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Schmitt macht den Diepgen

Die CDU will mit aufgewärmter Taktik die Wahlen gewinnen: Der neue Landeschef Ingo Schmitt beschwört die „Partei der kleinen Leute“, Generalsekretär Frank Henkel deckt die rechte Flanke ab

VON MATTHIAS LOHRE

Die CDU kehrt zum System Diepgen-Landowsky zurück. Auf ihrem Landesparteitag am Samstag wählte sie Ingo Schmitt zu ihrem Landesvorsitzenden. Während der EU-Parlamentarier Schmitt die Berliner CDU als Partei der „kleinen Leute“ beschwor, bediente der ebenfalls neu gewählte Generalsekretär Frank Henkel die Sehnsucht der Basis nach markigen Sprüchen.

Gemeinsam wollen die beiden die Partei in den kommenden Wahlkämpfen „personell und inhaltlich führen“. Die CDU dankte es ihnen mit sehr guten Wahlergebnissen: Für Ingo Schmitt stimmten 83 Prozent der Delegierten, für Frank Henkel sogar rund 87 Prozent.

Schmitt überraschte viele Beobachter mit einer Rede, die vom ehemaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen hätte stammen können. Der 47-jährige Rechtsanwalt empfahl sich den Delegierten mit sozialen Forderungen. Ein Großteil der landeseigenen Wohnungen müsse in der öffentlichen Hand bleiben. Auch seien die Senats-Einsparungen bei den Verkehrsbetrieben BVG und S-Bahn und der Charité verheerend für die Stadt: „Der Senat vernichtet in wenigen Monaten 5.000 Arbeitsplätze.“ Die „soziale Sicherheit“ für die vielen „Schwachen“ in Berlin müsse gewahrt bleiben.

Mit Blick auf die Streitereien in der chronisch zerstrittenen Hauptstadt-Union forderte Schmitt, bislang eher für seine Intrigen bekannt: Niemand dürfe ausgegrenzt werden, die Partei müsse „das Lagerdenken ausblenden“. Wie eine Beschwörung dieser neuen Einheit wirkte es, als sich der neue Parteichef an seinen alten Widersacher, den Exregierenden, wandte: „Ich habe Eberhard Diepgen jetzt gebeten, sich wieder stärker einzubringen. Er hat zugesagt.“

Die kommenden Wahlkämpfe für den Bundestag und das Abgeordnetenhaus will der Parteichef mit den Themen „Wirtschaft, Bildung, Arbeit, Innere Sicherheit“ bestreiten. Ende des Jahres will die Union ihren Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im September 2006 vorstellen. Nichts wurde aus Schmitts geplantem Coup, den Hertha-Torwart Christian Fiedler zu einem seiner sieben Stellvertreter wählen zu lassen. Fiedler ruderte kurz vor dem Parteitag zurück und bekam letztlich einen gesichtswahrenden Beisitzerposten. Der bisherige Landesvorsitzende Joachim Zeller wurde zum Parteivize gewählt.

Während Schmitt das Kleineleutegefühl der Delegierten bediente, gab der neue Generalsekretär Frank Henkel den politischen Kettenhund. Die „Happy-Hour-Truppe“ im Senat rede mehr über ein mögliches Rosa-Luxemburg-Denkmal als über die Arbeitslosigkeit in der hoch verschuldeten Stadt. Den stärksten Applaus erntete der 41-Jährige für die Äußerung: „Wer sich in unsere Gesellschaft nicht integrieren will, der hat hier bei uns nichts zu suchen.“ In diesem Moment zuckte die jahrzehntelange Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John, sichtbar zusammen. Eine „großstädtisch-liberale Hauptstadtpartei“ und „Partei der Mitte“, als die Henkel und Schmitt die CDU bezeichneten, klingt anders.

Der Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Nicolas Zimmer, passte sich dem neuen Parteisound an. Zimmer wandte sich gegen eine „Einheitsschule“ in Berlin. Mit Verweis auf eine TV-Dokumentation über das Schülerleben in den 50er-Jahren sagte der 34-Jährige: „Schülern gefällt’s, wenn sie mal ein bisschen rangenommen werden.“

Am stärksten zeigte sich das neue Selbstvertrauen der hiesigen Union während der Gastrede von Volker Kauder. Der CDU-Generalsekretär gratulierte seinem Landeskollegen Frank Henkel sibyllinisch zu dessen gutem Wahlergebnis: „Als Generalsekretär fast 90 Prozent zu erreichen – und das in dieser Partei!“ Selbst diesen Seitenhieb auf die Zerstrittenheit der Union nahmen die Delegierten mit Gelächter.

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