Prosaband von Maren Kames: In einer abgewrackten Traumfabrik
Maren Kames reist mit „Hasenprosa“ in lichte Höhen und familiäre Tiefen. Beim Nachdenken über Phrasen im Krieg kracht es.
Am Anfang ein Aufbruch. Die Erzählstimme schaut zurück und ist unzufrieden. „Wenn das alles gewesen ist, rief ich mir über die Schulter, ziehe ich aus.“ Damit könnte eine klassische Reisegeschichte beginnen, doch schon Motiv- und Wortwahl auf den ersten Seiten verraten, dass Maren Kames mit „Hasenprosa“ keinen Roman geschrieben hat, der sich an der bekannten Roadnovel-Stilistik orientiert.
Da werden „Meilenstiefel“ angezogen, und ein überdreht-neugieriges wie hypersensibles Ich fliegt „durch das Dach, das so lange tief unter mir sich und mich in Sicherheit gewogen hatte“.
Ob die Handlungsfetzen in der sogenannten Realität angesiedelt sind oder ob es sich gänzlich um einen lyrischen Fantasietrip durch Sprach- und Denkwelten handelt, kann nie genau gesagt werden. So viel aber steht fest: Auf dieser Trotztour ist ein Hase dabei, als Begleitperson, Medium, Projektionsfläche.
Den literarischen Nonsens feiern
Das erinnert an das berühmte Kinderbuch „Alice im Wunderland“ des britischen Schriftstellers Lewis Carroll, der mit Figuren wie dem Märzhasen oder der Grinsekatze den literarischen Nonsens feierte, aber der Gedanke, im kanonisierten Vorbild nach Parallelen oder Verbindungen zu suchen, wird schon bald wieder verfliegen.
Maren Kames: „Hasenprosa“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 182 Seiten, 25 Euro
Die literarischen Wege, auf denen Kames unterwegs ist, führen vor allem zum Werk von Friederike Mayröcker, deren „pneumatische“ Poesie stilprägend für die „Hasenprosa“ ist und die auch vorneweg zitiert wird: „das verzweigte, verzwergte Gehirn behielt alles für eine Weile, dann ließ es alles wieder los!“
Diese Ästhetik speist sich vornehmlich aus sinnlichen Erfahrungen; schon in der Antike wurde hierfür der Begriff der Aisthesis verwendet. Wer den Sätzen von Maren Kames folgen möchte, sollte sich wohl auf eine leibliche Wahrnehmungsebene begeben und die üblichen Rezeptionsgewohnheiten aufgeben, die meist an realistischen, jedenfalls kognitiv nachvollziehbaren Erzählkonzepten geschult sind.
Rätselhafte Kunstsprache
Selbst zunächst „verständliche“ Formulierungen gehen bei Maren Kames in eine rätselhafte Kunstsprache über, in der nicht mal die gängigen Grammatikregeln gelten. Mal führen schroffe Klangmalereien zu putzigen Neologismen, mal fehlt ein Verb, irgendwann verschwinden die Bezüge.
Ein melancholischer Restsinn lässt sich dennoch erahnen: „Ich bin mit dem Hasen auf der Rückbank in einem traktorähnlichen Leihwagen durch eine Gegend gefahren, die Hollywood war oder eine andere abgewrackte, baracke Traumfabrik, der Hase hat immerzu gepfiffen wie ein Kessel unter Druck, wobei Kessel wie Karosse selbstverständlich zerbeult, und alle schepperten mit ihrem Blech, als wär’s ein Krachwettbewerb, auch die Rohrsysteme draußen pfiffen wie chorisch aus ihren rostigen Verschlussklappen, ich konnte mich kaum fokussieren auf das, was vor der Scheibe vorüberzog und weg war, es war alles im selben Moment verschwunden, in dem es erschienen war, eine vollends unnütze Fahrt ist es gewesen, es war so Schmach.“
Die „Hasenprosa“ ist eine sprachliche Installation, die mit der skurrilen „Weltmaschine“ des oststeirischen Bauern Franz Gsellmann zu vergleichen ist, der in einer alten Scheune ein in sich schlüssiges, aber auch schwer erklärbares Kunstwerk kinetischer Energie schuf. Schon mit „Luna Luna“ hat Maren Kames ein Buch vorgelegt, das sprachlich kaum einzugrenzen war.
Lyrik und Popsongtexte
Die Lyrikprosa beschrieb die Nachtseiten des Lebens und Liebens, entwickelte sich zu einem hypnotischen Mondgesang, in dem Popsongtexte auf Poesietradition trafen, es von Annie Lennox über David Bowie zu Helene Fischer ging.
Auf dieser atemlosen Fahrt ins lunatische Herz der Finsternis ließ Kames viele Tiere auftreten: Elefanten, Pelikane, Gänse aus Pappmaschee und Bären, die aufgebunden werden wollen. Und dann noch ein Dämon namens Sheitan, eine Stimme im Kopf des lyrischen Ichs, die an schreckliche Niederlagen erinnert.
Der literarische Vorteil dieser tendenziell lyrischen Mischform war eine mitreißende Reduktion auf Stimmungen und Bilder, und diese Präzision lässt die „Hasenprosa“ ein wenig vermissen. Aus der traumhaften Abenteuerreise spinnt sich nämlich ein Familienstück, in dem ein Großvater mit rissigen Händen und zwei sehr unterschiedliche Großmütter beschrieben werden, „eine helle, eine dunkle, eine heile, eine wunde“.
Düstere Vergangenheit
Die düstere Vergangenheit wirkt durch die Generationen hindurch, im Familienhaus ist alles konserviert: eine „dicke Schicht Sippenschuld treffe ich bis heute im Erdgeschoss“. Obwohl die memoirhaften Passagen in einem getragenen, fast traurigen Ton gehalten sind, wirken sie wie eine Parodie auf Autofiktion, zumal sich die rastloste Prosa schon bald in anderen Erinnerungskreisen und Zeitschleifen bewegt.
Nach Verlassen der familiären Gefilde geht es in neue Räume, von einer „unruhigen“ Wohnsituation in die Berliner Volksbühne hinein in die Lektüren von Sebald, Adorno und Roland Barthes. Die Zitate und Verweise (die alle ordentlich im Anhang aufgelistet sind) häufen sich nun und es entsteht eine Diskursprosa, die sich zu erklären, vielleicht auch Selbstkritik zu betreiben versucht.
Da ist von „Penetranzen und Hyperpräsenzen von Biografie und Autofiktion“ die Rede, und es werden Beschlüsse gefasst, die nach literarischem Manifest klingen: „Also auf keinen Fall Realismus, solange es irgendwie schadlos geht, und sicher nie als Ziel und Vorsatz“. Aber sind solche Losungen überhaupt nötig?
Und der Hase sagt „Halleluja“
Vor allem wenn Thesen als halbpersönliche Frage daherkommen und Befindlichkeiten als Erkenntnisse verkauft werden, wirkt der Text seltsam redundant: „Weshalb fühlen sich Zugriffe auf nahezu jede Art von Realität, Biografie, Betrieb und Weltgeschehen jenseits aller hasenhaft verspulten Rahmenhandlung anmaßend, wie ein Übergriff, ein Benutzen mindestens an?“ Irgendwann verläuft das „Driften rückwärts, Driften seitwärts“ doch wieder Richtung Hasen, der schließlich „Halleluja“ sagt.
Tatsächlich gibt es in dem Band, der etwas zu offensichtlich auf gezielte Überforderung angelegt ist, noch eine wichtige Erzählschicht zu entdecken, die unter einem Klangteppich aus Billie Eilish, R.E.M. und Prince verborgen liegt. Da geht es um Kriege, und um die Unfähigkeit, mit Sprache auf das Sterben in der nahen Ferne zu reagieren:
„Dies ist die Sachlage, hier sind die Vokabeln, Buzzwords, und so sprechen wir jetzt: BETROFFENHEIT!, rufen die immerzu aufstehenden Münder, KRIEG!, schreien sie, VOR DEN TOREN EUROPAS, (crescendo) UNSERER HAUSTÜR!, (fortissimo) IM 21. JAHRHUNDERT. Als hätte sich das durch Frieden bisher irgendwie hervorgetan.“
Maren Kames hat mit „Hasenprosa“ ein literarisches Kippbild geschrieben, das mit voller Absicht überfrachtet ist. Dazu gehören psychedelische Fotos und lustige Aufnahmen von Kakteen, die in dem Band genauso eingestreut sind wie Lyrics vom „Singengel Peter Gabriel“. Pathos und Ironie wechseln sich genauso ab wie Konkretes und Abstraktes, Komisches und Moralisches. Dementsprechend ist auch die Lektüre: nervtötend und beglückend zugleich.
Mit ihrem Overkill der literarischen Mittel fängt die 1984 in Überlingen am Bodensee geborene Schriftstellerin die politische Stimmungslage der Gegenwart allerdings gut ein.
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