Nach der Fußball-EM: Verhandelte Politik

Die Euro24 ist vorbei und hat eines gezeigt: Wenn wir über Demokratie und Gerechtigkeit sprechen wollen, müssen wir über Fußball reden.

Der spanische Trainer wird gefeiert

Fußball funktioniert nur als Mannschaftsspiel, aber am Ende darf der Trainer als Einzelner gefeiert werden Foto: Tom Weller/dpa

Wir reden hier über Sport. Versprochen. Wirklich über nichts anderes als Fußball. Deswegen werden wir viel über Demokratie sprechen. Das überzeugendste Argument, warum diese Fußball-Europameisterschaft nicht die vielbehauptete Ablenkung von politischen und ökonomischen Sorgen wurde, lieferte das Wetter. Trockene Hitze und Starkregen wechselten ab. Ein ziemlich eindeutiges Zeichen, dass die Dauerlitanei (nicht nur) der Sportverbände, man selbst habe mit politischen Problemen nichts zu tun, ja, man sei bestenfalls Spiegel der Gesellschaft, schlicht nicht mehr zu halten ist.

Auch Wetterextreme und der Umgang mit ihnen zeigen, was nicht nur bei der Uefa und dem DFB, sondern auch in der deutschen Politik niemand zugeben will: Der Fußball ist Teil dieser Welt. Sport bildet nicht politische Diskurse ab, sondern er ist eine Form, in der sie verhandelt werden.

Diese Erkenntnis liefert uns der Fußball nicht nur, wenn es um die Klimakatastrophe geht. Schauen wir doch nur, welchen Dreck die AfD über das DFB-Team auskübelt, wenn es heißt, sie sei eine „Fremdenlegion“. Und dann gucken wir, wer wie guten Fußball spielt: Um ein wichtiges Turnier zu gewinnen und Menschen in seinen Bann zu ziehen, muss ein Team die Repräsentanz der gesamten Gesellschaft sein. Es muss so divers sein wie der Pausenhof einer Grundschule. Wer diese Tatsache nicht akzeptiert und von einem besonderen Leistungsvermögen ethnisch homogener Mannschaften fabuliert, kann nur verlieren. Überall, auch im Fußball.

Noch eine Erkenntnis verdanken wir dem Ausgang des EM-Finales: Der Präsident des spanischen Fußballverbandes, der vor einem Jahr, als die Fußballerinnen des Landes ihren WM-Titel feierten, sich einfach Spielerinnen griff, um ihnen einen Mundkuss aufzuzwingen, weil er doch schließlich der allmächtige Boss war, ist mittlerweile gesellschaftlich geächtet. Wenn Fußball Menschen begeistern soll, so die Lehre, dann darf er schlicht nicht sexistisch sein.

Das Kollektiv ist wichtig

Und auch das haben wir gelernt: Das Kollektiv ist wichtig. Der Trend im Fußball und anderswo, überbezahlte Superstars zu kreieren, die sich als die eigentlichen Macher feiern lassen, wurde bei dieser EM Lügen gestraft. Kein einzelner Spieler überstrahlte das Turnier, sondern es wurde von großen Talenten und sehr mannschaftsdienlich spielenden Akteuren geprägt. In einer vielleicht naiven, vielleicht auch zu steinmeieresken Weise hat Bundestrainer Julian Nagelsmann diese Wahrheit so ausgedrückt: „Ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der Dinge alleine macht und dann automatisch schneller, besser weiterkommt, als wenn er sie mit jemandem zusammen macht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.“

Ja, Fußball ist ein Sport, der mehr als deutlich zeigt, dass Gewäsch über einzelne „Leistungsträger“, die sich über die arbeitende Gesellschaft erheben dürfen und das x-fache verdienen, nur eben dies ist: Gewäsch. Man kann auch sagen: neoliberale Legitimationsideologie.

Das alles ist nicht neu. Es wurde nur vergessen. Doch dieser EM könnten wir (hoffentlich!) verdanken, dass es sich wieder in den Vordergrund drängt. „Alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball“, schrieb Albert Camus, Ex-Torwart und später Literaturnobelpreisträger. Und Bill Shankly, legendärer Manager des Liverpool FC, drückte es so aus: „Der Sozialismus, an den ich glaube, besteht darin, dass alle füreinander arbeiten und dass jeder von dem, was dabei herauskommt, etwas erhält. So sehe ich den Fußball, so sehe ich das Leben.“

Wenn wir über Demokratie und gesellschaftlichen Fortschritt sprechen wollen, müssen wir einfach über Fußball reden.

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Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989

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