Todesstrafe in Belarus: Minsker Märchenstunde

In Belarus wurde ein Deutscher zum Tod verurteilt. Jetzt fleht er im belarussischen Staats-TV um Gnade. Nach wie vor bleibt der Fall nebulös.

Ein Mann sitzt mit Handschellen in einer Zelle.

Im belarussischen Staatsfernsehen vorgeführt: Der Deutsche Rico Richter wurde in Minsk zum Tode verurteilt, im Juni 2024 Foto: screenshot/staatlicher Fernsehsender Belarus 1

BERLIN taz | Der Titel des Beitrages, der auf der Website des staatlichen belarussischen Fernsehsenders Belarus 1 am Donnerstag dieser Woche über den Äther geht, lautet: „Beichte eines deutschen Terroristen, der zum Tode verurteilt ist.“ Zu sehen ist ein junger Mann, der in einem Raum hinter Gitterstäben sitzt und Handschellen trägt.

Es soll sich um den deutschen Staatsbürger Rico Krieger handeln, und das Urteil bereits im Juni ergangen sein. Einer von mehreren Vorwürfen lautet, der Beschuldigte sei für eine Explosion an der Bahnstation Oserischtsche in der Nähe der Hauptstadt Minsk verantwortlich.

Die Geschichte des deutschen Staatsbürgers Rico Krieger werde in den Medien, auch im Ausland, rege diskutiert, heißt es in der Anmoderation des Beitrages. Wann genau dieser erstellt wurde bleibt im Dunkeln. Da gebe es viele unzuverlässige Informationen, Spekulationen, Manipulationen und Versuche, diese Person als Opfer darzustellen, so der TV-Sprecher.

Die offiziellen deutschen Behörden schwiegen, aber Krieger sei „kein zufälliges Opfer“, sondern ein „hoch motivierter Krimineller“. Er habe sich vorsätzlich auf den Terroranschlag eingelassen, heißt es weiter.

Dann spricht Krieger, dessen Ausführungen ins Russische übersetzt werden. Es ist ein öffentliches Mea Culpa, wie man es aus Belarus kennt. Vor einem Jahr habe er die Entscheidung getroffen, sich in der Ukraine nützlich zu machen.

Als Angehöriger des Sicherheitspersonals der US-Botschaft in Berlin habe er Kenntnisse im Umgang mit Waffen erworben, jedoch auch als Rettungssanitäter gearbeitet. Dann habe er Kontakt zu einem Regiment aufgenommen, sagt Krieger. Im Falle seines Todes hätte seine Familie umgerechnet 420.000 Euro erhalten sollen.

Ukrainischer Geheimdienst als Auftraggeber

Von welchem Regiment genau Rico Krieger spricht, bleibt unklar. Laut der belarussischen Menschenrechtsorganisation Viasna (Frühling), die in der vergangenen Woche den Fall öffentlich gemacht hatte, könne es sich dabei um das Kastus-Kalinouski-Regiment gehandelt haben – eine Gruppe von Belarussen, die an der Seite Kyjiws in der Ukraine gegen die russischen Besatzer kämpfen.

Laut Krieger habe ihn jemand mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU in Verbindung gebracht. Bei einem Gespräch sei ihm vorgeschlagen worden, sich zwecks Erledigung wichtiger Aufgaben nach Minsk zu begeben. Eingereist sei er per Flugzeug über Aserbaidschan.

Zunächst habe er Fotos von militärische Objekten in der Stadt Osipowitschi gemacht und diese dann per Messenger verschickt. Am 5. Oktober habe er einen Rucksack an der Bahnstation Oserischtsche deponieren müssen. Einen Tag später sei er auf dem Minsker Flughafen festgenommen worden. „Ich habe erst da erfahren, dass es eine Explosion gegeben hat, mehr wurde mir nicht gesagt. Ich bedauere das alles“, sagt Krieger.

Laut Viasna habe Kriegers Prozess hinter verschlossenen Türen stattgefunden. Er jedoch sagt, Diplomaten der deutschen Botschaft in Minsk hätten den Gerichtsverhandlungen beigewohnt.

Bitte um Begnadigung

„Jetzt fühle ich mich wie eine Art Giraffe, die gleich erschossen wird“, sagt Krieger. „Die Regierung muss für mich kämpfen. Aber Deutschland will keinen Kontakt zu Belarus aufnehmen. Jetzt arbeitet die Zeit gegen mich. Das Urteil kann jederzeit vollstreckt werden.“ Am Ende bricht Krieger in Tränen aus und bedauert das, was er getan habe. Er hoffe, dass Staatschef Alexander Lukaschenko ihm verzeihe und ihn begnadige.

Laut Belarus Segodnja, Hauptorgan der gleichgeschalteten Presse in Belarus, werden dem Deutschen neben Terrorismus auch noch Söldnertum, Spionage, Bildung einer „extremistischen Formation“, illegale Handlungen im Zusammenhang mit Schusswaffen und Sprengstoffen sowie vorsätzliche Zerstörung eines Verkehrsobjektes zur Last gelegt. Das Internetportal Mediasona Belarus berichtete, Krieger habe sich eines Anklagepunktes, nämlich der Spionage, schuldig bekannt.

Die Causa Krieger war am Freitag auch Thema der Regierungspressekonferenz in Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „ist wie die ganze Bundesregierung besorgt über die Vorgänge“, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann. Zu dem belarussischen TV-Beitrag hieß es, es sei „in Belarus wohl leider gängige Praxis, Menschen entsprechend auch in Videos oder im Fernsehen vorzuführen“. Sie könne nur an die Regierung in Minsk appellieren, „so etwas zu unterlassen“.

Was die sogenannten Vorgänge angeht gibt es derzeit weitaus mehr Fragen als Antworten. Wird Rico Krieger konsularisch betreut? Wenn ja, wie sieht diese Betreuung aus? Hat von deutscher Seite jemand direkten Zugang zu dem Inhaftierten? Hält das Auswärtige Amt (AA) Kontakt zu Ricos Kriegers Familie in Deutschland? Liegen dem AA Erkenntnisse darüber vor, wie Krieger nach Belarus gelangt ist?

Eine entsprechende Anfrage der taz ließ das AA mit Verweis auf die oben zitierten Ausführungen der Bundespressekonferenz am Freitag unbeantwortet.

Auffällige Parallelen

Der Fall Krieger weist so einige Parallelen zu dem Schicksal des Belarussen Roman Protassewisch auf. Der 29-Jährige frühere regimekritische Blogger und Journalist war im Mai 2021 auf dem Rückflug von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius, wo er damals im Exil lebte. Die Maschine der Ryanair wurde über dem belarussischen Luftraum abgefangen und wegen einer angeblichen Bombendrohung in Minsk zur Landung gezwungen.

Protassewisch wurde umgehend festgenommen. Bei mehreren Auftritten im Staatsfernsehen – teilweise mit blauen Flecken im Gesicht – gestand er seine „Schuld“ und gab Ergebenheitsadressen für Lukaschenko ab. Letztendlich wurde er begnadigt.

Belarus ist das einzige Land in Europa, in dem die Todesstrafe noch vollstreckt wird. Nach Angaben der Weltkoalition gegen die Todesstrafe (WCADP) wurden im Mai 2023 in Belarus vier Personen zum Tod verurteilt. Die letzte bekannte Vollstreckung eines Todesurteils wurde im Jahr 2022 registriert. 2020 und 2021 wurde niemand hingerichtet.

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