das portrait
: Für Artem Harutyunyan ist der WM-Traum geplatzt

Hat am Sonnabend seinen zweiten WM-Kampf in den USA verloren: Der Hamburger Boxer Artem HarutyunyanFoto: Torsten Helmke/Imago

Wenn vom Hamburger Artem Harutyunyan eine im Boxsport ansonsten übliche großmäulige Ansage vor einem anstehenden Kampf kommt, ist das ziemlich ungewöhnlich. Zurückhaltend, freundlich und reflektiert tritt der 33-Jährige üblicherweise auf. Doch vor dem Kampf um den Weltmeister-Titel am Samstagabend in den USA war es mit der Zurückhaltung vorbei: Er werde seinem Gegner „auf Deutsch gesagt auf die Schnauze hauen“, kündigte er zuvor an. Die für Harutyunyan ungewöhnlichen Worte zeigten, wie groß der Druck auf ihn war: Der Kampf gegen den US-Amerikaner Shakur Stevenson war die bislang größte Chance seiner Boxkarriere.

Allein: Gereicht hat es am Ende nicht. Zwar zeigte sich Harutyunyan in Newark, der Heimatstadt seines Kontrahenten, anfangs noch als der dominantere Boxer, doch ab der dritten Runde übernahm der favorisierte Stevenson die Kontrolle. Gegen den schnellen und vor allem vielseitig boxenden Stevenson kam Harutyunyan kaum mehr zu Treffern. Das Urteil der drei Punktrichter nach zwölf Runden fiel entsprechend eindeutig aus: Alle sahen den amtierenden Weltmeister im Leichtgewicht der WBC, eines der vier bedeutenden Boxverbände, deutlich vorn.

Als das Urteil gesprochen war, zeigte sich Harutyunyan schnell wieder in gewohnter Weise: Freundlich und respektvoll beklatschte er seinen Gegner. „Ich habe den allerbesten Boxer der Welt geboxt“, sagte er später. „Die Hauptsache ist, dass ich unverletzt bin, dass mein Gegner unverletzt ist.“

Bronze-Medaille bei Olympia

Geboren wurde Harutyunyan noch in Armenien, doch mit seinen Eltern floh er als Kleinkind wegen des zu dieser Zeit eskalierenden Bergkarabach-Konflikts nach Hamburg. Dort wuchs er erst auf einem von mehreren Schiffen am Hafen auf, in der die Stadt jahrelang notdürftig Geflüchtete unterbrachte. Später zog es die Familie in die nicht weit vom Hafen entfernte Sternschanze. Damals wie heute immer an seiner Seite: sein ein Jahr älterer Bruder Robert.

Auch der war lange Zeit Boxer – und weil der Vater in Armenien eine Karateschule geleitet hatte, war beiden der Weg in den Kampfsport vorgezeichnet. Einige Jahre haben die beiden Brüder sogar zusammen in der deutschen Nationalmannschaft geboxt. Heute ist Robert Trainer – im Boxstall Universum, bei dem auch Artem unter Vertrag steht. Nach Newark kam Robert am Samstag mit, um seinen Bruder in der Ecke zu unterstützen. „Bei uns gibt es kein ‚Ich‘ oder ‚Du‘, es ist ein ‚Wir‘“, fasste Robert ­Harutyunyan vor einigen Jahren in einer Dokumentation das enge Verhältnis der beiden zusammen.

Auch wenn es zum Weltmeistertitel am Samstag nicht gereicht hat – Artem ­Harutyunyan hat schon jetzt eine erfolgreiche Karriere hinter sich: Noch als Amateur feierte er 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro seinen größten Erfolg: Bronze im Halbweltergewicht. Auf den anschließenden Wechsel ins Profilager folgte bis zum vergangenen Jahr eine saubere Bilanz: Zwölf Kämpfe, zwölf Siege, davon sieben K. o. Dass die Serie im vergangenen Jahr riss, war unglücklich: Die Niederlage bei seinem ersten Kampf in den USA gegen den Lokalmatador Frank Martin fiel zwar einstimmig aus, doch gab es an der Entscheidung der Punktrichter einige Kritik.

Ob Harutyunyan nach den zwei Niederlagen noch eine WM-Chance erhalten wird, ist fraglich. Wichtig wird ihm dies in den kommenden Wochen aber nicht sein: Die Geburt seines zweiten Kindes steht an. André Zuschlag