Bremer Landesaufnahmeprogramm wirkt kaum: Ohne Antwort abgelehnt

Bremen wollte Af­gha­n*innen den Familiennachzug ermöglichen, doch nur 23 durften kommen. Erklärungen zu Absagen gab es kaum, so der Flüchtlingsrat.

Einige Taliban in und auf einem Pickup in Kabul

Taliban sind ein guter Fluchtgrund. Aber um in einem Landesaufnahmeprogramm unterzukommen, braucht es es vor allem reiche Familie Foto: XinHua/dpa

BREMEN taz | Im August 2023 konnte Bremen endlich – endlich – sein Landesaufnahmeprogramm Afghanistan verabschieden. Es hatte gedauert – ziemlich genau zwei Jahre waren seit der Machtübernahme durch die Taliban vergangen. Aber schließlich ging nichts ohne die Zustimmung des Bundesinnenministeriums. Und schließlich sollte das neue Bremer Programm auch besser sein als andere: Es sollte konkret helfen, da, wo andere Landesaufnahmeprogramme gescheitert waren.

Anträge auf 437 Familiennachzüge aus Afghanistan und dessen Anrainerstaaten wurden am Ende gestellt. Jetzt steht das Ergebnis fest: 23 Menschen dürfen nach Bremen einreisen. 13 Anträge sind noch nicht bearbeitet, für alle weiteren 401 gilt: Sie können nicht berücksichtigt werden. Es fehlte, so die Innenbehörde, entweder an ausreichend Geld bei den Angehörigen (246 Personen) – oder an ausreichenden Nachweisen über die Familienverhältnisse (155 Personen).

Der Bremer Flüchtlingsrat kritisiert das Programm nun als Farce und bemängelt zweierlei: Zum einen habe Bremen – trotz einiger Lockerungen – weiter zu hohe Hürden für die Aufnahme gesetzt. Vor allem aber nimmt der Flüchtlingsrat die Informationspolitik des Migrationsamts auseinander: Bremer Af­gha­n*in­nen seien von der Behörde mit mangelnden, widersprüchlichen oder falschen Informationen konfrontiert gewesen. „Es wurde nicht mit den Betroffenen kommuniziert“, sagt Sprecherin Nazanin Ghafouri.

Länder, die es Be­woh­ne­r*in­nen ermöglichen wollen, Familienangehörige aus Krisengebieten aufzunehmen, bekommen dabei von der Bundesgesetzgebung enge Grenzen. Sie fordert, dass der Lebensunterhalt der Ankommenden für fünf Jahre abgesichert ist, der Staat also finanziell nicht belastet wird. Dafür müssen die Angehörigen im Zielland bürgen und ein entsprechend hohes Einkommen vorweisen.

Geteilte Verpflichtungserklärung sollte Erleichterung schaffen

Das Landesaufnahmeprogramm für Syrien hatte gezeigt, dass das in der Praxis kaum zu erreichen ist: Nur 15 Sy­re­r*in­nen hatten es nach neun Monaten über das Programm nach Bremen geschafft. Das sollte nun besser werden, zwei Lockerungen sollten für den Erfolg sorgen: Zum einen müssen Bremer*innen, wie schon im Syrienprogramm, nicht für mögliche Krankheitskosten ihrer Angehörigen bürgen – dieses schlecht berechenbare Risiko trägt das Land.

Und zweitens, das war neu: Bis zu vier Personen sollten sich eine sogenannte Verpflichtungserklärung teilen können. Damit sinkt die erforderliche Bonität der Antragsstellenden: Noch immer müssen sie nachweisen, dass sie ein sicheres Einkommen über die eigene Pfändungsfreigrenze hinaus haben. Aber nicht über den gesamten Bedarf der einreisenden Person, sondern nur einen Teil davon.

Zu groß sei der noch immer, findet der Flüchtlingsrat – das Land Bremen will eine höhere Garantie sehen, als rein rechnerisch bei vier Verpflichteten nötig wäre. Die Behörde dagegen erklärt, dass eine gewisse Grundbonität immer noch Vor­aussetzung dafür sei, das Programm überhaupt durch das Bundesinnenministerium bewilligt zu bekommen.

Doch eine scheinbar einfache Frage bleibt umstritten: Um wie viel Geld geht es tatsächlich? Es gebe dazu keine konkreten verlässlichen Antworten aus dem Migrationsamt, so die größte Kritik des Bremer Flüchtlingsrats.

Unklare Ansagen an Angehörige

Die Innenbehörde verweist auf eine „übersichtliche Tabelle“. Ein Einkommen von 2.400 Euro netto muss demnach eine Einzelperson für die Aufnahme einer weiteren Person nachweisen, wenn sie sich die Verpflichtung nicht mit anderen teilt.

Diese Tabelle kennt man auch beim Flüchtlingsrat – doch sie sei schlicht falsch, heißt es dort. Die Pfändungsgrenze, die festlegt, wie viel Geld ein Haushalt nach dem Eigenbedarf noch übrig hat, um andere zu unterstützen, müsste nach der Zivilprozessordnung (ZPO) festgelegt werden.

Das ist auch so, sagt die Behörde – doch in ihrer Tabelle weicht sie in Teilen erheblich von den ZPO-Werten ab. Ein Drei-Personen-Haushalt müsste nach den Bremer Werten 300 Euro mehr nachweisen, um als solvent zu gelten, als nach Prozessordnung vorgegeben. Bis Redaktionsschluss kann die Behörde diesen Widerspruch nicht mehr recherchieren.

Laut Flüchtlingsrat haben es die offiziellen Stellen diese Recherche auch in den neun Monaten zuvor nicht geschafft: Bereits im September hatte der Rat per Mail auf das Problem hingewiesen; die Bremer Behörden wollten sich kümmern, eine neue Berechnung oder eine Erläuterung der alten kam nie.

Nur „Copy-and-Paste“-Antworten

Antragsstellende, die nicht genug Einkommen vorwiesen, seien mit „absolut nichtssagenden Copy-and-Paste-Antworten“ abgespeist worden, so Ghafouri. Auf konkrete Nachfragen, wie viel Geld fehle, habe es gar keine Antworten gegeben – nicht einmal die umstrittene Tabelle als grobe Orientierung sei ihnen zugeschickt worden.

Ob das Einkommen eventuell nicht reiche, um drei Personen aufzunehmen, sehr wohl aber für zwei oder eine? Keine Antwort, so Ghafouri. Auch, um eventuell weitere, solventere Verpflichtungsgeber zu finden, wäre die Information wichtig gewesen.

Auch für die 155 Fälle, bei denen die Verwandtschaftsverhältnisse laut Behörde nicht ausreichend nachgewiesen wurden, gab es laut Flüchtlingsrat keine weiteren Informationen: Auf die Frage, welche Dokumente benötigt würden, blieb die Behörde demnach stumm. „Es geht um Afghanistan, dort ist es nicht so einfach, Identitätsnachweise zu beantragen“, gibt Ghafouri zu bedenken. „Dass die Bremer Behörde aber nicht einmal sagt, was sie zusätzlich noch zu bestehenden Nachweisen brauchen würde, das ist eine Schande.“

Die Bremer Landesregierung bedauert auf Nachfrage die geringe Zahl an Afghan*innen, denen die Familienzusammenführung in Bremen über das Landesaufnahmeprogramm gelungen ist. Man könne „die Unzufriedenheit über das Ergebnis“ zwar nachvollziehen. „Entschieden zurückgewiesen werden müssen aber die Vorwürfe, der Senat hätte das Programm gegen die Wand gefahren“, heißt es weiter.

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