Gefangenenaustausch mit Russland: Ein gewagtes Spiel

Der Geiseldeal hat einen hohen Preis – ist aber ein wichtiges Signal in Richtung Russland. Gesprächskanäle sind in Zeiten des Krieges notwendig.

Alsu Kurmasheva umarmt ihre Töchter

Ein Moment des Glücks: die freigelassene Alsu Kurmasheva umarmt ihre Töchter Bibi und Miriam Butorin Foto: Alex Brandon/ap

Die Inszenierung des Gefangenenaustauschs macht derzeit eine steile Karriere auf der weltpolitischen Bühne. Die Humanität ist eine strahlende Figur in diesem Stück. Ein wenig unscheinbarer tritt auf: das politische Signal. Dabei ist es der eigentliche Star der Inszenierung. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu hat das gerade eindrucksvoll vorgeführt, indem er via Teheran die Verhandlungen mit der Hamas über eine Rückkehr der Geiseln des 7. Oktober torpedierte.

Beim spektakulärsten Gefangenenaustausch seit dem Ende des Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen ist weniger das Signal des russischen Potentaten interessant als das der deutschen Bundesregierung. Ist die gezeigte Kompromissbereitschaft das richtige Signal? Ist der Preis, den wegen Staatsterrorismus in Deutschland verurteilten Tiergartenmörder Wadim Krassikow zu seinem Auftraggeber in Moskau ziehen zu lassen, dafür zu hoch?

Die Liste der Personen, die die USA und Deutschland freibekommen haben, ist lang – es ist wahrlich ein historischer Deal. 16 Personen insgesamt saßen am 1. August im Kreml-Flieger. Neben dem Wall-Street-Journal-Journalisten Evan Gershkovich war eine Reihe bekannter russischer Oppositioneller wie Wladimir Kara-Mursa darunter, Oleg Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial und einige Vertraute von Alexei Nawalny. Aber auch deutsche Staatsbürger waren Teil des Deals. Dafür holt Putin den Tiergartenmörder Krassikow, der für ihn persönlich eine besondere Rolle spielen muss, und eine ganze Reihe anderer Agenten Russlands triumphierend nach Hause.

Es ist ein gewagtes Spiel. Der Gefangenenaustausch bedeutet für Putin einen hervorragenden Anreiz, weitere Menschen ohne jedes Recht wahllos willkürlich zu inhaftieren und als Geiseln zu benutzen. Jeder erfolgreiche Austausch versieht Deutsche, Amerikaner.innen und Bürger und Bürgerinnen anderer nicht prorussischer Länder mit einem Preisschild. Mit Inflation darf gerechnet werden.

Irgendwann wird irgendwer mit Russland reden müssen über mehr als den Austausch von Gefangenen, wie jetzt geschehen

Und was ist mit dem neuerlichen Anreiz, Anschläge und Morde auf deutschem Staatsgebiet zu verüben? Es besteht ja mit einigem Recht die Aussicht, ohnehin irgendwann ausgetauscht zu werden. Was ist mit denen in russischen Knästen oder Straflagern, die nicht ausgetauscht wurden? Sind sie weniger wert? Dieser Austausch ist auf vielen Ebenen ein äußerst heikles Manöver. Ein Kniefall, sagen viele.

Deutschland und die USA können sich zwar anrechnen, dass sie mit diesem Deal unschuldige Menschen gerettet haben. Doch die auffällige Asymmetrie beim Austausch Unschuldiger gegen einen Mörder und echte Agenten wirkt erst einmal mehr wie Not denn Stärke.

Es sind deshalb gute Gründe, wegen derer sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock seit vielen Monaten gegen den Deal gesperrt hatte. Jetzt hat sich die Linie, für die Bundeskanzler Olaf Scholz stärker warb, durchgesetzt. Er hatte schließlich US-Präsident Joe Biden versprochen, den Weg für einen Deal frei zu machen, der Evan Gershkovich endlich nach Hause bringt. Die Humanität bekommt ihren Applaus.

Es gibt keine magische Formel dafür, wann sich ein Staat durch Geiseln erpressen lassen darf. Es gibt auch kein objektives Maß dafür, wann ein Deal von Stärke und wann er von Schwäche zeugt. Immerhin ist in diesem Fall die Bundesregierung wohl mit ihrer eigenen Forderungsliste an Putin hart geblieben – do or die hieß es am Schluss. Wenn nun aber beide Seiten eines Deals viel gegeben haben, ist der Deal vielleicht doch kein ganz schlechter.

Signal an die russische Opposition

Und neben der Botschaft der Humanität sendet die Bundesregierung hier doch zwei wichtige Signale, die den hohen Preis wert sein könnten: Zum einen lässt sie die russische Opposition nicht allein. Wie schon beim im russischen Gefängnis gestorbenen Putin-Kritiker Alexei Nawalny, dessen Austausch im Februar Tage vor seinem Tod schon vereinbarte Sache schien, bietet sich Deutschland als sicherer Fluchtort an. Diejenigen, die vielen, die weiter inhaftiert sind, sie sollen zudem hören: Wir vergessen euch nicht.

Im Gegenzug bleibt die Bundesregierung, wenn auch durch Unterhändler, im Gespräch. Und jede Form der Gesprächsbereitschaft hält diplomatische Kanäle in Kriegs- und Krisenzeiten, wie wir sie derzeit haben, offen. Man interpretiert zu viel hinein, wenn man Bundeskanzler Olaf Scholz hier weniger Härte gegenüber Russland oder gar Verhandlungsbereitschaft unter russischen Vorzeichen unterstellte.

Nur irgendwann, wenn auch schwer abzusehen wann, irgendwann wird irgendwer mit Russland reden müssen, reden müssen über mehr als den Austausch von Gefangenen. Aber nun, es geht ja erst einmal nur um Signale.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.