Verdrängung von Obdachlosen: Sauber rausgekickt

Aufenthaltsorte von obdachlosen Menschen in Mitte werden vermehrt geräumt. Street­wor­ke­r:in­nen sehen die EM als Auslöser.

Zelte von Obdachlosen unter einer Brücke im Bezirk Mitte

Zur EM unerwünscht – Zeltlager von Obdachlosen Foto: Paul Zinken / dpa

BERLIN taz | Seit dem Start der EM vor einer Woche hat sich das Stadtbild verändert. Für die internationalen Fußballfans wurde besonders an öffentlichen Plätzen und in touristischen Gegenden ein riesiges Aufräumprogramm durchgeführt. Die Leidtragenden dieser Maßnahmen sind obdachlose Menschen. Gegen sie wurde in den vergangenen Wochen verstärkt vorgegangen, mehrfach kam es in Mitte zu größeren Räumungen ihrer Schlafplätze.

„Die Räumungshäufung und -dichte ist sehr auffällig“, sagt Juri Schaffranek von „Gangway“, einer Organisation für Straßensozialarbeit, der taz. Unter anderem kam es an der Jannowitzbrücke und der Liebknechtbrücke zu Auflösungen. Sechs größere Schlafflächen seien geräumt worden, sagt Schaffranek. Er gehe daher von 50 bis 60 betroffenen Menschen aus. Die EM sieht er als „eindeutigen Auslöser“ für das verstärkte Vorgehen der Behörden.

Das Bezirksamt Mitte streitet das gegenüber der taz ab: „Einen Zusammenhang mit der Euro 24 gibt es nicht.“ Bevorzugte Räumungen an touristischen Orten würden nicht stattfinden. Denkbar sei jedoch, dass hier das Beschwerdeaufkommen durch die Sichtbarkeit größer sei und deswegen teils mehr geräumt werde, so eine Sprecherin.

Räumungen auch in anderen EM-Städten

Stefan Schneider von der Wohnungslosen Stiftung dagegen schließt sich der Gangway-Einschätzung an. Im Gespräch mit der taz sagt er: „Geräumt wird permanent, das ganze Jahr über“, einen Zusammenhang mit der EM gebe es ihm nach trotzdem. Denn auch in anderen EM-Austragungsstädten sei es zu verstärkten Räumungen gekommen.

Aus den wohnungslosen Magazinen Hinz&Kunzt in Hamburg und Bodo in Dortmund wisse man: „Dort passiert genau das gleiche.“ Außerdem fiele auf, dass die Räumungsaktionen meistens nur mündlich kommuniziert würden und demnach nur schwer überprüft werden könnten. Dass eine Fläche EM-bedingt geräumt wird, würden die Zuständigen nie öffentlich oder schriftlich zugeben, so Schneider.

Verdrängung löst keine Probleme

Gangway-Streetworker Schaffranek bemängelt zudem, dass es nicht ausreichend einfach zugängliche Hilfsangebote nach Platzverweisen und Räumungen gebe. Die Obdachlosen würden sich selbst überlassen, das sei „psychosoziale und gesundheitliche Verelendung“. Der Bezirk Mitte rechtfertigt sich: Dem Ordnungsamt sei zwar „bewusst, dass die betroffenen Personen teilweise gesundheitliche Einschränkungen und schwere Schicksale hinter sich haben“, diese Tatsache sei jedoch „kein ausreichender Grund für eine Duldung illegaler Camps zu Lasten der allgemeinen Sicherheit und Ordnung“. Gangway sieht dieses Vorgehen kritisch: „Verdrängung löst eben blöderweise kein einziges Problem.“

Das zeige auch das seit Februar laufende BVG-Projekt „Reinigungs-Streife“, das entlang der U8 für mehr Sicherheit und Sauberkeit sorgen soll. Dabei würden auch obdachlose und suchtkranke Menschen verdrängt. Das führe dazu, dass sich diese Menschen verstärkt in den umliegenden Kiezen aufhielten, was wiederum für Ärger mit den An­woh­ne­r:in­nen sorge. Schaffranek befürchtet, dass solche Verdrängungsmaßnahmen sich nach der EM noch verstärken könnten. Denn wenn An­woh­ne­r:in­nen sich einmal an aufgeräumte Plätze und saubere, Obdachlosen-freie U-Bahnhöfe gewöhnten, wollten sie auch, dass es so bleibt. Auch, wenn das auf Kosten der Obdachlosen passiert.

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