: Absurde Kritik
Das Beste an der EU-Verfassung ist der Umstand, dass es sie gibt. Das linke Mäkeln an „neoliberalen“ Passagen und einem „Aufrüstungsgebot“ ist pausbäckig bis dämlich
Die Linke überschlägt sich neuerdings mit Superlativen. Endlich ist sie wieder in der Offensive! Von einer „beispiellosen Mobilisierung der Linken“ ist auf einschlägigen Internetseiten die Rede. Da tun sich sozialdemokratische und extreme Linke, Gewerkschafter, Netzwerke und Bewegungen zusammen. Vereinigt für ein Ziel. Wogegen geht es? Gegen Krieg, Faschismus, eine Rechtsregierung? Nein. Es geht gegen die neue Verfassung der Europäischen Union.
Die steht morgen in Frankreich zur Abstimmung. Die Umfragen verheißen ein Nein der Franzosen. Ein wesentlicher Teil der dortigen Sozialdemokraten unter Laurent Fabius machte ein Ja von der Bedingung abhängig, dass der Stabilitätspakt reformiert, das EU-Budget erhöht, Steuerharmonisierung eingeführt und Sozialdumping verboten wird. Wünsche, die Fabius – wie er wohl voraussah – auf die Schnelle nicht erfüllt wurden. Fabius will demnächst linker Präsidentschaftskandidat werden. Da schien ihm ein Nein zur EU-Verfassung unter den Bedingungen der postmodernen Aufmerksamkeits-Ökonomie eine originelle und damit richtige Position. So sind nun Linke, moderate Nationalisten und Rechtsradikale fröhlich vereint.
Hierzulande ist kein Referendum angesetzt, was die Folge hat, dass ein wachsender Teil der hiesigen Linken den französischen Verfassungsgegnern die Daumen drückt. Denn die EU-Verfassung, so ist zu hören, ist ganz schrecklich.
Das wahrscheinlich Bedeutendste an einem Verfassungsprozess ist seine symbolische Bedeutung als konstituierender Akt eines Gemeinwesens. Sieht man davon ab, haben Verfassungen in zweierlei Hinsicht Belang: als Regelwerk, das die Kompetenzabgrenzung einzelner Organe eines komplexen Gemeinwesens verbindlich regelt. Und als Rückversicherung der Bürger, bestimmte zentrale Grundrechte einfordern zu können. Was darüber hinausgeht, der weiche Bereich der „Staatszielbestimmung“ und der schönen Postulate, ist zwar nicht völlig unwichtig. Aber ist doch primär durch den jeweils aktuellen politischen Kampf bestimmt und weniger durch eine ein für alle Mal festgeschriebene Konstitution. „Eigentum verpflichtet“, steht bekanntlich im Grundgesetz, was dem SPD-Vorsitzenden Müntefering vielleicht die Möglichkeit gibt, Arbeitgeber-Chef Hundt für einen Verfassungsfeind zu halten. Ansonsten aber hat der Satz keine positiven Auswirkungen, solange die Mehrheiten der Linken nicht reichen, daraus praktikable Gesetze zu machen.
Nun ist die EU-Verfassung ein Fortschritt für die praktische Organisation des Gemeinwesens EU mit seinen heute 25 Mitgliedsstaaten. Was die einklagbaren Grundrechte betrifft, sogar ein gehöriger Schritt vorwärts. Die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments – weitgehend gleichberechtigt mit dem Ministerrat – wird zur Regel. In einzelnen Fällen erhält das EU-Parlament auch Initiativrecht (bisher ein Privileg der Kommission). Das ist vielleicht noch nicht das demokratische Paradies, aber doch ein entscheidender Zuwachs an demokratischer Legitimität. Ein Fortschritt, der auch von Seiten der Kritiker anerkannt wird. Auch das Verfahren zur Auswahl von Kommissionspräsident und Kommissaren wird künftig demokratischen Gepflogenheiten nicht mehr Hohn sprechen.
Es finden sich aber unter den Staatszielbestimmungen ein paar diskussionswürdige Passagen. So stoßen sich linke Verfassungsgegner an Passagen, die die Union zu einen „ausgewogenen Wirtschaftswachstum und Preisstabilität“ verpflichten, die „eine im hohen Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ als Ziel formulieren, und „offene Marktwirtschaft“ und „Liberalisierung der Dienstleistungen“ als konstituierende Grundsätze der Union festschreiben.
Zwar stellt sich die Frage, ob das Wettbewerbsrecht in ein Grundgesetz gehört. Das aber könnte freilich von anderer Seite auch moniert werden, etwa mit Verweis auf beschwörende Passagen wie: die Union „bekämpft soziale Ausgrenzung“ und fördere „soziale Gerechtigkeit“.
Der Wahrheit wegen soll hier nicht versucht werden, „soziale“ gegen „neoliberale“ Verfassungsteile aufzuwiegen. Beide werden kaum politische Bedeutung erlangen. Ob Europa demnächst wieder mehr in sozialstaatliche oder weiter in marktradikale Richtung tendiert, wird sich weder bei Referenden noch bei Ratifizierungsakten der Verfassung entscheiden. „Wir können uns mit dieser Verfassung den politischen Kampf der Zukunft nicht ersparen“, formuliert Johannes Voggenhuber, österreichischer Grüner und federführender Euro-Öko im Verfassungskonvent.
Ein anderer Kritikpunkt an der EU-Verfassung resultiert schon mehr aus Böswilligkeit als nur aus einem pausbäckigen Verständnis für politische Prozesse: die Verdammung der Konstitution wegen ihrer angeblichen „Aufrüstungsverpflichtung“. Die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“, zielt nämlich in erster Linie auf die europäische Koordination und Vergemeinschaftung von Sicherheitspolitik ab. Die Gefahr eines Euro-Imperialismus ist auch mit Euro-Korps und einer „Europäischen Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten“ unwahrscheinlich. Wobei – dies nur nebenbei – ein wenig mehr europäisches Muskelspiel womöglich im Sinne der Kriegsgegner wäre, die bei anderer Gelegenheit Eigenständigkeit gegenüber dem US-Hegemon einfordern.
Aber wenn es ums Militär geht, schrammt die Verfassungskritik hart ans Absurde. Wie in jenem Papier auf der Attac-Homepage, in der die diesbezügliche Verfassungsbestimmung mit der angeblich „seit Jahren von den USA geforderten Aufrüstung“ in Verbindung gebracht wird – als hätten die USA nicht seit Jahren alles versucht, den Aufbau eigener europäischer militärischer Kapazitäten zu untergraben.
So dumpf die linke Kritik an der EU-Verfassung aber auch ist, so ist diese natürlich keine linke Verfassung. Sie spiegelt die ideologischen Prämissen und Interessengegensätze von 25 Mitgliedsstaaten zum Zeitpunkt ihrer Formulierung wider sowie das Übergewicht der Regierungen. Sie leidet vor allem unter dem Manko, dass sie während des Verfassungsprozesses durch keine öffentliche Debatte begleitet wurde. Es gibt eine Verfassung, aber kein Staatsvolk in einem irgendwie emphatischen Sinn. Sie kann so nur ein höchst schwaches Gründungsereignis sein. Das Beste an der EU-Verfassung ist der Umstand, dass es sie überhaupt gibt.
Deshalb ist dieses neue linke Pathos absurd: „Werfen wir die Verfassung in den Mist und schreiben wir uns eine schönere! Bekämpfen wir den Neoliberalismus, indem wir ihm den größten Gefallen tun!“ Die Welt würde, so ist zu fürchten, keine bessere, würde der Integrationszug in die Luft gesprengt. Die Linke könnte eine Nacht lang ihren Sieg feiern. Danach lachen die Freunde der Nationalstaatlichkeit und die Anhänger der Freihandelszone. ROBERT MISIK
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