Sichtbarkeit von Sportlerinnen: Und nun zu den Nachrichten
Die Präsenz von Sportlerinnen im TV ist trotz Aufwärtstrend gering. Olympia kann mit erstmaliger Geschlechterparität die Zahlen etwas aufbessern.
Von Missionen und Visionen ist bei den Machern der Olympischen Spiele schon aus Vermarktungsgründen ständig die Rede. So wundert es kaum, dass sie auf dem Weg zu ihren hehren Zielen auch die Medien ein wenig an die Hand nehmen.
Vor den Sommerspielen in Paris wurde etwa ein 37-seitiger aktualisierter Ratgeber veröffentlicht, der sich mit der bestmöglichen medialen Darstellung der Geschlechter befasst. Den TV- und Rundfunksendern wird darin empfohlen, „so weit wie möglich sicherzustellen, dass die gleiche Sendezeit und Berichterstattung dem Sport von Frauen und Männern gewidmet sind.“
Günstige Bedingungen dafür hat das Internationale Olympische Komitee (IOC) selbst geschaffen. Bei diesen Olympischen Spielen in Paris sind erstmals so viele Frauen wie Männer am Start. Das damit verbundene Ansinnen, eine geschlechtergerechte Sportberichterstattung herzustellen, kann fast schon als revolutionär bezeichnet werden. Im Alltag sind die Sportredaktionen der TV- und Radiosender, Zeitungen und Onlinemedien weit davon entfernt – auch die taz.
Der Sportausschuss des Bundestages hat sich erst im März mit der mangelnden Sichtbarkeit von Sportlerinnen in den Medien beschäftigt. Damals beklagte die Ruderin Pia Greiten, die in Paris gerade mit dem Doppelvierer Bronze gewann, die geringe Medienpräsenz des Frauensports wirke sich nachteilig auf die Vermarktbarkeit und das Sponsoreninteresse aus.
Die geringeren Einnahmen wiederum erschwere die Finanzierbarkeit von Frauensportevents. Zudem wies sie daraufhin, dass die wenigen Blicke auf den Frauensport häufig noch „sehr stark sexualisiert“ seien.
Wie wenig Aufmerksamkeit die Leistungen von Sportlerinnen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erhalten, unterstreicht auch eine aktuelle Untersuchung von Media Tenor, einem Schweizer Unternehmen für Medienanalysen.
Überraschende Zahlen in der Leichtathletik
Über den Zeitraum von 2012 bis Mitte 2024 wurden die Hauptnachrichtensendungen der ARD („Tagesschau“, 20 Uhr) und des ZDF („heute“, 19 Uhr) nach Sportmeldungen durchforstet. Die Männerdominanz beim Fußball und Radsport mag dabei wenig überraschen. Erstaunlich ist allerdings, dass selbst in Sportarten, die weniger geschlechtsdominant erscheinen, große Disbalancen festzustellen sind.
So drehten sich in den ZDF-Nachrichten 231 Leichtathletikmeldungen um Männer und nur 130 um Frauen. Bei der ARD ist das Missverhältnis (131/74) ähnlich. Im Wintersport schafften es laut Media Tenor Männer 2.278-mal in die ZDF-Nachrichten, Frauen hingegen nur 1.225-mal. Bei den ARD-Nachrichten gewinnen ebenfalls männliche Athleten den Vergleich (1.061:499) deutlich.
Auf Anfrage der taz, wie diese Differenzen zu erklären sind und wie Sportmeldungen für die Nachrichten ausgewählt werden, erklärt die ARD: „Die Auswahl der Nachrichten erfolgt ausschließlich nach journalistischen Nachrichtenkriterien, das Geschlecht zählt nicht dazu.“ Eine eigene statistische Auswertung von Nachrichten würde diesem journalistischen Grundsatz widersprechen.
Zudem wird auf die Abhängigkeit von den Sport-Senderechten hingewiesen, auf deren Erwerb die Nachrichtenredaktion keinen Einfluss habe. Gleicht man diese Aussagen mit den Media-Tenor-Resultaten ab, heißt das übersetzt wohl, dass der Aufmerksamkeitswert, den eine Nachricht auf sich ziehen kann, Männersportnachrichten nach wie vor stark begünstigt.
Sowohl ARD als auch das ZDF machen indes darauf aufmerksam, die Media-Tenor-Analyse würde die wachsende Sichtbarkeit von Sportlerinnen in ihren jeweiligen Sportsendungen außer Acht lassen. Insbesondere wird das verstärkte Engagement in den letzten Jahren im Frauenfußball hervorgehoben.
Aber auch in anderen Sportarten würde „die Entwicklung vorangehen“, so die ARD und weist auf die nächste Woche beginnende Radrundfahrt „Tour de France Femmes“ hin, die erstmals täglich auf ihrem Sender zu sehen sein wird.
Seltsame Entscheidungen
Zahlen zur Präsenz von Sportlerinnen in deutschen Sendungen sind nur schwer aufzutreiben. Eine Untersuchung in Österreich aus dem Jahre 2019/20 stellte fest, dass die Präsenz von Sportlerinnen im täglichen Sportüberblick der ORF-Sendung „Sport Aktuell“ bei nur 15 Prozent lag.
Von einem ausgeglichenen Verhältnis dürfte man auch im deutschen TV weit entfernt sein. Nur während der Olympischen Spiele herrscht nun der Ausnahmezustand. Wobei es auch hier zu seltsamen Entscheidungen kommt.
Als die deutschen 3x3 Basketballerinnen und späteren Gold-Gewinnerinnen im Halbfinale nur noch 25 Sekunden zu spielen hatten, brach man die Übertragung lieber für pünktliche „heute“-Nachrichten ab. Als wenige Tage später die Weitsprunglegende Bob Beamon im Olympia-Studio zu Gast war, fingen die Nachrichten dagegen mit Verspätung an.
Anm. der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, die Übertragung des Finalspiels sei abgebrochen worden. Es war aber das Halbfinale. Wir haben die entsprechende Stelle geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient