kritisch gesehen: „the semantics of softer landings“ in der städtischen galerie bremen: Drei Versuche, durch Kate Andrews Ausstellung zu kommen
Erster Versuch, durch die Ausstellung zu kommen. Nur ein paar Schritte rein, ein erster Blick in die Städtische Galerie Bremen, und dann gleich wieder raus. Selten haben künstlerische Arbeiten eine so starke Wirkung, dass man sie dosieren muss. Noch seltener schafft es ungegenständliche Kunst, überhaupt eine Art von Aufregung zu erzeugen. Was ist passiert? Frontal zum ersten Ausstellungssaal ist eine mittelgroße Fotografie an eine Wand montiert. Aus dem Dunkel heraus entfalten sich auf ihrer Oberfläche Lichtfelder.
Es gibt Stellen, an denen sich alles Licht zu konzentrieren scheint. Möglicherweise befindet sich hier seine Quelle, genau wissen wir das nicht. Jedenfalls bleibt es hier nicht beim hellen, immateriellen Schein auf einem fotoempfindlichen Blatt Papier. An der Lichtfotografie lehnen drei Metallstäbe, ihre Enden berühren die hellsten Punkte. In ihnen geht alles Licht in Materie über. Diese Konstellation erinnert an die elektrische Ladung eines Blitzes, die Sand zu einer Röhre verschmilzt. Ganz sanft, mit nur wenigen Mitteln entfaltet sich vor unseren Augen eine riesige Kraft. Die davon ausgehende Gewalt kann man wahrnehmen, indem man sich in ihr Material einfühlt, ansonsten bleibt sie stumm.
Zweiter Versuch, durch die Ausstellung zu kommen. In den großzügigen, weißen Galerie-Hallen toben leise noch einige fotografisch-metallische Gewitter mehr. An manchen Lichtwellen flirren silberne Ketten vorbei. An anderer Stelle zerschneiden Stäbe aus Messing ebenfalls messingfarbene Lichtwellen. Auf einer mittelformatigen Fotografie breitet sich ein gleißender Punkt zu seinen Rändern hin aus. Ein davor gespannter silberner Ring wirkt, als versuche er, das Lichtzentrum zu markieren oder sogar festzuhalten. All diese Vorgänge bleiben unvollendet. Weil keine Erlösung des Materials eintritt, bleibt ihre unfassbare Spannung auf ewig bestehen. Dritter Versuch. Eine Verwandlung erfahren diese Spannungen in einer langen Reihe farbiger Fotocollagen. Zu sehen sind Aufnahmen von Halbedelkristallen. Sie wurden in der Mitte zerschnitten und dann wieder neu zusammengefügt. Wie ein überdimensionierter Filmstreifen ziehen sie sich in zwölf Meter Länge über den Galerieboden. Die montierten Kristallgebilde wirken wie wundersame Berglandschaften. Die über Jahrhunderte gewachsenen Hälften scheinen in sich zu ruhen.
Als zusammengefügte Figuren hingegen irritieren sie und man beginnt, in der langen Reihe nach der jeweils richtigen Hälfte Ausschau zu halten, als wolle man den gewaltvollen Prozess, der die Entstehung der Collagen ermöglicht hat, nachvollziehen, nach seinem Ende. Radek Krolczyk
Ausstellung: Kate Andrews „The Semantics of Softer Landings“, Städtische Galerie Bremen, Buntentorsteinweg 112. Täglich außer Mo, 12–18 Uhr, bis 28. 7.
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