Meduza-Auswahl 27. Juni – 3. Juli: Verse über Russlands „Führer“

Mit seiner patriotischen Lyrik fährt ein Poet in Russland Erfolge ein. Doch die Gedichte wurden bereits in der NS-Diktatur verfasst.

Porträt von Wladimir Putin steht während einer Zeremonie vor Soldaten, die nur unscharft zu erkennen sind

Sehr beliebt in Russland, die „patriotischen“ Werke von Gennadi Rakitin, er schreibt über den Krieg, gefallene Söldner und Russlands „Führer“ Foto: Sergei Guneyev/ap

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 27. Juni bis zum 3. Juli 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

64.000 russische Soldaten seit 2022 gestorben

Ende Juni veröffentlichte der Föderale Statistikdienst Russlands (Rosstat) die Sterblichkeitsdaten des Landes für das Jahr 2023. Wie auch im Vorjahr zeigen die neuen Daten eine erhöhte Übersterblichkeit junger Männer, im Vergleich zu vor der russischen Invasion in der Ukraine. Im vergangenen Jahr hatten Meduza und Journalisten von Mediazona gemeinsam mit dem Statistiker Dmitry Kobak von der Universität Tübingen die Daten analysiert – und daraus die Gesamtverluste des russischen Militärs im Jahr 2022 abgeleitet. Die neuen Rosstat-Daten ermöglichen es ihnen nun, ihre Analyse fortzusetzen. Meduza stellt die Ergebnisse dar. (englischer Text)

Den Zahlen für 2023 zufolge ist die Übersterblichkeit von Männern im vergangenen Jahr nicht nur hoch geblieben, sondern hat sich im Vergleich zu 2022 sogar fast verdoppelt. Mindestens 64.000 russische Soldaten sind demnach bei Kämpfen in der Ukraine ums Leben gekommen.

Die höchste Zahl der überzähligen Todesfälle in den vergangenen beiden Jahren war bei Männern im Alter von 35 bis 39 Jahren zu verzeichnen. Bei Männern im Alter von 25 bis 29 Jahren nahm sie am stärksten zu.

Nazi-Lyrik oder russische Patrioten-Gedichte?

Im Sommer 2023 begann ein Dichter namens Gennadi Rakitin, seine „patriotischen“ Werke auf VKontakte, der russischen Version von Facebook, zu veröffentlichen. Er schrieb über den Krieg, gefallene Söldner, das Vaterland und Russlands „Führer“. Russische Politiker folgten seiner Seite bald massenhaft. Seine Gedichte nahmen an Wettbewerben teil, wurden auf Festivals gefeiert und auf Kanälen geteilt, die der Kriegspoesie gewidmet sind.

Doch dann stellt sich heraus, dass Gennadi Rakitin gar nicht existiert. Laut dem russischen Journalisten Andrei Sacharow stecken einige seiner Bekannten hinter dem Account. Und die Gedichte wurden auch nicht heute verfasst, sondern in den 1930er und 1940er Jahren – in Nazideutschland.

Zu den auf Rakitins Profil veröffentlichten und auf russischen übersetzen Werken gehört beispielsweise Eberhard Möllers Gedicht „Der Führer“ – begleitet von einem Foto von Wladimir Putin, auf dem eine Pro-Kriegs-Parole prangt. Auch die Übersetzung eines Gedichts von Herybert Menzel – einem deutschen Schriftsteller, der 1933 der NSDAP beitrat und später Sturmtruppler wurde – wurde geteilt. Das fragliche Originalgedicht wurde von einem Porträt Adolf Hitlers inspiriert und enthält Überlegungen darüber, „was es bedeutet, ein Sohn Deutschlands zu sein“ – oder eben Russlands.

„Rakitin“ hat insgesamt nur 18 Gedichte „geschrieben“, doch bei Pro-Kriegs-Gedichtwettbewerben sorgten sie schnell für Furore. Anfang Juni gewann eines von Rakitins Gedichten einen Preis beim gesamtrussischen Wettbewerb für patriotische Lyrik. Außerdem erreichte ein Gedicht das Halbfinale in der Kategorie „Gedichte über den Krieg und die Verteidiger des Vaterlandes“.

Meduza beschreibt, wie ähnlich sich die Rhetorik des heutigen patriotischen Russlands und Nazideutschlands ist (englischer Text).

Wie ein Fotograf den Ukrainekrieg erlebt

Der ukrainische Fotograf Maksym Dondyuk begann 2014, den Krieg im Donbass zu fotografieren – und arbeitete unter anderem mit dem Spiegel oder The New Yorker zusammen. Es war Dondyuk, der Wolodymyr Selenskyj für Time Magazine ablichtete, als das Magazin den ukrainischen Präsidenten zur Person des Jahres 2022 wählte.

Doch nun darf der Fotograf wegen Konflikten mit den ukrainischen Behörden nicht mehr an die Front: In Kijyw ist man mit der Art und Weise, wie Dondyuk über die Geschehnisse im Kriegsgebiet berichtet, nicht zufrieden. Meduza sprach mit dem Fotografen über Zensur in der Ukraine – und darüber, was er bei der Dokumentation des Krieges erlebt hat (russischen Text). Außerdem präsentiert das Exilmedium seine Bilder des Kriegs in der Ukraine.

Russia Today will Youtube Konkurrenz machen

In Russland wurde ein neuer Video-Hosting-Dienst namens „Platforma“ gestartet, der ein Konkurrent des Videoportals Youtube werden soll. Entwickelt wurde er von der Firma Rteam, die zur Muttergesellschaft des Propagandasenders Russia Today gehört. Es gibt bisher nur wenige Videos auf dem Dienst und die vorhandenen haben lediglich Hunderte oder Dutzende und von Aufrufen. Außerdem ist es schwierig, den Dienst in den gängigen Suchmaschinen wie Google zu finden. Meduza berichtet, was sich die Entwickler des Dienstes von ihm versprechen und welche Inhalte dort in den ersten Tagen seines Bestehens erschienen sind (russischer Text).

Der neue russische Dienst soll „westliche Zensur“ umgehen. Einschränkungen gelten für Videos, die gegen russische Gesetze verstoßen oder antirussische Rhetorik enthalten. Es wird auch darauf hingewiesen, dass Videos, die Nacktheit, Schusswaffen oder LGBT-Inhalte enthalten, nicht auf der Plattform veröffentlicht werden dürfen. Gegenwärtig sind die meisten Inhalte auf der Plattform unterhaltsamer Natur – etwa Aufnahmen von Videospielen – oder patriotische Propaganda.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben