Wohnungskrise in den Städten: Geht doch zelten!

Bauministerin Klara Geywitz (SPD) meint, sie hat eine Lösung für den stockenden Wohnungsbau gefunden. Dabei ist es eine Kapitulation.

Zelte auf einer Wiese an einem Fluss, Neubauten am anderen Ufer

Obdachlose zelten an der Schillingbrücke. Gegenüber Investorenprojekte des East Side Parks Foto: Dirk Sattler/imago

Klara Geywitz macht die Marie-Antoinette. Die SPD-Politikerin und Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen der BRD benimmt sich gerade genauso ahnungslos wie die verhasste französische Königin, die 1793 von den Revolutionären als Verkörperung der Dekadenz des Ancien Régime geköpft wurde.

Um die Entfremdung zwischen den ausschweifend luxuriös lebenden Monarchen und der hungernden Bevölkerung zu veranschaulichen, legte man ihr den berühmten Satz in den Mund: „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen.“

Ähnlich ahnungslos über die Zustände in Deutschland scheint Ministerin Geywitz. Für die verzweifelt eine Wohnung suchenden Bürger in Großstädten und Ballungsräumen hat sie jetzt folgende überraschende Lösung vorgeschlagen: Umziehen. Und zwar aufs Land.

„Gerade in kleinen und mittelgroßen Städten ist das Potenzial groß, weil es dort auch Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Ärzte gibt“, sagte die SPD-Politikerin in einem Interview.

Eine kreative Lösung

Wer also keine bezahlbare Wohnung mehr dort findet, wo er gerne leben würde, dem kann die Politik jetzt auch nicht mehr helfen. In Deutschland heißt die Lösung der städtischen Wohnungsnot ab sofort: Geht doch zelten!

Jedenfalls fast. „Homeoffice und Digitalisierung bieten inzwischen ganz neue Möglichkeiten für das Leben und Arbeiten im ländlichen Raum. Und diese wollen wir stärken“, meint Geywitz.

Sicher, es ist der Job einer Stadtentwicklungsministerin, kreative Lösungen für die Landflucht zu entwickeln. Und sicher ist es auch ihr Job, das Land attraktiv zu machen. Aber ausgerechnet damit zu werben, dass es in ländlichen Regionen die gleiche Infrastruktur wie in der Stadt gibt, kommt Marie-Antoinettes Ahnungslosigkeit nahe.

Hat die Ministerin mal versucht, zu googeln, ob der Bedarfshalt in einer Kleinstadt mehr als einmal die Woche von einem Bus angefahren wird oder ob es eine Arztpraxis in einer Entfernung unter 50 Kilometern gibt?

Dass in ländlichen Regionen nicht nur Ärzteschwund herrscht, sondern auch der Lehrermangel noch eklatanter als in Städten ist, trällern die Spatzen von den verfallenden Dächern in verlassenen Gegenden, in denen nicht mal mehr Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen, weil auch die längst in die Städte abgehauen sind, auf der Suche nach Essen.

Über 100.000 Wohnungen zu wenig

Knapp zwei Millionen Wohnungen stehen laut Geywitz außerhalb der beliebten Ballungsräume leer.

Ja sicher. Aber was war noch mal mit den 400.000 neuen Wohnungen, die die Ampel pro Jahr neu bauen lassen wollte? 295.000 sind es 2023 gerade mal gewesen, darunter lediglich 30.000 Sozialwohnungen, die eigentlich mit 100.000 jährlich eingeplant waren. Schuld daran, so die Ministerin: Krieg, Fachkräfte- und Baumaterialmangel.

Geywitz’ Versuch, Leute aufs Land zu locken, wird zu Recht mit großer Empörung aufgenommen. Allen voran der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds André Berghegger, der den Vorstoß der Ministerin zwar grundsätzlich begrüßt, sie allerdings darauf hinweist, dass dafür auf dem Land erst mal gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden müssten. Und dass dies im Übrigen kein Sonderwunsch sei, sondern so im Grundgesetz stehe.

Wenn das notwendige Geld für den Ausbau der Infrastruktur bereitgestellt würde, dann, so Berghegger, ließen sich sicher auch Menschen zum Umzug aufs Land bewegen.

Geywitz macht es sich einfach und lässt die Möglichkeiten, in den Großstädten bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, links liegen. Allein in Berlin stehen fünf Prozent aller Büroräume seit Jahren leer, für die sieben größten Städte Deutschlands wird 2026 ein Leerstand von acht Prozent prognostiziert. Die Umwandlung ist kostspielig und kann nicht sämtlichen Wohnungsbedarf kompensieren. Und trotzdem wäre es mal wirklich ein Vorstoß einer Stadtentwicklungsministerin, legte sie einen konkreten Plan für die Umwandlung der trostlos leer stehenden Kauf- und Bürohäuser in den Innenstädten der Republik vor.

Stattdessen will Geywitz bis Ende des Jahres eine „Strategie“ vorlegen, in der sie erläutert, wie sie sich die Umzugspläne für Millionen Menschen vorstellt. Nicht auszuschließen, dass die Ministerin dann im kommenden Jahr erklärt, dass ihre Pläne gut waren, aber an mangelnden Umzugsunternehmen gescheitert sind.

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Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.

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