Im Schmerzgriff der Polizei

Extinction Rebellion zettelt in Hannover eine Debatte um Polizeigewalt gegen Klimaaktivisten an. Der Redebedarf in der Bewegung ist groß – zu groß für einen Abend

Fieser Griff am Handgelenk: Polizeieinsatz gegen Klima­aktivisten Foto: Stefan Müller

Von Nadine Conti

Am Anfang sind es ja oft nur Einzelne, von denen das ausgeht, sagt Stefan Müller. Bei der Berliner Polizei beispielsweise gebe es diesen einen Typen – „so ein Rothaariger“ – wenn der kommt, fangen die Aktivisten schon an zu rufen: „Presse, Presse, bitte hierher!“ Weil er bekannt dafür ist, Schmerzgriffe anzuwenden, möglichst hart hinzulangen – selbst bei friedlichen Sitzblockaden, wo man die Leute auch einfach wegtragen könnte.

Stefan Müller ist Fotojournalist. Seit 2019 begleitet er Klimaproteste und seit einiger Zeit hat er das Gefühl, dass dabei etwas aus dem Ruder läuft. Damit erklärt er, warum er nun auf diesem Podium im Kulturzentrum Pavillon in Hannover sitzt. Und das zustimmende Gemurmel aus dem Publikum macht deutlich, dass er mit diesem Gefühl nicht allein ist.

Mehr als hundert Leute sind an diesem Dienstagabend zusammengekommen, obwohl es draußen heiß ist und Fußball läuft. Eingeladen haben das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, Extinction Rebellion und der Pavillon zum Thema „Polizeigewalt gegen Klimaaktivist*innen“.

Und wenn man sich in diesem Publikum umschaut, ahnt man schnell, woher der Redebedarf kommt: Die Klimabewegung rekrutiert sich immer noch aus überwiegend weißen, bürgerlichen Kreisen, das Altersspektrum reicht sehr weit – von jungen Aktivisten bis zu älteren Herrschaften. Das sind keine Menschen, die mit der Polizei als Feindbild aufwachsen, eher im Gegenteil. Die Erfahrung von Gewaltanwendungen, die sie als unverhältnismäßig empfinden, erschüttert ihr ursprüngliches Vertrauen in den Rechtsstaat.

Wie bei Edmund Schultz aus Braunschweig: Er schildert, wie er bei einer Sitzblockade der Letzten Generation von einem Polizisten von hinten umgerannt und so brutal angerempelt wurde, dass er sich das Schlüsselbein brach und eine Gehirnerschütterung zuzog. Der Polizist behauptete später, er sei über den Bordstein gestolpert. Auf eine Anzeige verzichtete der Aktivist trotzdem: Man habe ihm davon abgeraten, sagt er. Weil man am Ende nur eine Gegenanzeige kassiert.

Das passt zu dem, was die Rechts- und Politikwissenschaftlerin Hannah Espín Grau zuvor schon ausgeführt hat. Sie gehört zur Forschungsgruppe um Tobias Singelnstein an der Universität Frankfurt und gibt einen kurzen Einblick in die Studie „Gewalt im Amt“. Darin beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, warum so viele Verfahren gegen Polizisten von der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Aber auch damit, wie innerhalb des Apparates selbst die Gewaltausübung gerechtfertigt, normalisiert oder reglementiert wird.

Für die Polizeiperspektive sind an diesem Abend Kriminaloberrat Markus Hackl von der Polizeidirektion Hannover und die Dokumentartheatergruppe Werkgruppe 2 zuständig. Das ist vor allem für Hackl eine äußerst schwierige und undankbare Rolle, immerhin kann er zu den Einsätzen, von denen hier die Rede ist, kaum etwas Sinnvolles sagen – er war ja nicht dabei.

So bleibt ihm nur immer wieder, einen differenzierten Diskurs einzufordern und darauf zu verweisen, dass es in der Polizei – insbesondere in Hannover – ja durchaus Reflexions- und Veränderungsprozesse gibt.

Sehr viel freier aufspielen können da die Schauspieler der Werkgruppe 2. Mit ihrem Stück „Hier spricht die Polizei“ sind sie gerade noch bei den Ruhrfestspielen gefeiert worden, ab September wird es im Ballhof gezeigt. Es basiert auf Interviews mit Polizisten aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Eine schwierige und undankbare Rolle für den Vertreter der Polizei

Und schon der kleine Auszug, den sie hier präsentieren, fächert ein beeindruckendes Spektrum auf. Von trotzigen Rechtfertigungsversuchen nach fragwürdigen Demo-Einsätzen bis zur fühlbaren Erschütterung nach einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt, bei dem kleine Kinder aus einer blutverschmierten Wohnung geholt werden mussten, in der ein Mann gerade versucht hatte, seine Frau abzustechen. Das dürfte ein Moment sein, in dem auch vielen Aktivisten das „Defund the police“ nicht mehr ganz so leicht über die Lippen geht.

Und eigentlich – darauf weisen alle Diskussionsteilnehmer auf unterschiedliche Art und Weise hin – müsste die Diskussion da überhaupt erst ansetzen. Bei Fragen wie: Welche Polizei wollen wir eigentlich? Und wie bekommt man das hin? Welche Rolle spielt die gesellschaftliche Stimmung, der politische Diskurs beim mal mehr, mal weniger rabiaten Vorgehen der Polizei? Welche Rolle spielen die Bilder im Kopf, spielt die tatsächliche oder vermutete Radikalisierung auf der anderen Seite dabei, das eigene Handeln zu rechtfertigen?

Diese Fragen können an diesem vollgepackten Abend, zu dem auch noch das Orchester Musica assoluta und der Rapper Amewu beigetragen haben, nur angetickt werden. Aber vielleicht, äußert sich Mit-Organisator Jürgen Manemann am Ende hoffnungsvoll, ist dies ja auch bloß der Auftakt.