Kulturpolitischer Bundeskongress: Auf Ängsten gebaut

Wenn die Rechte Kultur für sich entdeckt, braucht es dann mehr demokratische Kunst? Eindrücke vom Kulturpolitischen Bundeskongress.

Der Soziologe Armin Nassehi

Soziologe von der LMU München: Armin Nassehi Foto: Peter Adamik

Das Präventionsparadox bezeichnet eine ernüchternde Situation: Scheinbar konnten ergriffene Maßnahmen die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit nicht eindämmen – doch konnte Schlimmeres so womöglich trotzdem verhindert werden.

Dass sich rechtsextremes Gedankengut epidemisch verbreitet, davon künden nicht zuletzt die Ergebnisse der Europawahlen von letzter Woche. Mehrheiten für Rechtspopulisten in Österreich, Italien, Frankreich zeigen: Mit Prävention ist nun endgültig Schluss. Die Rechten sind längst da.

Einen kreativen Umgang mit dem eigenen Scheitern pflegte man am Donnerstag und Freitag in Berlin. Das Motto des diesjährigen Kulturpolitischen Bundeskongresses ließ auf eine gewisse Hybris schließen oder offenbarte zumindest Mut zur Träumerei: „Post-Polarisierung?“.

Suchbewegung aus der Moderne

Wobei „post“ nicht lateinisch zu verstehen sei, erklärt Tobias Knoblich, Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, die den Kongress im Aquino-Tagungszentrum ausrichtet. Immerhin sei die Postmoderne auch nicht nach, sondern vielmehr aus „einer Suchbewegung aus der Moderne heraus“ entstanden.

Von Post-Polarisierung sprechen ließe sich womöglich in Polen. Immerhin hat die regierende rechte PiS-Partei dort bei den Parlamentswahlen vor acht Monaten die Mehrheit verloren. Doch der Eindruck täuscht. Rechte Parteien haben in Polen weiterhin großen Zulauf, sagt Przemysław Sadura, Soziologieprofessor an der Uni Warschau.

Nun habe zwar das liberal-konservative Wahlbündnis KO gewonnen, sich dafür aber ebenso populistischer Methoden bedient, sagt Sadura. Auch die Partei von Ministerpräsident Donald Tusk habe Stimmung gegen Geflüchtete im Land gemacht und politische Gegner mit Hate Speech überzogen.

Wie resilient sind die Institutionen?

Da die populistische Gefahr in Polen mitnichten gebannt ist, steht irgendwann die Frage nach der Resilienzfähigkeit von Kulturinstitutionen im Raum. Wie Moderator Jochen Butt-Pośnik berichtet, sei die PiS-treue Führungsriege aus den Institutionen mittlerweile entfernt worden. Als ausreichend und nachhaltig empfinden die Pa­nel­teil­neh­me­r:in­nen diese Maßnahme allerdings nicht, immerhin kann der Vorgang bei neuen Machtverhältnissen leicht wieder rückgängig gemacht werden.

In der Kulturpolitik ist die zweite Worthälfte Politik richtungsweisend. Während Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) in ihrer Eröffnungsrede Ansprüche formuliert, dass insbesondere junge Menschen Zugänge zu Kultur finden, sie als Ausdruck einer demokratischen Gesellschaft fungieren soll, ist der Soziologe Armin Nassehi in seiner Keynote zurückhaltender.

Vielleicht sei es ein Fehler, von der Kultur stets nur das Gute zu erwarten, sagt er. „Kultur kann die Lösung sein“ – müsse aber immer auch Problem bleiben. Kulturpolitik und Kultur erreichen sich nie, sagt Nassehi. Erstere formuliere Leitbilder und entwerfe Bahnen, Kultur sei indes nur gut, wenn sie Abweichung ist, nicht Abbild von Politik oder Wissenschaft.

Kultur und Jugend und Bildung

Leitbilder und politische Arbeit standen auch in der anschließenden Diskussionsrunde im Fokus. Muchtar Al Ghusain ist Kulturdezernent der Stadt Essen (SPD), betont aber sogleich, dass er seine Funktion nur unzureichend ausfüllen könnte, wenn er nicht auch für die Bereiche Jugend und Bildung zuständig wäre.

Wie so viele Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r:in­nen berichtet auch Al Ghusain, dass Kultur die Essener Jugendlichen kaum erreiche und er zudem immer konservativeren Einstellungen begegne. Ingolfur Blühdorn, Professor für soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, gibt eine allgemeine Diagnose ab. Das Zukunftsbild einer immer demokratischer werdenden Gesellschaft sei in jüngster Zeit zerfallen, so Blühdorn.

Die etablierte Ordnung sei nicht mehr haltbar, ihr Reparaturkasten habe sich als unzureichend erwiesen. Damit sich die politische Situation nicht hin zu einer Katastrophe verschärfe, müssten die großen Parteien endlich davon abrücken, die Verteidigung des Wohlstands zum Kern ihres Handelns zu machen, so der Politikwissenschaftler.

Nun machen sich rechte Parteien wie die AfD zwar die Ängste der Ärmeren zunutze, sind aber an einer Umkehrung der (Eigentums-)Verhältnisse bekanntermaßen wenig interessiert. Für Populisten steht weiterhin die Ästhetisierung der Politik an erster Stelle, wie sie Walter Benjamin 1935 in seinem Pariser Exil festhielt: Der Faschismus sieht sein Heil darin, „die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen“.

So sagt auch Beate Küpper, Professorin für Sozialwesen an der Hochschule Niederrhein, in Reaktion auf Blühdorn, dass Armut und AfD nicht im direkten Verhältnis zueinander stehen. Sie glaubt eher, dass der Aufstieg der Rechten sich auch durch jene rechten Erzählungen erkläre, denen zu viel Raum gegeben worden sei.

Anstatt etwa reale Ängste vor Hass und Hetze zu thematisieren, sei zu viel über Wutbürger gesprochen worden, „die wir mit Diversität angeblich überfordern“, so Küpper. Sie plädiert für ein selbstbewusstes Auftreten und gibt konkrete Handlungsempfehlungen. Kulturpolitik dürfe nicht einknicken vor Rechten und vor allem „nicht das letzte linke Kulturzentrum im Ort schließen“, sagt Küpper. Immerhin sei Kultur das Haupttätigkeitsfeld der Neuen Rechten.

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