Recht auf Abtreibung im US-Wahlkampf: „Es geht immer um Klasse“

Kamala Harris will ein landesweites Abtreibungsrecht. Doch für eine echte Reform braucht es auch das Parlament, sagt NOW-Präsidentin Christian Nunes.

Christian F. Nunes in rotem Kleid, steht an einem Mikrofon und redet. Menschen halten Schilder mit der Aufschrift "Keep Abortion Legal"

Christian F. Nunes, Präsidentin der National Organization for Women – hier bei einer Demo in Washington Foto: Mark Schiefelbein/ap

wochentaz: „Wir werden Trumps extreme Abtreibungsverbote stoppen“, sagte Kamala Harris bei einem Wahlkampfauftritt. Christian Nunes, haben Sie Hoffnungen für das Recht auf Abtreibung, falls Harris gewinnt?

Christian Nunes: Auf jeden Fall. Als Vizepräsidentin hat sie sich nicht nur für den Zugang zu Abtreibungen eingesetzt, sondern für reproduktive Freiheit insgesamt: Sie hat Müttersterblichkeit zum Thema gemacht und dabei auch die hohen Sterberaten von Schwarzen Frauen, den Zugang zu Verhütungsmitteln und künstlicher Befruchtung.

Sie hat klargestellt, dass es hierbei um reproduktive Gerechtigkeit als Ganzes geht. Ich glaube, sie versteht, was es bedeutet, wenn einem die körperliche Autonomie genommen wird, wie es momentan in diesem Land passiert.

Mit dem Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ etablierte der Oberste Gerichtshof 1973 USA-weit das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Im Juni 2022 nahm das Gericht dieses Urteil zurück. Jetzt sind die Bundesstaaten dafür zuständig, Abtreibungen zu erlauben oder zu verbieten.

Ich, meine Mutter, meine Großmütter, wir alle hatten das Recht auf Abtreibung. Jetzt findet sich eine junge Generation in einer Situation, in der sie diese Rechte plötzlich nicht mehr hat. In 14 Bundesstaaten sind Abtreibungen mittlerweile komplett verboten, es gibt nicht mal Ausnahmen bei Vergewaltigung, Inzest oder aus medizinischen Gründen. In insgesamt mehr als 20 Staaten gibt es eine Form von Abtreibungsverbot oder -beschränkung.

Bevor Sie Präsidentin der Nationalen Organisation für Frauen wurden, waren Sie Sozialarbeiterin. Was bedeutet es in der Praxis, wenn der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch eingeschränkt wird?

Frauen und nicht-binäre Menschen, die gebären können, müssen oft weite Strecken zurücklegen, um abzutreiben. Einige von ihnen werden kriminalisiert und bestraft, wenn sie überhaupt nur versuchen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen, und dann gezwungen, das Kind auszutragen und zu gebären.

46, ist klinische Sozialarbeiterin und Präsidentin der National Organization for Women, einer der größten feminis­tischen Organisationen der USA.

In manchen Bundesstaaten wurden per Gesetz Anreize geschaffen, um schwangere Personen, die mutmaßlich abgetrieben haben, anzuzeigen. Es gibt Gesetzgebungsverfahren, die auf die Überwachung von Zyklus-Apps abzielen. Für die Betroffenen ist das alles traumatisch. Es betrifft sie in ihrer gesamtem Existenz – ihrer wirtschaftlichen Situation, ihrem Körper, ihrer mentalen Gesundheit.

Wie sehr ist es vom Einkommen abhängig, ob Schwangere solche Gesetze umgehen können?

Es geht immer um Klasse, um dieses unterschwellige Kastensystem, über das wir nicht sprechen. Diejenigen, die es sich leisten können, werden immer Zugang zu Abtreibungen haben. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, müssen die Konsequenzen des Anti-Choice-Extremismus tragen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Schwarze und indigene Gemeinschaften sowie Personen of Color sind am stärksten betroffen. Hier finden sich die meisten Menschen mit intersektionalen Identitäten, die also mehrfach unterdrückt und diskriminiert werden. Sie leben zudem häufig an Orten mit besonders striktem Abtreibungsrecht, zum Beispiel im Süden und im Mittleren Westen.

Welche Menschen könnte Harris für sich gewinnen, die sonst vielleicht gar nicht wählen gehen würden?

Sie wird Frauen mobilisieren, junge Wäh­le­r*in­nen der Generation Z und solche, die an eine fortschrittliche Zukunft glauben. Ich glaube, dass viele nicht zur Wahl gehen, weil sie verzweifelt sind oder sich nicht angesprochen fühlen. Wir müssen ihnen zeigen, dass sie mit der demokratischen Bewegung verbunden und mächtig sind. Ich denke, dass Harris genau das tun wird. Und wir müssen die Menschen weiterhin darüber aufklären, warum ihre Stimmen wichtig sind und wie sie dabei helfen können, die Demokratie zu retten.

Glauben Sie, dass viele Menschen nun – anders als vor Trumps erster Amtszeit – verstehen, was auf dem auf dem Spiel steht?

Ich denke, schon. Und die Situation ist sehr ernst. Mit der Kombination aus Trump und J. D. Vance und zusätzlich dem Project 2025 aus dem Umfeld der Republikaner. Dieses Strategiepapier sieht vor, dass die komplette Macht der Exekutive zukünftig beim Präsidenten liegen soll. Die Leute wollen das um jeden Preis verhindern.

Beim Thema Abtreibungen scheint Trump eher zurückhaltend zu sein, aber Vance ist ein Hardliner …

J. D. Vance hat sehr deutlich gemacht, dass er Abtreibungen landesweit ­verbieten würde, sollte er zum Vizepräsidenten gekürt werden. Ihm zufolge sollen Frauen in einer Ehe bleiben, selbst wenn sie dort Missbrauch ausgesetzt sind. Das ist besorgniserregend und ­gefährlich.

Dass die Situation sich weiter verschlechtert, könnte eine Präsidentin Harris verhindern. Aber um ein bundesweites Recht auf Abtreibung zu etablieren, bräuchte sie 60 von 100 Stimmen im Senat. Wie realistisch ist es, dass sie grundlegend etwas am Abtreibungsrecht ändern kann?

Auch als Präsidentin kann sie es nicht alleine schaffen, das ist vollkommen klar. Zusätzlich zum Senat bräuchte sie auch noch eine Mehrheit im Repräsentantenhaus. Aber sie kann Gremien etablieren und politische Maßnahmen einleiten. Die Biden-Harris-Regierung hat beispielsweise eine Task Force für reproduktive Rechte und Gleichstellung eingesetzt,und den Rat für Geschlechterpolitik. Das war extrem hilfreich. In Staaten mit einem totalen Abtreibungsverbot stellen sie für Schwangere, die sich in einer Krise befinden oder eine Fehlgeburt haben, den Zugang zur medizinischen Notfallversorgung sicher.

Trump kämpft bereits mit allen Mitteln gegen Harris, etwa mit sexistischen Witzen über ihr Lachen. Hillary Clinton schien auf diese Art von Wahlkampf nicht vorbereitet. Und Harris?

Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass Frauen noch immer sexistisch und rassistisch bewertet werden statt auf Grundlage ihrer tatsächlichen Qualitäten und Leistungen.

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