Künstler protestiert gegen Wohnungsnot: Der Parasit war wieder da
Zwei Aktionskünstler haben in einer brachliegenden Signa-Baustelle temporäre Räume eingerichtet, um auf Wohnungsnot hinzuweisen. Am Dienstag wurde die Aktion von der Polizei beendet.
Das Wohnzimmer war Teil einer politisch-künstlerischen Intervention – fünf Tage dauerte sie bis zur Räumung. Am Freitag hatte Jakob Wirth im Rahmen von „Speculating on the Void“ seinen Hausstand in die ruhende Baustelle des Projekts „P1“ des insolventen Signa-Konzerns verlegt. Ohne Genehmigung, versteht sich. Ziel war es, auf Leerstand aufmerksam zu machen und „die Nutzbarkeit der Signa-Spekulations-Pleite auf ihren Gebrauchswert hin zu testen“.
Rückblende: Am Montag, bei einem Besuch der taz, bahnt Wirth sich gekonnt den Weg durch die Baustelle. „Wenn jemand fragt, sind wir die Inspektoren“, flüstert der mit Signa-Bauhelm und oranger Warnweste ausgerüstete Aktionskünstler. Vorsichtig späht er um jede Ecke, schließt eigens eingebaute Türen auf und führt durch ein dunkles Treppenhaus. Dann verkündet er feierlich: „Willkommen bei Parasite Real Estate!“
Die Pleite Im Dezember fiel René Benkos Firmengeflecht in sich zusammen. Die Insolvenzverfahren laufen, geplant war ursprünglich ein langsamer Verkauf der Immobilien durch einen Treuhänder. Nicht machbar, urteilte das Wiener Oberlandesgericht vor zwei Wochen. Nun könnte ein deutlich schnellerer Abverkauf die Folge sein – sofern es Interessenten gibt.
Die Projekte Neben dem P1 in der Passauer Straße stehen auch weitere Signa-Baustellen still. Das ehemalige Hotel Ellington in der Nürnberger Straße ist bereits eingerüstet, eine Baugenehmigung gab es noch nicht. Bei einem Bürokomplex in der Franklinstraße gibt es nur eine Baugrube. Andere Projekte, wie das „Mynd“-Hochhaus am Alex, wurden von Partnern übernommen.
Die 4. Etage des Rohbaus ist eine 1.200 Quadratmeter große Betonwüste. Mittendrin eine kleine Oase: 16 Quadratmeter violett bemalter Fläche mit einem Sofa, zwei Stühlen, einem pinken Teppich, Schreib- und Nachttisch, Büchern und einem Kleiderschrank – Wirths „Wohnzimmer“.
Eine kleine Oase in einer Betonwüste
„In der Aktion geht es uns um die Frage, wie aus spekulativem Wert sozialer Wert entstehen kann“, erklärt Wirth. Diese Nische fülle seine fiktive Immobilienfirma Parasite Real Estate. „Hier ist die Spekulation gescheitert, der Spekulationswert ist verloren. Jetzt kommen wir mit dem Gebrauchswert ins Spiel“, sagt er und grinst.
Das „erste Immobilienbüro in Berlin, das sich ausschließlich auf leerstehende Immobilien konzentriert“, rief Wirth im letzten Herbst ins Leben, zusammen mit seinem „Manager“ Arnaud Lemonnier. Auch der zog in die Baustelle ein, um das Projekt zu „überwachen“. Im dunkelblauen Anzug sitzt er am Montag am anderen Ende der leeren Geschossfläche. In seinem „Büro“, einer weiß bemalten Fläche, steht sein Laptop auf einem Holztisch. An der Wand hängt ein Heiligenbild.
„Wir irritieren durch Imitation derselben Logik“, erklärt Wirth. Die Aktion zielt ab auf die insolvente Immobilienfirma Signa des österreichischen Immobilienunternehmers René Benko. Die wollte auf dem Areal „excellent offices & retail spaces for rent“ errichten. So steht es noch auf einem Banner am Bauzaun. Und: „The sky is no limit“.
Auf dem Grundstück waren laut Signa neben dem Sockelgebäude ein Minihochhaus mit 17.000 Quadratmetern Bürofläche und eine Tiefgarage mit über 500 Parkplätzen geplant. Seit einem halben Jahr liegt die Baustelle brach. Aktuell läuft in Wien ein Insolvenzverfahren gegen die Signa-Holding und mehrere ihrer Töchter. „Solche Verfahren können dauern. Was mit der Baustelle passiert, ist unklar“, sagt Lemonnier. „Wenn sie noch länger stillsteht und alles rostet, wird vielleicht alles abgerissen.“ Eine umwelt- und wohnungspolitische Katastrophe in einer Stadt, in der sich immer mehr Menschen ihre Miete nicht leisten können und obdachlose Menschen in der Kälte hausen.
Der Parasit ist ein wiederkehrendes Element des Künstlers
„Das Problem der stillliegenden Baustellen verschärft sich in Berlin“, sagt Wirth. Grund dafür sei Fehlspekulation, aber auch gestiegene Zinsen, die zu Insolvenzen führten. Auch abseits der Baustellen nimmt spekulativer Leerstand zu. Verursacher sind häufig große Immobilienkonzerne wie Signa.
Mit ihrer Aktion wollten die Aktivisten den plakativen Gegenentwurf einer Stadt- und Wohnungspolitik zeichnen, die die Bedürfnisse der Bürger*innen erfüllt. „Diese Form der künstlerischen Praxis außerhalb des White Cube ist die Basis demokratischer Partizipation“, sagt Lemonnier. An dem Experiment sollten daher auch interessierte Berliner*innen teilnehmen können. Mit einem „Call for Users“ hatten sie das Experimentierfeld für alle geöffnet. Menschen mit Nutzungsideen sollten bis zu 100 Quadratmeter für je 24 Stunden nutzen können. „Hier können sie eröffnen, was sie wollen“, so Wirth am Montag – ein Friseurstudio oder ein Atelier.
Es war nicht die erste Aktion des Künstlers, die die Privatisierung von öffentlichem Raum sowie die Skrupellosigkeit der Immobilienbranche thematisiert. Über dem Sofa des temporären Wohnzimmers hing das Foto einer früheren Intervention, dem „Penthaus à la Parasit“: Dabei baute Wirth 2019 auf ein Neuköllner Dach ein winziges Haus, das er bewohnte, um auf das Eigentumsproblem auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. Andere Aktionen umfassten Parkraumbesetzungen wie „Parasite Parking“.
Der Parasit ist ein wiederkehrendes Element des Künstlers. „Er stört“, erklärt Wirth, „sucht aber nicht die direkte Konfrontation mit dem Wirt, weil er weiß, dass er unterlegen ist. Er nutzt nur die Ressourcen, die sein Wirt ihm gibt.“ Das ästhetische Moment liege „in der Störung selbst“. Mit Erfolg: Immer wieder spähten Menschen irritiert von der KaDeWe-Terrasse in sein violettes Wohnzimmer.
Irritiert waren auch Polizei, Eigentümer und Security. Die Haltung der Autoritäten sei ambivalent gewesen, erzählt Wirth. „Wenn es um Eigentumsrechte geht, gelangen Menschen häufig in einen inneren Konflikt: Persönlich verstehen sie unsere Aktion und sympathisieren mit dem Inhalt, aber nicht in ihrer Funktion.“ Der Eigentümer droht nun mit einer Klage wegen Hausfriedensbruch. Wirth beunruhigt das nicht: „Das Gerichtsverfahren kann eine politische Bühne für das Problem des Leerstands sein.“ Und: „Der Wirt kann die Nische schließen, aber nicht den Parasiten vernichten. Er sucht sich eine neue Nische und einen neuen Wirt“.
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