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Krieg in der UkraineAn der Front statt auf dem Acker

Die Ukraine braucht Soldaten – deswegen fehlen ihr Arbeitskräfte. Auch Anwerbung im Ausland soll Abhilfe schaffen.

Auch im Landwirtschaftssektor fehlen Arbeitskräfte Foto: Smoliyenko Dmytro/picture alliance

Luzk taz | Die Stadt Luzk im Westen der Ukraine morgens um sechs, am Werkstor der Fabrik für Pkw-Kabelbäume. Einige Soldaten in Polizeibegleitung kontrollieren die Ausweisdokumente der Männer, die aus der Nachtschicht zur Frühstückspause gehen. Einige lassen sie weiter, anderen stellen sie eine Vorladung auf das Einberufungsamt aus. Mitarbeiter dieser Fabrik, wie auch vieler anderer Betriebe, sind bereits im russisch-ukrainischen Krieg gefallen. Aber die Mobilmachung geht weiter. Und damit auch der Verlust von Arbeitskräften für die Fabrik.

Im Agrarbetrieb von Serhij Kotschubej im westukrainischen Wolyn arbeiten außer ihm noch fünf weitere Männer. Erst vor Kurzem wurden zwei von ihnen eingezogen. Jetzt sind insgesamt schon vier seiner Arbeiter an der Front. Der 24-jährige Bohdan Hlum arbeitet als Traktorist in dem Betrieb. Früher fuhr der junge Mann zum Arbeiten nach Polen, aber als er Arbeit in der Ukraine fand, kam er zurück in seine Heimat. Er sei noch nicht einberufen worden, erzählt er, deshalb werde er weiter auf dem Feld arbeiten.

Um den Agrarsektor zu unterstützen, verlängerte die Regierung die Mobilmachungsfrist für Arbeiter in der Landwirtschaft, jedoch für nicht mehr als die Hälfte der Männer in einem bestimmten Betrieb.

Das benachbarte Gebiet Lwiw ist nur einen Schritt vom Verkehrskollaps entfernt. Aktuell fehlen 90 Straßenbahn- und 120 Busfahrer. Die Stadt bietet jetzt kostenlose Schulungen für Frauen an, die in diesen Berufen arbeiten wollen.

Programm für Frauen

Der Mangel an Lkw-Fahrern bringt auch den internationalen Güterverkehr in Schwierigkeiten. „Wir haben 46 Fahrzeuge“, erzählt der Inhaber der Spedition Inter Trans Logistik, Viktor Berestenko. „Davon sind nur 20 bis 30 im Einsatz, weil wir zu wenige haben, die hinter dem Lenkrad sitzen können. Einige unserer Fahrer sind von Fahrten ins Ausland nicht zurückgekommen, sie haben unsere Lkw dort stehen lassen und möchten nicht zurückkommen. Einige sind nach der Verabschiedung des Mobilmachungsgesetzes in Panik geraten und haben gekündigt. Die Arbeit unseres Unternehmens ist lahmgelegt.“

Als Folge der Mobilmachung werde die Ukraine jetzt ein staatliches Programm zur Ausbildung von Frauen zu Lkw-Fah­rer*in­nen starten, sagte der stellvertretende Verkehrsminister Serhiy Derkatsch.

„Während des Krieges ist der Personalmangel fast das größte Problem der Firma Interpipe geworden“, steht auf der Firmenwebsite. Das Unternehmen stellt nahtlose Rohre und Eisenbahnräder her. „Aktuell haben wir einen Personalmangel von 12, in einigen Abteilungen sogar von 25 Prozent.“

Der Arbeitskräftemangel ist auch auf Baustellen zu spüren. Nach Angaben des Arbeitgeberverbands der Ukraine ist in den zwei Jahren seit Kriegsbeginn die Zahl der offiziell registrierten Bauarbeiter um 25,4 Prozent zurückgegangen. Inhaber von Baufirmen wollen jetzt gezielt Migranten anwerben.

Langfristiger planen

Ein Bauunternehmer in Iwano-Frankiwsk hatte unlängst eine positive Nachricht zu vermelden: die Ankunft von etwa 50 Arbeitskräften aus dem Ausland. Aktuell betreut die Firma 35 Projekte. Dafür benötigen sie Maurer, Betonbauer und Hilfskräfte.

Bauunternehmen suchen Arbeitskräfte in der Republik Moldau, in Usbekistan und Aserbaidschan. Ausländer sind nicht von der Mobilmachung betroffen und so können die Unternehmen langfristiger planen.

Laut einer Arbeitsmarktstudie der European Business Association sind fast drei Viertel aller Firmen in der Ukraine mit einem Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Im Herbst 2023 waren es rund 50 Prozent. Der Arbeitsmarkt gleiche in letzter Zeit einer menschenleeren Wüste: Von Tag zu Tag gebe es weniger Arbeitssuchende, der Wettbewerb um offene Stellen nehme stetig ab. So lautet der Befund von Analysten eines Jobportals zur aktuellen Lage auf dem ukrainischen Arbeitsmarkt. Ein Grund für diese Situation ist auch der Umstand, dass seit Kriegsbeginn etwa 5 bis 7 Millionen Menschen ins Ausland gegangen sind.

Mittlerweile wurden drei Gesetzesentwürfe zur „Rückstellung von der Mobilmachung aus wirtschaftlichen Gründen“ vorgelegt. Einer sieht die Rückstellung eines Arbeitnehmers unter der Bedingung vor, dass der Arbeitgeber monatlich 20.400 Hrywnja (500 Euro) „Kriegsabgabe“ zahlt. Zurückgestellt werden können auch diejenigen, deren Nettogehalt mindestens 36.000 Hrywnja (knapp 800 Euro) beträgt. Der dritte Gesetzentwurf kombiniert Gehaltskriterien mit der Zahlung einer Abgabe von mehr als 20.000 Hrywnja (440 Euro).

Aus dem Ukrainischen von Gaby Coldewey

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