diesen Sphären vergeblich, 2017 jedoch zählte die BBC Romina Bernardo zu den 100 inspirierendsten Frauen der Welt. Ihre Existenz als queere Person im Reggaeton und die Texte über lesbischen Sex sind ein politisches Statement.

„Milei ist ein Dummkopf“

Politisch ist aber nicht nur ihre Sexualität: Die im Februar veröffentlichte Single „Otario“ (Spanisch für Idiot oder Dummkopf) richtet sich an den neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei und seine Anhängerschaft.

Das Video zum Song nahm sie während der Proteste gegen das Wahlergebnis und die angekündigten politischen Maßnahmen auf. Das Parlament stimmte im Juni seinen Plänen zur Streichung von Sozialprogrammen und der Privatisierung staatlicher Firmen zu, die Opposition sowie soziale Bewegungen befürchten einen Anstieg der Armut im Land.

Das neue Album „Minga“ befasst sich mit den aktuellen politischen Entwicklungen, trotzdem solle es Spaß und Humor verbreiten, denn die Regierung wolle, „dass die schreckliche Situation, die wir in Bezug auf die Wirtschaft und die Menschenrechte erleben, dazu führt, dass wir deprimiert sind und uns ergeben. Aber wir werden ihnen nicht nachgeben.“

In früheren Texten spielt auch die Frauenbewegung im Land eine Rolle. Der Song „Ni una menos“ bezieht sich auf die Proteste gegen männliche Gewalt an Frauen. Nach einer Vielzahl aufsehenerregender Femizide versammelten sich 2015 250.000 Menschen in Bue­nos Aires zu einer ersten Demonstration und sagten „nicht eine weniger“.

In anderen Staaten Lateinamerikas gab es vergleichbare Bewegungen. In Videos tanzen Frauen mit verbundenen Augen oder grünen oder lila Dreiecken um den Hals zu Songs, die patriarchale Strukturen und die Rolle des Staates anprangern.

Vor allem in spanischsprachigen Ländern ist „Ni una menos“ zu einem Symbol weiblichen Widerstands gegen die abscheulichen Taten vieler Männer geworden. Auf Konzerten von Choco sind ihre Wut und Energie greifbar, wenn sie „nicht eine weniger“ schreit. ­Explosiv sind auch die Tanz­einlagen von Choco und den Tänzerinnen, die mit ihr auf der Bühne stehen.

Sie geben ihre Performance des „Perreo“ zum Besten, ein Tanzstil, der dem twerken im „Doggystyle“ ähnelt und in der sie ohne den ­männlichen Gegenpart auskommen, an dessen Unterleib die Frau in klassischen hetero­sexuellen Vorstellungen ihr ­Gesäß reibt.

Das ist als Ansage an Männer zu verstehen, im Sinne von „ich brauche dich nicht, ich kann alleine Spaß haben, auch ohne deinen Penis“. Auf ihren Konzerten spüre sie „Ungehemmtheit und Freiheit“, sagt sie der taz. „Wir versuchen, meine Konzerte zu sicheren Räumen zu machen, in denen wir unsere Erotik, unser Vergnügen, unsere Körper durch die Musik teilen können, ohne Risiken eingehen zu müssen, weil wir queere Menschen oder Frauen sind.“

Kritisiert wurde sie für die eng anliegenden Outfits, bei denen viel Haut zu sehen ist, sowie für die derbe, vulgäre Sprache ihrer Texte. Auch Frauen beklagten die weitere Sexualisierung von weiblichen Körpern, die sie zu passiven Objekten mache.

Kritik ist klassistisch

Dieser Kritik entgegnet Choco im Guardian: „Es ist großartig, dass wir solche Dinge analysieren, aber am Ende schaffen wir nur mehr Tabus für Sex.“ Sex sei etwas Tolles, man solle sich doch nicht von einer patriarchalen Gesellschaft vorschreiben lassen, was erlaubt ist und was nicht.

Für sie sei tanzen Ausdruck von Macht und Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Die Gegner der derben und vulgären Sprache ihrer Texte kämen vor allem aus akademischen Kreisen. Die Sprache der Straße sei aber eine andere als in der Uni und ja, sie hätten halt keine Anzughose und kein Hemd an.

Die Kritik trage Elemente von Klassismus in sich, bei der gebildete Menschen den Straßenkids das richtige Benehmen vorschreiben wollen. Mit anderen Vorwürfen setzt sich Choco ernsthafter auseinander.

Es sei kulturelle Aneignung, dass sie als weiße Frau mit ­Musik Geld verdiene, deren Ursprünge auf afro-karibische und lateinamerikanische Kulturen zurückgehen. Von dem Begriff hatte sie vorher noch nie etwas gehört, gibt aber zu, dass rassistische Vorstellungen in Argentinien und auch bei ihr vorhanden sind.

Sie sei sich dieser Problematik mittlerweile bewusst, kenne, respektiere und verbreite die Ursprünge des Reggaeton und versuche, eine Stimme und einen Standpunkt als queere Person einzubringen. „Ich fühle mich dieser Musik viel näher als Genres, die eher mit klassischer oder traditioneller europäischer Musik assoziiert werden.“

Und wie kam es zum Namen Chocolate Remix? Er entstand in Anlehnung an den Begriff „Torta“ (Torte), der in Argentinien für Lesben benutzt wird. Im Studium war eine Schokoladentorte ihr Kennzeichen. Auf dem Cover ihres ersten Albums „Sátira“ zeigt sich Choco in einem weißen Abendkleid, vom Mund bis zum Dekolleté mit Schokolade beschmiert.

Den Erwartungen an eine Hochzeit widersetzt sie sich ganz offenbar – eine Kampfansage an alle heteronormativen Vorstellungen (und Männer), die Frauen in bestimmten Rollen sehen wollen.

ausstehende Konzerte in Deutschland: 15.8. Leipzig, 16.8. Bremen, 17.8. Köln und 25.8. Bielefeld

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