Urlaub in meiner und Willis Kindheit: Cool, uncool, richtig Kacke!

Als Kind hätte ich gerne im Ausland Urlaub gemacht. Für meinen Sohn Willi wäre das schrecklich. Nun fahren wir ohne ihn, was nicht einfach ist.

Boote fahren auf dem Ratzeburger See.

Uncool, aber geeignet für schöne Erinnerungen: der Ratzeburger See Foto: dpa | Marcus Brandt

Könnte mein Sohn Willi sprechen, hätte er unsere Urlaube wahrscheinlich so beschrieben: Es war richtig kacke! Wir sind die ganze Zeit nicht nach Hause gefahren.

Als Kind hätte ich im Sommer auf die anmaßende Frage, wohin wir fahren, gerne auch mal was Cooles geantwortet. So was wie Italien oder Spanien. Es kam mir sehr unspektakulär vor immer nur „an den Ratzeburger See“ zu sagen. Wir hatten dort einen Wohnwagen auf dem Campingplatz und ein Segelboot. Das Boot war aber nicht so ein Tolles mit Kajüte zum Schlafen. Es war nur ein Holzboot.

An unsere uncoolen Sommerurlaube am Ratzeburger See habe ich übrigens durchweg schöne Erinnerungen. Wir verbrachten die kompletten Ferien damit zu spielen und zu schnitzen. Wir spielten oft „Indianer“ und einmal haben wir meinen Bruder am Marterpfahl vergessen, was erst beim Abendbrot aufgefallen ist. Er wirft mir das bis heute vor. Trotzdem wollte ich unbedingt auch mal ins Ausland. Am liebsten in einen Robinson Club, obwohl ich nicht mal wusste, was das eigentlich war.

Stattdessen sind meine Eltern dann mit uns und dem Holzboot nach Dalsland in Schweden gefahren. Zum Wandersegeln. Nie haben sich meine Eltern so gestritten wie an dem Tag, als wir am Einstiegshafen das winzige Boot bepackt haben und mein Vater meinte, dass drei Unterhosen für jeden reichen müssten. Wir könnten sie ja auswaschen.

Willi hasst Veränderungen und versteht überhaupt nicht, was diese zwanghafte Wegfahrerei soll

Vier Wochen lang segelten wir von See zu See. Sie waren untereinander mit Kanälen und Schleusen verbunden. Nachts haben wir in der Wildnis gezeltet. Manchmal haben wir tagelang keine anderen Menschen gesehen, dafür aber Nerze und Sterntaucher. Wir kochten auf dem Feuer und das Wasser konnte man direkt aus den Seen trinken. An Unterhosenmangel kann ich mich nicht erinnern. Am Ende sind mein Papa und ich zu unserem Anfangsort zurückgetrampt. Das war ziemlich abenteuerlich, weil wir erst nachts am Auto angekommen sind und dann auch noch der Tank leer war. Cool ist mir die Reise damals nicht erschienen.

Mit unseren Kindern unternehmen wir keine solche großartigen Abenteuer. Mit Willi überhaupt in den Urlaub zu fahren war immer schon Herausforderung genug. Er hasst Veränderungen und versteht überhaupt nicht, was diese zwanghafte Wegfahrerei soll.

Wir sind dann irgendwann im Wohnwagen immer auf denselben Campingplatz gefahren. Das ging einigermaßen. Aber ans Meer mochte Willi nie und in den Wald schon gar nicht. Seit der Pubertät saß Willi im Urlaub eigentlich nur noch am oder im Caravan mit seiner Musik, murmelte oder ließ sich in der Hängematte schaukeln. Dabei stellte er durchgängig die einzige für ihn im Urlaub relevante Frage (oder Forderung), nämlich: „Nach Hause?!!!“

Dafür bildet er mit den Händen ein kleines Dach und spricht den Laut „Zase?“ Mal sagte er es fragend, mal zärtlich, mal brüllte er es wütend: Zase? Zase. Zaaaaaße!!!! Gebetsmühlenartig antworteten wir: „Nein Willi, wir fahren noch nicht nach Hause“. Wir bewegten dabei den Zeigefinger verneinend und schütteln den Kopf, um die Aussagen zu verdeutlichen. Verzweifelt zählten wir für ihn die verbleibenden Tage an den Fingern ab, aber es nützte nichts. Je länger die Reise dauerte, umso mehr steigerte sich die Zase-Frequenz, bis sie während der Rückfahrt in einen Fünf-Sekunden-Takt gipfelte.

Jetzt ist Willi ausgezogen und wir fahren mit seiner Schwester allein in den Sommerurlaub. Willi bleibt in seinem neuen Zuhause. Wir wollen drei Wochen wild campen in Estland. Obwohl es für Willi die absolute Höchststrafe wäre, mitfahren zu müssen – wie vielleicht für die meisten 17-Jährigen ­– habe ich ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ach, könnte ich doch endlich von Willi lernen, mich von gesellschaftlichen Konventionen frei zu machen oder wenigstens begreifen, dass er schon fast erwachsen ist.

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Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de

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